Gehen wir ein bisserl dschihadieren?

Interessantes Phänomen: Wegen der miserablen Berichterstattung in so vielen Fällen, bei denen ich Zeuge, Fachkundiger oder sonstwie Beteiligter war, wuchs mir eine Art Vertrauenshornhaut. Wo ich früher leichtgläubig war („Stand doch in der Zeitung! Hab ich doch im Fernsehen gesehen!“) bin ich heute gelegentlich etwas paranoïd.

Beispiel SpiegelTV. Die haben also einen bösen Islamisten aufgespürt. Klingt verdienstvoll. Und sie recherchieren – zumindest möchte man das meinen. Sehen Sie selbst:

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Man kann es auch kurz erzählen. Stellen Sie sich die typische SpiegelTV-Stimme vor, also alles durch die Nase, und selbst die Uhrzeit wird irgendwie bedeutungsschwer vorgetragen. Das ganze geht dann ungefähr so:

Berlin, Freitag morgen, Spiegel TV auf dem Weg zu Reda Sayam, einem der Top Islamisten Deutschlands. Zuletzt wurde er bei den Ausschreitungen der Salafisten in Bonn gesehen.

„Tach Herr Sayam. Wir sind von Spiegel TV. Halloh. Sie waren doch auch in Bonn, warum waren Sie denn eigentlich da?!“ – (nuschel, nuschel, weg mit der Kamera) – „Herr Sayam, was machen Sie da?!?“

Man sieht einen verdrießlich dreinblickenden Herrn mit Vollbart, der keine Lust hat, so eine Frage zu beantworten. Sein Geduldsfaden ist sehr dünn. Aber so, wie man einem Pittbull nicht den Knochen wegnimmt, so rammt man jemandem, den man selbst gerade noch als gewaltbereit bezeichnet hat, nicht eine Kamera ins Gesicht. Die arme Kamera, die musste dran glauben. Schön für Spiegel TV, geglückte Provokation. So näselt es weiter:

„Der Angriff auf die Pressefreiheit endet mit einem Sachschaden von mehreren tausend Euro und für Reda Sayam mit einer Anzeige wegen versuchter schwerer Körperverletzung.“

Ich habe das Video nicht allein gesehen. Mein Sohn, gerade noch 7 Jahre alt, war mit von der Partie, und obwohl er sich für gewöhnlich bei Erwachsenenfernsehen eines Kommentars enthält, sagte er doch etwas: „Wieso haben die den Mann angezeigt? Ich hätte die Reporter angezeigt, die haben schließlich angefangen! Papa, was heißt ‚Pressefreiheit‘?“ Da fiel mir auf, daß man keine schlauen Blogs lesen muss – manchmal genügt es, einem kleinen Buben zuzuhören.

Sicherheitshalber schaute ich zum Thema Pressefreiheit schnell in unser Grundgesetz. Ja, da stand es noch:

Artikel 5 GG

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Na also. Die Pressefreiheit ist ein individuelles Recht gegenüber dem Staat. Jeder darf sich informieren, jeder darf veröffentlichen, es darf nicht zensiert werden, solange nicht andere Rechte verletzt werden. Konstatiert also die SpiegelTV-Frau eine Verletzung der Pressefreiheit durch Herrn Sayam, so ist das nicht nachzuvollziehen. Es ist schon recht überheblich zu glauben, ein Recht für das Ignorieren der Privatsphäre anderer Menschen allein aus der Eigenschaft als Journalist ableiten zu dürfen.

Damit die Täter-Opfer-Geschichte weiter klar bleibt, wird Herr Sayam schnell zum Top Islamisten ernannt und bekommt einen kompletten 8-Minüter Sendezeit, obgleich er die meiste Zeit nicht viel mit der Handlung zu tun hat. Man sieht Rechtsextremisten, die auf Provokation aus sind und man sieht Herrn Sayam, der mit der Kamera dabei ist. Nun, das sind die SpiegelTV-Leute auch, aber bitte. Wer Lust hat, sich den ganzen Beitrag anzusehen, bitte sehr.

Was fällt auf? Der Unsinn mit der Pressefreiheit wurde geschnitten, immerhin. Aber, da sich die Marke „Salafist“ noch nicht als Synonym für Terrorist durchgesetzt hat, wird mit aller journalistischer Vorsicht formuliert, es werden Herrn Sayam „Kontakt zu Al Qaida nachgesagt“.  Oder es wird gemunkelt, er könne etwas mit dem Attentat auf Bali zu tun gehabt haben. Dabei wird unterstellt, er sei straffrei ausgegangen, weil er Deutscher sei. Die Logik ist schwer nachzuvollziehen. Aber nun kommt’s, die Schlüsselszene ist bei 6:50. Es ist ein paar Jahre her, Herr Sayam kommt mit einem kleinen Kind vom Einkaufen die Straße herunter. Da springt ihm ein SpiegelTV-Kameramann in den Weg. Herr Sayam sagt, noch halbwegs beherrscht, er könne die Kamera auch kaputtmachen. Was er nach der Ankündigung und nachdem er weiter gegen seinen Willen gefilmt wird, dann auch in die Tat umsetzt.

