Kopfreisen sind im Corona-Jahr ja schwer angesagt. Mulo Francel, der Kopf hinter der Weltmusikgruppe Quadro Nuevo, ist mir ein willkommener Reiseführer für einen solchen Trip. Mit seiner neuen Doppel-LP MARE hat er ein neues Ziel in seinem Reiseprogramm.
Als musikalischen Reiseveranstalter kenne ich Mulo Francel und seine Quadro Nuevo schon seit vielen Jahren. Angefangen hat alles mit Luna Rossa, dem Debüt-Album von 1998 und seinen schwer verliebten Tangos in bester Piazolla-Tradition. Wenig später folgte dann Tango Lyrico mit der wundervollen Evelyn Huber an der Harfe. In dieser Besetzung habe die Gruppe dann auch live gehört, auch deshalb, weil Evelyn Huber ganz früher mal, ehe sie ihre phantastische musikalische Karriere startete, bei meiner Frau zur Lehre ging.
Dann, so muss ich gestehen, hab ich Quadro Nuevo ein wenig aus dem Auge und vor allen Dingen aus den Ohren verloren. Nun mag ich zwar südamerikanische Rythmen und auch Tango und vor allen Dingen moderne und „jazzige“ Varianten südamerikanischer Musik – ich verehre zum Beispiel den argentinischen Bandoneon-Spieler Dino Saluzzi über alle Maßen – gleichwohl war ich vor einigen Jahren mit Quadro Nuevo „durch“ wie man so schön sagt.
Was für eine Fehleinschätzung!
Quadro Nuevo ist mehr als „nur“ Tango. Auf Weltreise mit Mulo Francel
Durch Freunde wurde ich auf MARE aufmerksam, die Neuerscheinung von Quadro Nuevo, in der Mulo Francel mit recht unterschiedlichen Musikern die ganze Bandbreite seiner musikalischen Interessen und Fähigkeiten zelebriert. Mulo Francel selbst erklärt die Vielfalt der Stile als Resultat der Buntheit der Eindrücke aus umfangreichen Reisen der Musiker:
„Einige unserer MARE-Lieder kommen aus gemeinsam Erlebtem. Ikarus’ Dream zum Beispiel entstand nach einem Festival-Konzert auf der Insel Samos. Wir bestiegen den Kerkis, den höchsten Gipfel der Ost-Ägäis. Von dort oben sieht man hinüber zur Insel Ikaria und im Süden zur Eilandgruppe Fourni. Irgendwo dazwischen stürzte der alten Sage nach Ikarus auf seinem Flug in die Freiheit ins glitzernde Meer. Der ewige Traum vom Ausbruch aus dem Schicksal, weggespült von den Wellen.
Mit dem Oud-Spieler Basem Darwisch zogen wir durch Ägypten, vom Roten Meer über die Halbinsel Sinai bis Alexandria. So erfuhren wir das Mittelmeer von der anderen Seite. Sein Song Café Groppi ist einem Kairoer Künstler- und Intelektuellen-Treff gewidmet, das in seiner bewegten Geschichte immer wieder von Kommerzialisierung und Niedergang bedroht war. Eine Oase im Sturm.“
So hören wir auf MARE die Traditionen italienischer cantautori ebenso wie provenzalische, südamerikanische Rythmen und arabische Melodien. Aber immer riecht es nach Meer, nach Salz und nach Fisch.
Das Instrumentarium ist reichhaltig wie eine Fischplatte: Mulo Francel spielt Sax, Klarinette, Mandoline, Kalimba und Flöte, Andreas Hinterseher Akkordeon, Trompete und Flügelhorn, Chris Gall, Klavier, Didi Lowka Bass und Schlagzeug, Evelyn Huber Harfe, Basem Darwisch Oud, Rafat Muhammad trommelt, Paulo Morello sitzt an der Gitarre und Tim Collins steht am Vibraphon.
