Die Zeiten waren hart, die Menschen froren und hungerten. Der Krieg war verloren, der Winter 1946 einer der kältesten. In seiner berühmten und viel zitierten Silvesterpredigt sprach der Kölner Kardinal Joseph Frings zu seinen Gläubigen:
„Wir leben in Zeiten, da in der Not auch der Einzelne das wird nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit notwendig hat, wenn er es auf andere Weise, durch seine Arbeit oder durch Bitten, nicht erlangen kann.“
Mit diesen Worten, für die er sich vor der britischen Militärbesatzung verantworten musste, gab er dem Diebstahl von Lebensmitteln vor allem aber von Briketts den kirchlichen Segen. Schnell machte das Wort vom „Klüttklau“ im Kölnischen die Runde, und schon bald gab es für das kirchenmoralisch sanktionierte Stehlen von Heiz- und Lebensmittel ein neues Wort: Fringsen. Heute ist der Begriff aus der Mode gekommen, er droht, dem aktiven Sprachschatz verloren zu gehen.
Selten genug kommt es vor, dass ein Verb sich direkt auf den Eigennamen eines Menschen ableiten lässt, dass dieser mit seinem Namen für eine bestimmte Tätigkeit steht. Bei Markenartikeln ist das schon wieder anders: Während der Nachbar seine Einfahrt kärchert, sitze ich vor dem Rechner: Ich muss dringend etwas googlen.
Nun aber gibt es seit Januar ein neues Verb, das zumindest zeitweilig Verwendung findet. Nun also wulffen…
Eine Googleüberprüfung ergibt für das Infinitiv etwa 334.000 Treffer, zieht man Funde zum gleichnamigen Adelsgeschlecht ab, dann bleiben immer noch hunderttausende Suchergebnisse. Das Partizip gewulfft führt uns zu 67.300 Funden im Internet. Da hat unser ehemaliger Präsident ganze Arbeit geleistet.
Die korrekte Verwendung des Begriffs scheint aber noch umstritten.
Münchner Party-People laden zur Bereicherung der Szene ihre Freunde aus dem Umland für’s Wochenende in die Stadt ein. „Klar“, so schreibt der Initiator, „dass ihr bei uns wulffen könnt“. Will meinen: Kostenlos übernachten.
Andere kündigen an, bei ihrer Steuererklärung zu wulffen, also nur das unbedingt offensichtliche anzugeben. Wieder andere definieren wulffen als „weder lügen, noch die Wahrheit sagen“.
Warten wir auf den ersten Tatort, bei dem Kommissar Ballauf den Verdächtigen ins Verhör nimmt und nicht mehr sagt: „Jetzt sagen Sie endlich die Wahrheit“. Statt dessen donnert er: „Jetzt wulffen Sie mal nicht so rum!“
Spätestens dann ist das Wort allgemeingültig, unabhängig davon, ob es schon seinen Einzug im Duden halten konnte oder nicht. Stern, Spiegel, n-tv – alle großen Nachrichtenmedien haben sich mit dem Begriff beschäftigt, und doch ist es eher wahrscheinlich, dass der Begriff wulffen genauso schnell in der Erinnerung verblassen wird wie sein Namensgeber.
Während selbiger sich mit staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen auseinanderzusetzen hat, rückt als Nachfolger der protestantische Theologe Joacim Gauck in die Startlöcher. Und der hat es gleich cleverer angestellt. Er bringt- kleine orthographsiche Ungenauigkeiten bitte außer achten lassen – sein Verb bereits mit: gaukeln. Das gibt es laut Duden schon im Mittelhochdeutschen (goukeln) und leitet sich aus dem althochdeutschen goukolon für Zauberei treiben, Possen reißen ab.
Noch heute ist es aktiv in Benutzung: Gaukeln als vorspiegeln und vortäuschen. Entsprechend diskutieren die Leser einer Münchner Lokalzeitung, ob Gaukeln nun etwas Positives oder Negatives sei…
Passt doch irgendwie zu einem Theologen. Und zu einem Bundespräsidenten sowieso.
Finden Sie nicht?
Jetzt merkeln Sie bitte nicht so rum sondern sagen Sie einfach: Ja.
Das schöne Wort „Guttenbergen“ bringt es übrigens auch auf mehr als 50.000 Fundstellen, „Merkeln“ aber gar auf 270.000. Und wer den Begriff noch nicht kennt, der sei auf die Stupidedia verwiesen: „Merkeln, das; neudeutsch für Nichtstun, keine Entscheidungen treffen, keine Äußerungen von sich geben. Merkeln ist eng verwandt mit dem Begriff Beamter.“
Mir fiele noch „verkohlen“ ein …
Und wullfen ist so beliebig wie der Namensspender, es fehlt in der Liste noch die Bedeutung „jemandem etwas auf die Mailbox wulffen“. Ganz klar zu viele Bedeutungen, so wird das nix mit dem Unwort des Jahres. Auch falsche Jahreszeit 🙂
Das Verb „gaucken“ gibt es tatsächlich und war vor ein paar Jahren tatsächlich noch im Duden. Es bedeutet „einen Menschen auf eine eventuelle Stasi-Tätigkeit überprüfen“