Geoff Dyer

Geoff Dyer: But Beautiful. Lesen: jazz oder nie.

Es gibt Bücher, denen gelingt es sich einige Jahre in meinen Regalen zu verstecken. Dann aber, eines Tages, stürzen sie plötzlich ab nur um mir kladderidatsch direkt vor die Füße zu fallen. So erging es vor wenigen Tagen Geoff Dyer. Und das war ein wahrer Glücksfall. Das schönste Buch über Jazz, das ich je gelesen habe. Und ich habe in den letzten Jahren so einige gelesen. Das verdanke ich meinem alten Studienfreund Hans-Jürgen Schaal, von dem ich vor vierzig Jahren alles gelernt habe, was ich damals über Jazz wusste. Und das war ein winziger Bruchteil dessen, was er über Jazz wusste. Ich habe mich damals durch seine Platten gehört und später durch seine Aufsätze in diversen Jazz-Heftchen gelesen (guckst du hier) und ihm andächtig im Radio gelauscht. Und ich bin mir sicher, er hat mir irgendwo auch dieses wunderhübschschöne Buch empfohlen: „Geoff Dyer: But Beautiful. Ein Buch über Jazz.“

Das ist ja gar kein Buch über Jazz. Das ist ein Geschichtenbuch über eine Handvoll Jazzer, genauer: über Lester Young, Thelonious Monk, Bud Powell, Ben Webster, Charles Mingus, Chet Baker und Art Pepper. Aber das ist ja auch falsch. Das sind keine Geschichten über die Jungs. Das sind Geschichten mit den Jungs. Und Duke Ellington gibt den Conférencier.

Geoff Dyer hat Geschichten aufgeschrieben, in denen diese großartigen Musiker vorkommen. Es handelt sich um Alltagsszenen. Sie illustrieren den Alltag dieser Männer, den Irrsinn, den Suff, denn Rausch, den Alkohol-, Tabletten-, Heroin-Wahn, den Knastaufenthalt, die Schlägereien, die Exzesse, den Liebesrausch, die Abstürze, das Elend, den Rassenhass, den Stolz, den Ruhm, das Genie, die Musik und die Fürze dieser glorreichen Sieben.

Sind das Themen für Euch? Wusste ich doch.

Geschichten mit Jazzern

Ob sich das alles so zugetragen hat? Weiß der Teufel. Wenn er es je wusste, dann hat er es zwischenzeitlich vermutlich längst vergessen. Jedenfalls lernen wir viel beim Lesen. Natürlich weiß jeder, dass Leister Young und Billie Holiday irgendwas miteinander hatten, angeblich was platonisches. Aber wer bitte kennt schon diese wunderbare Szene mit dem deutschen Touristen:

„Ein Cop ging vorbei, und dann ein dicklicher Tourist, der zunächst zögerte, wieder hinstarrte, sich dann entschloss, sie anzusprechen, und sie in einem deutschen Akzent fragte, ob sie Billie Holiday sei.
– Sie sind eine der beiden größten Sängerinnen dieses Jahrhundert, verkündete er.
– Oh, nur eine von zwei. Wer ist die andere?
– Maria Callas. Es ist eine Tragödie, dass sie nicht zusammen gesungen haben.
– Oh, vielen Dank.
– Und Sie müssen der große Leister Young sein, sagte er, sich zu Lester wendend. The President, der Mann, der lernte, auf dem Tenor zu flüstern, als alle anderen brüllen wollten.
– Ding-dong, ding-dong, sagte Lester lächelnd.
Der Mann sah ihn einen Moment an, räusperte sich und zog einen Luftpostumschlag hervor, auf dem sie beide ihre Namen kritzelten.“

Keine Ahnung, ob das je passiert ist. Aber ich gäbe mein Saxophon her für diesen Luftpostumschlag. Ehrlich.

Und dann dieser Geoff Dyer, der mit seinen Worten so schön malen kann, etwa wenn er im Kapitel über Monk NYC im Herbst beschreibt:

nyc streetmusic

„Herbst in New York, ein brauner Matsch von Laub unter den Füßen, ein leichter Regen, der kaum fällt. Um jeden Baum eine Aura von Dunst, eine Uhr, die darauf wartet, zwölf zu schlagen. Fast dein Geburtstag, Monk. Die Stadt, still wie ein Strand, der Lärm des Verkehrs, wie eine Brandung. Neon schläft in Pfützen.“ Man möchte in die nächste PanAm steigen und in JFK landen und mit dem Yellow Cab runter ins Village fahren. Ich war lange nicht mehr dort … Aber gut, die PanAm fliegt ja auch nicht mehr.

Geschichte des Jazz

Das Schönste an diesem Buch sind ohne Zweifel diese schrägen Geschichten und die wunderlichen Stimmungen. Aber Geoff Dyer ist ja nicht nur ein feiner Geschichtenerzähler. Er weiß auch was vom Jazz. Und es gibt ein kenntnisreiches kleines dicht geschriebenes Nachwort. Darin steht vieles, was selbstverständlich ist, aber auch vieles was zum Nachdenken und zum Mitwippen anregt. Für Leute, die HJS nie kennenlernen durften und sich ein wenig in den Jazz einlesen wollen ist das eine nette kleine Einführung in neues Terrain. Es bringt ein wenig Ordnung in die Reihe großer Namen, wer von wem gelernt hat und sich von wem abgegrenzt hat.

Und es ist hübsch zu lesen, wie Dyer die Geschichte des Jazz als geniales Scheitern interpretiert: jeder Musiker versucht wie sein Vorbild zu spielen, scheitert daran und entwickelt notgedrungenen seinen eigenen Stil. Den besten gelingt dann ein eigener origineller Stil, an dem sich die nächste Generation abarbeitet. Miles Davis etwa wollte wie Dizzy Gillespie spielen, scheiterte und musste seinen eigenen Weg finden: „Miles‘ einsamer, fröstelnd schöner Sound entstand als Resultat seiner Unfähigkeit, die Sprünge im hohen Register zu halten, die Dizzys Markenzeichen waren.“ Na ja, dann habe ich die ersten Schritte zum Genie ja schon hinter mir … Bis zum Scheitern immerhin hab ich es auch geschafft.

Geoff Dyer: But Beautiful. Ein Buch für alle Freunde des gepflegten Scheiterns, des Sax und der schönen Schreibe.

Illustrationen © Michael Kausch

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