Gentleman über Bord Titel

Buchempfehlung: "Gentleman über Bord" von Herbert Clyde Lewis

„Als Henry Preston Standish kopfüber in den Pazifischen Ozean fiel, ging am östlichen Horizont gerade die Sonne auf.“ Ein Roman, der mit einem solchen Satz beginnt, kann nicht ganz schlecht sein. Wirklich nicht. Dies ist mein erstes Buch des Jahres. Und es wird verdammt schwer sein dieses Werk von Herbert Clyde Lewis in den kommenden 12 Monaten zu toppen.

Wer ist Herbert Clyde Lewis?

Ich hatte noch nie von ihm gehört oder gelesen. Was für eine Schande. Lewis ist tot. Seit 1950. Er wurde nur 41 Jahre alt und ist wie die meisten großartigen Männer viel zu früh verstorben. Der Sohn jüdischer Einwanderer lebte in New York und verdiente sein Brot als Reporter bei mehreren Tageszeitungen und der Werbeagentur J. Walter Thompson. Später arbeitete er als Drehbuchautor für Hollywood und wurde sogar einmal – 1948 – für einen Oscar nominiert. „Gentleman overboard“ war sein Erstlingswerk, dem nur noch drei weitere Romane, die leider nie ins Deutsche übertragen wurden, folgten.

Worum geht es in „Gentleman über Bord“?

Der Plot ist schnell erzählt: Ein Mann fällt ins Wasser. Fertig und aus. Herbert Clyde Lewis freilich lässt sich ein wenig mehr Zeit. Es ist ein wenig wie in Hemingways „Der alte Mann und das Meer“. Der Autor erzählt, was in dem Mann vorgeht, wie er da so alleine im Wasser treibt. Und auch was im Schiff passiert, das er unfreiwillig und so völlig überraschend verlassen hat. Freilich ist der Mann bei Lewis kein alter Fischer wie bei Hemingway, sondern ein offenbar extrem langweiliger Geschäftsmann der amerikanischen Mittelklasse. Ein Mann, wie ihn James Stewart in so vielen Schwarz-Weiß-Filmen der 40iger Jahre verkörperte:

„Er erledigte alles stets ordentlich, aber ohne Begeisterung. Durch Schwimmen, Handball im Athletic Club und während der Saison Golf mit Pym und Bingley hielt er sich ausgezeichnet in Form. Er verfügte über Kapital, indem er anderen Leute Aktien verkaufte und für sich selbst Staatsanleihen kaufte. Er war gut informiert und ein braver Bürger. Er wählte nach reiflicher Überlegung. Er erledigte alles gewissenhaft. Seine Wohnung war stets in einem makellosen Zustand und seine Speisekammer immer gefüllt. Er trank mäßig, rauchte mäßig und schließ mäßig mit seiner Frau. Tatsächlich war Standish einer der ödesten Männer auf der ganzen Welt.“

Aber es gibt keine langweiligen Menschen. Nicht mal Männer. Deshalb lässt ihn Lewis auch in eine kleine Krise geraten und schickt ihn auf ein Schiff und ab in den Ozean. Eine harte Tour der Selbsterfahrung. Im Wasser gerät er selbstverständlich nicht gleich in Panik, sondern denkt, während sich das Schiff langsam von ihm entfernt, darüber nach, wie er zuhause über diese extreme Form der Selbsterfahrung später einmal seiner Frau und seinen Kindern berichten wird. Als das Schiff langsam außer Sicht gerät, entledigt er sich seiner Kleidung, um ein wenig Auftrieb zu erhalten, und sinniert über Schamhaftigkeit und den Inhalt seiner Brieftasche.

„Gentleman über Bord“ ist ein Buch für Männer in der Wanne

Harper BourbonIhr merkt: dies ist ein Buch für Männer, ein Männerbuch. Mit knapp 170 kleinformatigen Seiten kann man es in einem Rutsch lesen. Und am besten liest man es – natürlich und dem Sujet angemessen – in der Badewanne, lässt langsam nach jedem der zehn Kapitel etwas warmes Wasser nachlaufen und befindet sich am Ende angelangt in jenem wohldurchnässten aufgeweichten Zustand, der einer Wasserleiche nicht ganz unähnlich ist. Ja, „Gentleman über Bord“ von Herbert Clyde Lewis ist ein Buch für Männer in der Wanne. Man stelle sich eine schöne Flasche 15 Jahre alten Harper Bourbon an den Rand der Wanne und höre dazu Asylum Years von Tom Waits und ein paar andere ältere Platten. Das ist ein Buch für Gentleman und andere Weicheier, die gerne an einem langen trüben Sonntagnachmittag lau baden. Ein Buch, wie geschrieben für mich. Leseempfehlung? Ja unbedingt!

Herbert Clyde Lewis, „Gentleman über Bord“, aus dem wunderbaren mare-Verlag, 28,- €, beim netten Buchhändler an der Ecke oder bei buch7.

Illustrationen © WoGi – stock.adobe.com und Michael Kausch

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