Das letzte Wochenende kann man ohne Übertreibung als – zumindest für die Czyslansky-Forschung – unbedingt denkwürdig bezeichnen. Als ich die Hinterlassenschaften einer ehemaligen Studienkollegin des großen Denkers sichtete, machte ich einen wahren Sensationsfund. Mir fielen zwei Medaillen in die Hände, die das letze Puzzleteil eines der grossen Geheimnisse Czyslanskys darstellen: Eines Geheimnisses, an dem ich seit einem halben Jahrzehnt schon forsche, ohne bisher auch nur einen einzigen klitzekleinen Schritt vorangekommen zu sein, was in der Czyslansky-Forschung an sich noch nicht ungewöhnlich ist – also dass man nicht weiterkommt.
Bekannt war bisher nur, dass Czyslansky während des 2. Weltkrieges Leiter eines geheimen Forschungsprojektes war, welches sich mit Kampf- und Giftgasen beschäftigte. Dass man einen Mann wie ihn mit so etwas betraute, ist bei seiner Expertise als einer der letzen Universalgelehrten nicht weiter verwunderlich. Dennoch passt die schnöde Erfindung eines Giftgases so gar nicht in das Bild, welches wir vom sensiblen und hintersinnigen Forscher haben. Dieser Widerspruch ließ mich nicht los und ich begann dem Mysterium auf den Grund zu gehen.
Der Deckname des Projektes, das konnte ich aus älteren Aufzeichnungen entnehmen, war „Kanaris“. Das warf einige Fragen auf. Hatte Admiral Wilhelm Canaris, Leiter der Auslands-Abwehr im 3. Reich etwas damit zu tun? Hatte Czyslansky eine Rechtschreibschwäche und was hatte er mit dem Geheimdienst zu schaffen? Wenn man sich so eingehend mit dem großen Mann beschäftigt hat wie ich, dann zieht man natürlich auch in Erwägung, dass Codename „Kanaris“ einfach nur ein groß angelegter Reisespesen-Betrug für einen Urlaub auf den Kanaren sein könnte. Aber weit gefehlt: die beiden „Ehrenpreise der Reichsfachgruppe Kanarienzüchter“ 1937 und 1938 beweisen Anderes …
Czyslanskys Forschungen beschäftigten sich mir der Kanarienzucht, also der Zucht des Kanarienvogel (Serinus canaria forma domestica). Admiral Canaris hatte nur insofern mit dem Projekt zu tun, als Czyslansky ihm das Budget für die Forschung aus den Rippen geleiert hatte, in dem er ihm wohl irgendeine abstruse Geschichte über eine „Namensgleichheit“ auftischte. Ziel der Forschung war es, Kanarienvögel zu züchten, die immun gegen die geläufigsten Arten von Giftgasen waren. Czyslansky wusste, dass die Vögel von Grubenarbeitern mit in die Stollen genommen wurden, um sie vor giftigen Grubengasen zu warnen. Hörten die kleinen Sänger auf, ihre Liedchen zu trällern, machten sich die Kumpels geschwind auf den Weg nach oben, denn dann war Gefahr in Verzug. Im ersten Weltkrieg hatte man versucht, diese Tiere auch zur Warnung vor Giftgas-Angriffen zu benutzen. Fiel der gelbe Piepmatz vom Stangerl, schnallte sich der preußische Soldat die Gasmaske unter die Pickelhaube, so das Konzept.
Czyslansky jedoch hatte folgenden, perfiden Plan: Mit seinen gegen Giftgase immunen Piepmätzen, die er Canaris zur Verfügung stellen wollte, hatte man die perfekte Falle für den Gegner in der Hand. Wiegte dieser sich doch im Falle eines Angriffs in Sicherheit, wenn er den fröhlichen Gesang seines Gasmelders vernahm …
Die grossen Giftgas-Attacken, blieben jedoch aus und so verschwand das Projekt für einige Zeit in der Versenkung.
Zumindest bis Anfang Juli 1944, da hatte nämlich Canaris noch einmal Czyslansky um eine Expertise gebeten, in wie weit ein Giftgas-Attentat auf den Führer mit Hilfe seiner Kanarienvögel sinnvoll sei. Wie wir wissen, entschieden sich die Väter des 20. Julis gegen Gas und Vögel, eine weitere Fehleinschätzung des deutschen Widerstands und Czyslansky war wieder einmal kurz davor ein Held zu sein.