heftige untwitter über deutschen verlagsstuben – zur streitkultur im handelsblatt-blog

Businessman with knife

während tim hier die diskussion zur web 2.0-affinität der süddeutschen angezettelt hat, diskutiert seit vier tagen schon der handelsblatt-blog unter dem schönen titel „weil der journalist sich ändern muss„, ob denn die aktuelle twitterei einen segen, einen fluch oder gar den boandlkramer des klassischen journalismus verkörpert. da man dieses thema dort schon des öfteren diskutiert hat – thomas knüwer, dem aufrechten kämpfer für den live-twitter aus pressekonferenzen sei dank; er sitzt immer da, wo’s klappert – und in aller regel auch keine wirklich neuen erkenntnisse aus diesem ansonsten feinen blog herauskommen, könnten wir das glatt ignorieren. tun wir aber natürlich nicht. denn dieses mal fließt blut. und für seriöse unterkühlt-niederrheinische handelsblattverhältnisse spritzt das sogar mächtig hoch. was ist passiert?

thomas knüwer echauffierte sich darüber, dass die frankfurter allgemeine sonntagszeitung einen kritischen beitrag von harald staun über die web 2.0-ignoranz vieler journalisten nicht abgedruckt habe. was aber nicht stimmt, knüwer hatte nur probleme mit der web 1.0-technik (hah!). der artikel ist hier zu lesen. kollege knüwer hat dies auch später korrigiert. wie sich das eben gehört. im folgenden mokiert er sich nun zum wiederholten mal – und zum wiederholten mal ganz zu recht – über die web 2.0-ignoranz seiner schreibenden kollegen. auf den punkt gebracht fordert er eine kooperation zwischen professionellen journalisten und bloggern und twitterern:

„Wir Journalisten müssen erkennen: Jeder Mensch ist Experte in irgendetwas. Gelingt es uns, gemeinsam mit diesen Experten zu recherchieren, wird unsere Arbeit besser werden, als je zuvor. Nur: Dafür müssen wir deren Kommunikationswege nutzen.“

und das ist ja erstmal nicht falsch. aber es tut weh, wenn man ein klassischer journalist mit klassischen standesdünkeln ist. und so reagierte  knüwers redaktionskollege sönke iwersen heftig und getroffen mit einem kommentar im selben blog:

“Bei aller kollegialer Zurückhaltung: mir ist kein Journalist bekannt, bei dem Selbstdarstellung und Realität derart auseinanderklaffen wie bei Dir. Vielleicht könntest Du die permanente Selbstbeweihräucherung mal kurz unterbrechen und erklären, warum Deine fantastische Verdrahtung über Xing, Facebook, Twitter und Co. so wenig journalistischen Mehrwert bringt. Wenn es tatsächlich so wäre, dass diese Kommunikationswege neue Infos erschließen – warum kommen die Scoops im Handelsblatt dann nicht von Dir, sondern immer von anderen Kollegen? … ”

und damit waren die tore zum niederrheinischen  dallas geflutet: klüwer löschte den eintrag von iwersen, die community protestierte heftig, klüwer erzählte forsch, der habe den kollegen nur vor arbeitsrechtlichen konsequenzen schützen wollen, die community protestiert noch heftiger, die blogger der welt – verzeihung: die blogger rund ums handelsblatt solidarisierten sich mit dem journalisten, der nichts von bloggern hält, knüwer wurde zwischendurch ganz kleinlaut – man stelle sich das vor! – und heute am vierten tag ist man schon bei der 122sten replik auf den knüwerschen beitrag …

dabei ging es ursprünglich um ein thema, das wir auch hier auf czyslansky schon debattiert haben:  was macht das web 2.0 mit dem journalismus? muss ein journalist twittern? muss er jeden blogmist ernst nehmen? oder halten die journalisten die fahne der qualität hoch gegen das versammelte halbwissen aus blogs und tweets?

folgt man dem hablablog wird man ein wenig wirr im kopf und das blut verschliert einem den blick aufs wahre. ich will also mal versuchen eine ebenso einfache wie finale positionsbeschreibung zu screen zu bringen (drunter tun wirs bei czyslansky ja nicht):

1. die unruhen in bombay – aber nicht nur die – haben gezeigt, dass twitter manchmal schneller sind, als traditionelle medien. dies gilt erst recht in unruheregionen, in die man journalisten nicht so gerne rein lässt. nicht dass sie dort unruhe stiften. die chinablogs haben das ja auch schon gezeigt. das problem ist nun: es ist nicht einfach, die validität solcher getwitterter news zu überprüfen. aber genau das will natürlich ein ausgebildeter journalist. deshalb ignoriert er twitter. aber ignoriert er dann auch military embedded journalists? und exklusiv gekaufte korrespondenten? wieviel falschmeldungen haben wir denn schon außerhalb der blogs erlebt? nein: twitter und blogs sind EINE zusätzliche neue quelle journalistischer berichterstattung. und die glaubwürdigkeit kann ein journalist, der sich in der szene auskennt und bewegt, sicherlich besser einschätzen, als ein outsider, der schon deshalb nicht bloggt, weil er glaubt, bill himself habe die software zum bloggen geschrieben. also sollten journalisten bloggen und twittern was das zeug hält!

