So schnell kann’s gehen. Ein amerikanischer Blogger, der über eine Firma schrieb, deren Produkt wegen mangelnder Qualität ins Gerede gekommen war, schloss den Beitrag mit dem Satz: „Die haben wohl einen Toyota gebaut.“
Au, das tut weh! Normalerweise freut sich ein Unternehmen ja, wenn sich sein Markennamen verselbständigt und zum Inbegriff wird, so wie „Tempo“ für Taschentücher oder „Cola“ für koffeinhaltige Erfrischungsgetränke. Aber für den japanischen Automobilhersteller ist es der Super-GAU: Sein Markenname ist auf einmal ein Synonym für Schrott. Und das mehr oder weniger über Nacht. 30 Jahre mühevoller Aufbauarbeit – von einem Tag war alles für die Katz!
Ich saß neulich mit Heinrich Welter, zusammen, dem Strategiechef von Genesys, einem führenden Anbieter von Call Center-Lösungen. Er wollte mir seine neue Studie vorstellen, wonach sich deutsche Unternehmen jährlich mehr als 12 Milliarden Euro sich durch schlechten Kundenservice durch die Lappen gehen lassen. Und bei der Vorspeise waren wir uns schon einig, dass sich das heute viel schneller rächt als früher. „Die Kunden haben sich lange eine ganze Menge gefallen lassen“, sagte Welter, „aber heute muss alles sofort gehen, vor allem bei den Jungen. Sie haben einfach keine Geduld…“
Wir haben beim Hauptgang gemeinsam einen Begriff für dieses neue Phänomen geprägt: „Generation Jetzt!“ Wer wie die gerade nachwachsenden Jahrgänge mit den digitalen Medien groß geworden ist und sein Leben im Internet-Tempo lebt, der hat keine Zeit, sich herumzuärgern. Da wird sofort und gnadenlos zugeschlagen: Schnell ist ein Blog geschrieben, eine Nachricht auf Facebook oder per Twitter abgesetzt: „Mensch, das ist vielleicht ´ne Scheißfirma – bloß nix von denen kaufen.“
Das bringt den Anbieter in eine völlig neue Situation, denn klassisches Beschwerdemanagement greift nicht mehr im Zeitalter von Instant Messaging und SMS. „Bis die Firma überhaupt merkt, dass sie schlecht geredet werden, ist der Schaden schon passiert“, meinte Welter. Da ist sozusagen der Toyota schon gebaut.
Aber selbst wenn das Unternehmen Bescheid weiß und versucht, die Diskussionsforen des Internet regelmäßig nach negativen Stimmen abzusuchen, läuft heutzutage ins Leere. Statt sich nämlich wie früher in abgeschlossenen Communities, die womöglich vom Hersteller selbst betrieben werden, über Produkte und Service auszulassen, genügt heute ein kurzer Tweet. Den lesen alle meine Freunde und leiten ihn sofort weiter. In Sekundenschnelle wird reagiert („ja, hab‘ ich auch schon erlebt…“), der Schneeball ist nicht mehr zu stoppen und wird zu einer Lawine der Unzufriedenheit.
Was kann man dagegen tun, haben wir uns beim Dessert gefragt. „Proaktiv auf die Kunden zugehen“, war Welters Ratschlag. Das heißt: Selber in den Communities aktiv sein und die eigenen Mitarbeiter animieren, auf Facebook und Twitter präsent zu sein, damit sie notfalls mit eigenen Kommentaren oder Posts gegensteuern können, bevor ein Flächenbrand entsteht.
Schade nur, dass viele Firmen ihren Leuten nicht erlauben, während der Arbeitszeit Facebook zu besuchen. Tja, Pech gehabt: Bis die abends am Privat-PC sitzen, hat sich die Generation Jetzt! längst ihr Vorteil gebildet.
