heizkörper

Die Sonne scheint, die Kaffeemaschine stöhnt und seufzt – nein, nicht die vom „Partner“ – meine Sommerreifen werden gerade aufgezogen, kurz: es scheint ein guter Tag zu werden. Das soll mir Anlass sein, mich einmal mit den schöneren Dingen des Lebens zu beschäftigen und mit den schöneren Blogs: keine IT, keine Zensur, keine Medienkrise. Mein ganzes Streben richtet sich heute morgen auf das Verständnis vom freien Willen eines Heizkörpers. Und schuld daran ist der „Quantenmechaniker“ mit seinem schönen Wissenslog-Blog der Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“.

Mit was konfrontiert mich der Quantenmechaniker heute? Damit:

„Ein Heizkörperthermostat ist ein gutes Beispiel für ein deterministisches System, das Entscheidungen fällen kann und die Freiheit hat, diese Entscheidungen in die Tat umzusetzen. Er hat einen äußeren Anlass zu handeln, nämlich die Änderung der Temperatur. Er hat innere Zustände, die sein Handeln bestimmen, nämlich den Stellwert und die Hyterese. Und zu guter Letzt hat er durch das angeschlossene Ventil die Möglichkeit, warmes Wasser in den Radiator zu lassen, wenn es kühl wird, und das Wasser abzusperren, wenn die gewünschte Wärme erreicht ist.“

Soweit, so gut. Nun zupft Quantenmechaniker Joachim Schulz ganz zurecht Blog-Kollegen Andreas Müller zurecht, der in einem Gastbeitrag auf dem gleichfalls hochehrenwerten Libertarian-Blog behauptet hatte: „Wir sind frei, denn alles ist vorherbestimmt“. Wir ahnen es: hier findet der Streit zwischen Deterministen und Anarcho-Subjektivisten ein spätes Nachglühen. Der klassische Determinismus ist so dumm und spätestens seit Heisenberg selbst von den Naturwissenschaften derart kompromittiert, ich möchte fast sagen negligiert, dass sich eine ernsthafte Auseinandersetzerei mit ihm nicht lohnt. Bei unserem Quantenmechaniker ist das schon anders. Auch wenn es hier auf Czyslansky vermutlich keinen interessiert und selbst Tim sich nur nach einigen Glenmorangies zu einer Replik wird hinreißen lassen, so muss ich doch entschieden feststellen: der Quantenmechaniker hat unrecht, wenn er unter Hinweis auf die Begrenztheit allen Zufalls den freien Willen in der menschlichen Willkür zu begründen sucht.

Aber Gemach, wie argumentiert er?

Schritt 1: „Beachten wir also, dass der Zeitpunkt einer atomaren Zustandsänderung nicht determiniert ist, sondern statistischen Gesetzen folgt. Hierdurch ändert sich die Situation nur wenig. Zwar sind die Ereignisse nun nicht mehr für alle Zeit festgelegt, aber die schiere Menge an Atomen, die für jede Handlung in der makroskopischen Welt entscheidend sind, sorgt für ziemlich exakt vorherbestimmte Abläufe. Lässt man einen tropfen Tinte in ein Wasserglas fallen, so ist die Bewegung jedes einzelnen Atoms völlig unbestimmt. Was aber mit der Tinte passiert, ist vorhersagbar. Sie wird sich im Wasserglas verteilen. Ähnlich gut vorhersagbar sind alle Abläufe in den Nervenzellen. Wenn Gedanken durch biochemische Abläufe in den Nervenzellen bestimmt ist, wird quantenmechanischer Zufall nicht einen einzigen Gedanken ändern. Dieser bekannte Zufall ist zu schwach, um unvorhersehbare Änderungen in der Verhaltensweise von Lebewesen hervorzurufen.“

Im ersten Schritt legt der Quantenmechaniker also dar, dass Zufälle in unserer Welt nur eine arg begrenzte Reichweite haben.

Schritt 2: „Was wäre, wenn tatsächlich ausreichend Neuronen rein zufällig eine chemische Reaktion auslösen könnten und wenn diese Reaktion den Ausschlag gäbe, ob eine Person eine Handlung begeht oder nicht. Würde das irgend eine echte Freiheit des Individuums begründen? Selbstverständlich nicht. Es wäre die selbe Freiheit, die jemand hätte, der vor jeder Entscheidung eine Münze wirft und sich an den Ausgang des Münzwurfes gebunden fühlt. Das Gefühl der Willensfreiheit wäre durch Zufall nicht gerechtfertigt.“

Im zweiten Schritt definiert er Freiheit aus subjektivistischer Sicht und grenzt ihn vom „Zufall“ ab.