2. twitter und blogger und das ganze zeugs vom bürgerjournalismus ist natürlich kein ersatz für den professionellen journalismus. blogger sind fast nie die ersten, die etwas schreiben, und twitterer sind vielleicht manchmal die ersten, die etwas erleben, und gelegentlich die ersten, die etwas schreiben, aber selten die ersten die etwas durchdenken. was der journalismus auf dauer hoffentlich dem blogger und twitterer voraus hat, ist die kontemplation. die seite 3 der süddeutschen zeitung wird sich niemals durch blogs ersetzen lassen. und die titelseite auch nicht (komplett), wenn man mal dort anfängt von diensten wie zoomer zu lernen.

3. freilich besteht die gefahr, dass die menschen eines tages glauben, die kostenlosen blogs und tweets könnten qualitätsmedien ersetzen. so wie sie glauben, sat 1 wäre wirklich eine alternative zur tagesschau. (dabei weiß jeder, dass der unterhaltungswert der tagesschau weit höher liegt, als der des gesamten rtlsat1prosieben-programms). und tatsächlich leiden verlage und sender heute schon massiv unter ihrem scheinbaren bedeutungsverlust, vor allem aber unter dem wegbleiben von einnahmen. aber leute: guckt euch doch mal die durchschnittsrenditen unserer großen verlage in den letzten jahren an: das treibt einem doch die tränen in die augen, wenn verlage beschließen titel einzustellen, bloß weil deren rendite unter 12 prozent liegt. ich kann das gejammere der herren verleger einfach nicht mehr hören. gut, das gilt nicht für die hunderttausend fachpressetitel. aber brauchen wir wirklich einen sechsten fachtitel zur katze ab 20 und für den engagierten fliegenfischer im südburgenland? gehts nicht auch ne nummer kleiner?

4. wenn die traditionellen medien – und journalisten – endlich mal aus ihrer wagenburg kämen und sich mit den neuen möglichkeiten des web 2.0 ernsthaft auseinandersetzen würden, dann würden a) unsere medien besser, b) die ängste ihrer macher kleiner und c) die kommentarlisten des hablablogs kürzer. und damit wäre allen gedient.

für mich ist das thema damit durch und ich werde mich endlich wieder der czyslansky-forschung widmen. da gibt es viel zu tun. die archive vibrieren förmlich … falls aber du, lieber tim, diesem czyslanskyschem blog ein wenig mehr öffentlichkeit angedenken willst, so lösche einfach meinen beitrag. ich werde mich dann bitter beschweren und wir werden ein feuerwerk übelster empfindlichkeiten entfachen. wenn du wissen willst, wie’s geht: guck einfach beim handelblatt nach!

5 Antworten

  1. Ähnlich geht die Diskussion über die Lidl Kamera. Da verkauft Lidl zusammen mit der Bildzeitung kleine Kameras, mit denen sogar ein BILD Leser in der Lage sein soll mit ein paar Mausklicks Katastrophen, nackte Brüste, besoffene Promis u.s.w. auf den BILD-Server zu laden. http://www.tagesschau.de/inland/lidlbildde100.html

    Für mich als altgedienter Ex-Kameramann bedeutet das natürlich den Niedergang des Bildqualitäts-Abendlandes, aber was solls: ich überlasse den Amateuren gerne diese Drehorte, denn weder Lassing, Eschede noch Galtür waren zu Zeiten, als wir dort live berichteten, angenehme Orte.

    Dann bleibt den Profis und den Künstlern Zeit und Muße wirklich schöne und interessante Filme für Arte zu drehen und das Mini-Digi-Kamera-Proletariat tobt sich in den Körpersäften aus.

  2. Das mit dem „Mini-Digi-Kamera-Proletariat“ klingt schon etwas dünkelhaft, lieber Superprofi Alexander Broy mit Fronteinsatzerfahrung in Lassing, Eschede und Galtür. Ach geh, keiner will Ihnen was wegnehmen, Sie fühlen sich doch nicht ernsthaft von Lidl-Videokameras bedroht? Falls ja, dann zu Recht, denn dann sollten Sie versuchen, einen anderen Beruf zu finden. Aber das wissen Sie ja offenscihtlich selbst. –
    Was Michael Kausch betrifft: Yesss, bloß keine Berührungsängste! Von den „Amateuren“ in der Bloggerei können sich nur Journalisten bedroht fühlen, die eh keinen Wert auf journalistische Qualität legen. Heh, seit ich die Schülerzeitung herausgebracht habe, war meine Absicht immer, gegen die „Profis“ anzuschreiben. Nach 30 Jahren freiberuflicher Tätigkeit mach ich das immer noch (siehe „Achtung: tazblog!“ bei ) – die fröhliche (Zeitungs-)Wissenschaft!

  3. @Hans wie sie ja schon vermutet haben, habe ich als „Superprofi“ (das war doch hoffentlich nicht ironisch gemeint) keine Angst vor den Lidl-Blid-Kameraleuten … Aber bedenklich finde ich es schon, dass Privatsender, die in den neunziger Jahren noch 500 DM Tagesgage, jetzt teilweise nur noch 150 Euro für einen Kameramann zahlen und ihn nicht mehr mit einer (Digi)Beta, sondern nur noch mit einer MiniDV lossschicken.
    Jetzt wirft man nur noch Kameras ins Volk (die es auch noch selbst bezahlt) und erntet spektakuläre, verwackelte Bilder … schon schlau, oder?

  4. Na also: Es gibt bei der SZ außer dem unsäglichen Dr. G. noch Leute, die halbwegs vernüftig über das Internet schreiben können. Meine finale Morgenlektüre ist vielleicht gerettet…

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