Das alles sind Meister an ihren Instrumenten aber ich möchte doch Chris Gall hervorheben, der wunderbar am Flügel grooved und die ganze Combo gelegentlich in eine Jazzkneipe im Marseiller Hafenviertel versetzt. Da wird dann der leichte Tavel-Wein, der die Musik sonst perfekt begleitet, schon mal durch einen Whisky ersetzt.
MARE ist eine wunderbare Kopf-Reise in den Süden: vielfältig, bunt, sonnig, herzerwärmend, lebensfroh; kurz: genau die richtige Kost für den Plattenteller, um Winterdepressionen und Corona-Viren zu vertreiben.
Mulo Francel macht Weltmusik
In einem Interview in der Süddeutschen Zeitung erklärt Mulo Francel keck, seine Musik sei so sehr von Reisen und fremden Kulturen geprägt „wie früher vielleicht noch Embryo“. Das scheint mir ein wenig gewagt. Ich bin großer Fan von Embryo und die Jungs haben noch viel stärker „Ethno“ auf ihre Fahnen geschrieben, als Quadro Nuevo. Aber auf jeden Fall hat sich Francel um die Vermittlung unterschiedlicher Kulturen sehr verdient gemacht. Mir ist das erst spät bewusst geworden. Im Zuge meiner Entdeckung der wunderschönen Doppel-LP MARE habe ich auf der Seite von Mulo Francel – dort kann man die ganze Musik von Quadro Nuevo auch kaufen. Das tut den Musikern in auftrittsarmer Seuchenzeit gut – auch wunderbare Dinge gehört, die Ihr perfekt unter den Weihnachtsbaum legen könnt:
Für den Italien-Kenner
Quadro Nuevo: Italienische Reise (Hörbuch)
Goethes Reise durch das Land, wo die Zitronen blühen. Alte Canzoni und Melodien eines fast schon verklungenen Italiens erwecken die Traumbilder des Südens. Eine Koproduktion mit dem Bayerischen Rundfunk Bayern 4 Klassik.
Für verhinderte Amazonas-Reisende (also für mich)
Rainforest. Hommage to an endangered treasure
Die Musik: Ein kreatives Team namhafter World Music-Künstler beschäftigt sich mit dem Klang des Regenwaldes und transformiert diesen in eine beeindruckende Sound-Landschaft, die viel Raum für cineastische Atmosphäre und große Bilder entstehen lässt. Gekonnt vermischt mit Originalgeräuschen aus der Natur und musikethnologischen Aufnahmen. Ich habe mir diese CD (leider kein Vinyl) besorgt, weil der dumme Virus mir meine Reise zum Amazonas im Frühjahr 2020 verdorben hat.
Für den Iran-Reisenden (schon wieder für mich)
Quadro Nuevo: Goethes persische Reise (Hörbuch)
Johann Wolfgang von Goethe ließ sich in seinen späteren Jahren von der persischen Dichtkunst beflügeln. Besonders angetan war er von Hafis, den er gar seinen „Zwilling im Geiste“ nannte. Dessen anmutige Verse besangen das Leben, die göttlich-spirituelle Hingebung und die Lust der Liebe und des Weines. Diese CD ist wunderschön. Ich höre sie gerne und vor mir steigen die Erinnerungen an meine Reise durch den Iran aus dem Jahr 2017 wieder auf.
Für Kinder
Für Kinder gibt es noch mehr, aber die Alpensagen empfehle ich schon deshalb, weil Jockel Tschiersch mitmacht und es um Hexen, Geister und Ritter geht.
Also: Weihnachten kann kommen. Geht auf Kopfreisen. Der Plattenteller wartet. Notfalls auch der CD-Spieler. Oder der MP3- Dingens …
Danke für die Erinnerung. Sie gehören natürlich zum Standardrepertoire diverser Bühnen hier im Chiemgau. Allerdings geraten sie auch bei mir immer wieder unter die Hörschwelle. Vielleicht liegt das an der unaufgeregten, unaufdringlichen Musik. Mare und Alpensagen sind sicher was für den Gabentisch, die italienische Reise für einen ruhigen Cohib, äh Corona-Abend.