Schritt 3: „Willkür ist weder deterministisch noch zufällig, sondern sie verfolgt Ziele, die sich eine Person selbst gesetzt hat. Diese Ziele können weitblickend sein, sie können aber auch einfach eine Laune sein. Und sie sind offenbar persönlich: Manche Menschen entscheiden sich öfter dafür, das logische zu tun, andere lieben es spontan etwa Verrücktes zu tun.“

Im dritten Schritt setzt er das Handeln des Subjekts absolut und beweist sich als Anarcho-Subjektivist alter Schule. Das macht ihn zwar sympathisch, weil er scheinbar sich erklären kann, warum ich mich heute morgen mit solchen Dingen beschäftige, statt wie meine Kolleginnen und Kollegen mit den Nöten meiner Lohnarbeit. Aber falsch ist’s doch.

Mich hat schon in früher Jugend der DDR-Dissident Robert Havemann mit seiner „Dialektik ohne Dogma“ überzeugt, der die „Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit“ einmal mit dem Schwimmen in einem Strom zu popularisieren versucht hat: Der breite Strom ist das deterministische Erbe, das die Richtung vorgibt, innerhalb der sich der Schwimmer frei entscheiden darf, ob er ein wenig mehr links oder ein wenig mehr rechts, im ruhigen Wasser oder in den Stromschnellen, den Fluss durcheilen möchte. An einem Ufer mögen Krokodile, am anderen Nymphen in der Sonne liegen. Jedem das Seine und so sinnvoll es sein mag, den Bestien auszuweichen, so wenig sind die anderen doch erreichbar. Den ein Landgang ist nicht möglich. Übertragen auf das Bild vom Wasserglas bedeutet dies, dass das menschliche Subjekt sich wie das Tintenmolekül verhält: wohin es sich begibt, ist unklar, dass das Wasser am Ende aber blau und ungenießbar sein wird, ist sicher.

Und damit können wir schlussendlich auch den Freiheitsgrad unseres Heizkörpers näher bestimmen: Ein funktionierende Heizkörper tut das was er soll. Er ist so unfrei wie ein Regensburger Domspatz. Die Heizkörper in meinem Büro aber genießen einen hohen Freiheitsgrad, die sie selbst dann noch zu verteidigen wissen, wenn der Hausmeister sich einmal pro Woche anheischig macht, sie mit schwerem Gerät gefügig zu machen. Denn der „freie Wille“ ist aus systemischer Sicht ein Defekt, so wie es ein Defekt ist, wenn ein Freund Czyslanskys sich frühmorgens vor der ersten Tasse Kaffee mit solchen Themen beschäftigt. Aber es sind diese Defekte, die das Leben lebenswert machen. Und weil sie möglich sind, sind sie Teil des Notwendigen; wie die verschiedenen Strudel in einem Fluss, der letztlich ebenso immer zum Meer strömt, wie der Czyslansky-Blogger zur seriösen Arbeit. Und damit ist’s genug.

6 Antworten

  1. Natürlich gibt es nur den freien Willen. Nichts ist vorherbestimmt. Determinismus ist Illusion. Das sagen zumindest die Stimmen in meinem Kopf, die mich zwingen, das hier hinzuschreiben… ^^

  2. Sie haben meinen Beitrag entweder nicht zu ende gelesen oder nicht verstanden. Ich habe keinesfalls behauptet, dass es so etwas wie Willkür überhaupt gibt. Ich habe nur beschrieben, welche Eigenschaften sie haben müsste, wenn es sie gäbe.

    Ich persönlich bin unentschlossen, neige eher zum Determinismus. Aber die absolute Wahrheit kenne ich, im Gegensatz zu ihnen, nicht.

  3. Die absolute Wahrheit kannte nur der große Czyslansky. Er hat sie in seinem leider verschollenen Roman „Mein Heizkörper“ auch niedergeschrieben. Das Buch soll über 1000 Seiten dick gewesen sein und wurde nur ein mal, und zwar im Selbstverlag gedruckt. Womit übrigens beweisen ist, dass Doug Adams unrecht hatte, denn „42“ hätte mühelos auf eine einzige Seite gepasst.
    PS: Ich habe diesen Kommentar übrigens im absolut Glenmorangiefreien Zustand verfasst. Allerdings auch nicht selbstbestimmt, denn Michael hat mich ja auf die Idee gebracht. So viel zum freien Willen…

  4. @quantenmechaniker

    Im Sinne der „Dialektik ohne Dogma“ resultiert der freie Wille ja gerade aus der Erkenntnis, dass niemand die absolute Wahrheit kennen kann. Die absolute Wahrheit zu kennen wäre gleichbedeutend mit der Anerkennung des Determinismus. Freiheit der Entscheidung beruht aber auf der Erkenntnis der Begrenztheit des eigenen Wissens. Das faszinierende an diesem Ansatz ist seine unbedingte Verpflichtung zur Toleranz.

    Ich bin zwar nicht unentschlossen, aber weit davon entfernt mir einzubilden, ich würde eine absolute Wahrheit kennen.

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