Was heißt das? Zum einen ist Herr Sayam tatsächlich gewaltbereit und er scheint eine Allergie gegen Kameras zu haben. Zum anderen aber war die Provokation von letztem Freitag nichts anderes als ein perfider Plan von SpiegelTV, Belege für Gewaltbereitschaft zu finden, also den Mann nach allen Regeln der Kunst vorzuführen. SpiegelTV gibt ja zu, von Herrn Sayams Kammerafeindlichkeit zu wissen.

Aber was soll’s, es trifft doch den Richtigen, oder? Herr Sayam ist ja schließlich Salafist. Das sind Menschen, die Bücher verschenken. Nach allen Beschreibungen, die man so findet, wohlmeinenden wie ablehnenden, klingt das nach einer orthodoxen Bewegung. So wie Juden mit Schläfenlocken, Opus Dei oder evangelikale Kreationisten. Fundamentalismus halt, den gibt es selbstverständlich nicht nur im Islam.

Aber meine Recherche förderte noch was zutage: Herr Sayam hat seinen Sohn „Djehad“ genannt. Der Standesbeamte verstand „Heiliger Krieg“ und weigerte sich, dem Wunsch der Eltern zu entsprechen, wurde aber vom Amtsgericht überstimmt – gegen den Einspruch des damaligen Berliner Innensenators Körting. Begründung: Es handelt sich bei Djehad um einen gebräuchlichen Vornamen in der arabischen Welt. So einfach ist das – aber wer genauer nachdenkt, ist erschreckt, erstaunt oder erleichtert, dass die Allgemeinbildung deutscher Standesbeamten doch begrenzt ist. Am Ende käme man auf die Idee, recht gebräuchliche deutsche Vornamen auf die Auswirkung auf das Kindeswohl zu untersuchen: Alois (germ.: der Allwissende), Sebastian (altgr.: der, den man verehren muss), Alexander (altgr.: Schutzmann), Waldemar (germ.: ruhmreicher Herrscher), Kilian (kelt.-ir.: Mann der Kirche), Traugott (deutsch, selbsterklärend). Da sollte einer, der auf arabisch für Gott und gegen Unterdrückung auftritt, doch machbar sein. Vielleicht wollte Herr Sayam seinen Sohn später als Jihadisten ausbilden, vielleicht aber auch nicht. Es handelt sich also um die klassische Unterstellung.

Und weiter geht die Recherche. Bereits 2009 gab es einen SpiegelTV-Beitrag, der gehörig aufgerüscht worden war. Man sieht die bekannte Szene, wo Sayam damals schon droht, die Kamera zu zerstören, aber der Ton ist weggedreht. Erst in dem Moment, in dem Sayam zuschlägt, kommt der Ton. Vorsatz? Nun, es wird darf hingewiesen, daß Herr Sayam seinen Sohn Djehad genannt hatte und durch alle Instanzen ging. Wenn ich meinen Recherchen trauen kann, hat er alle Instanzen gewonnen(!). Süffisant weist die SpiegelTV-Reporterin darauf hin, daß er als Sozialhilfeempfänger die Kosten dem Steuerzahler aufgebürdet habe. Nun ja, welche Kosten? Er hat gewonnen – die Kosten entstanden durch die Behörden, die nicht nachgeben wollten. Schon wieder nichts als dumpf-miefige Stimmungsmache („Gewalt-Hartz IV-Moslem-kinderreich“). Und noch eine Schlüsselszene: SpiegelTV unterstellt Herrn Sayam, die Anschläge von Bali finanziert zu haben. War der Mann nicht gerade noch Sozialhilfeempfänger? Na gut, das sagt er dann auch selbst und geht zurück ins Haus. Was soll’s, Hauptsache, die nächste Unterstellung ist im Kasten. Im Abspann noch schnell die Reporterinnenstimme, die es aus dem Off nicht ok findet, daß Herr Sayam Hartz IV bekommt von dem Staat, den er ablehne. Was er nie gesagt hat, schon wieder eine unbewiesene Behauptung.

Tja, meine Herrschaften von SpiegelTV, ich werde den Verdacht nicht los:

die eigentlichen Djihadisten sind hier Sie selbst!

2 Antworten

  1. Das Drastische ist, wie wenig Aufwand es den Redaktionen bereitet, so eine Story zu schmieden, und wie viel Aufwand es den Medienkonsumenten kostet, sie zu durchschauen.

  2. Stimmt genau! Schöne Demonstration solcher „journalistischer“ Machenschaften wäre es, einfach ein paar Mal in kurzer Folge Dieter Bohlen mit genau der gleichen Ansage überraschend zu konfrontieren, sich die Kamera von ihm in die Fresse schlagen lassen und dann behaupten, er sei ein gewaltbereiter muslimischer Glaubenskämpfer.
    Ich wette, es würde funktionieren!

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