Und so blieb uns beim abschließenden Espresso eigentlich nur die uralte Erkenntnis: Wer zu spät reagiert, den bestraft das Leben. Wie Toyota…
Ich will jetzt nicht mit dem Geständnis langweilen, dass wir unseren Kaffee auch nicht mehr von Toyota beziehen (http://www.vibrio.eu/blog/?p=1526), aber die Diskussion auf die Frage lenken, wann denn Flächenbrände sich nicht mehr nur auf Unternehmen und Klerikerverbünde, sondern auf Politiker beziehen werden. Die Marke Toyota wurde diesbezüglich bereits vom Schifffahrtsmagazin Titanic entsprechend gewürdigt: http://tinyurl.com/toywel
So schön das ist, dass heute keine Firma damit durchkommt, dass sie im Zweifel lauter trommeln kann als unzufriedene Kunden, so gefährlich ist das doch auch wieder, wie das Beispiel Toyota zeigt. Leichtfertig und sicher größtenteils ungerechtfertigt wird eine Marke stark beschädigt. Die Fälle, von denen ich gelesen habe, klingen schon arg nach Trittbrettfahrerei und Abzocke. Da fährt ein Kerl 140 MEILEN und behauptet, er konnte nicht anhalten, weil sein Gaspedal klemmt.
Die nicht mehr ganz so jungen unter uns hatten vielleicht früher mal einen VW. Käfer oder 1600, egal, der mit dem Gaspedal, das man immer ins Bodenblech reingetreten hat. Wo es sich gelegentlich mit der Fußmatte verhedderte. Da taucht man mal kurz ab, ein Griff, fertig. Meistens konnte man das schon mit dem Fuß wieder hochziehen. Niemand wäre auf die Idee gekommen, so lange zu fahren, bis das Benzin aus ist.
Was heißt das nun? Tim hat recht, hier werden vor unseren Augen Multimillionenwerte verschleudert. Ein Schaden, den man noch kaum abschätzen kann. Der aber andererseits nur in Amerika auftritt, dem Land mit diesem für mich schwer nachvollziehbaren Rechtssystem mit punitivem Schadensersatz und Rekordsummen für Anwälte und ihre sammelklagenden Mandanten. In Deutschland ist dieser Schaden nicht aufgetreten. Erstaunlich?
Womit ich mich nicht zum Anwalt von Toyota aufschwingen will, ich habe eher ein Faible für britische und italienische Autos 🙂 Aber ich meine, gegen so etwas wie bei Toyota hilft auch keine PR-Maschinerie mehr. Vielmehr wird es soweit kommen, dass im Ernstfall immer mehr Marken einfach ausgetauscht werden. Dass das klappt, wissen wir seit Windscale, dem britischen Atomkraftwerk, das einfach aufgehört hat zu existieren nach (mindestens) einem Beinahe-GAU: Sie haben es ja bekanntlich umgenannt in Sellafield. Teure Marken lohnen sich nicht mehr.
@svb
ich fahr ja britisch. na ja, eigentlich jetzt indisch. die pedalerie ist elektrisch einstellbar. klasse. und da blieb mir vor ein paar wochen doch tatsächlich auch das gaspedal im lammwollteppich hängen. im ort. runterkriechen wie zu käferzeiten – hat ich natürlich auch mal – ging nicht. bremsen mit der handbremse ging auch nicht: elektronisch. irgendwie hab ich die kurve gekriegt. niemals, nein wirklich nienieniemals würde ich die katzenpapas deswegen verklagen. bei einem schönen auto nimmt man das als charaktersache, wie das schlurfen um zu schnell angegangene feuchte ecken.
bei einer soliden italienischen espressomaschine nimmt man das hüsteln, schnaufen und den tag auszeit, die sie sich verdientermaßen mal gönnt, auch sportlich. geliebte marken dürfen viel. und damit bin ich beim thema: in zeiten kritischer verbraucher in social media müssen und können es die unternehmen auch schaffen virtuelle fangemeinden zu unterstützen. marken wollen geliebt werden. heute mehr denn je. vernünftige autos werden es schwer haben in krisenzeiten. das war aber niemals anders. denk doch einfach mal an audi in den usa in den achtziger jahren. amerikaner hätten damals immer verständnis gehabt für ihren bmw, wenn er beim starten ins garagentoreingefallen wäre. lieber hätte man den garagentorhersteller verklagt, aber doch nciht den biämdabbelju. aber ein audi? damals neverever.