Da liegt der Roman „Hintergrund für Liebe“ von Helen Wolff. Gestern ausgelesen. Sie wollen wissen, wie ich das Buch fand? Gar nicht. Ich hab es nicht gefunden. Es flog mir zu. Zugeschickt von einem wirklich sehr guten Freund mit dem Vermerk „Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass euch das nicht gefällt„.
Und es hat mir anfangs überhaupt nicht gefallen. Wie konnte er nur auf die Idee kommen? Klar, mein Freund lädt mich immer zu diesem ganz ausgezeichneten Italiener in der Bremer Innenstadt ein. Er ist ja auch mit dem Inhaber befreundet. Ich erzähle ihm dann immer, dass ich lieber zum Franzosen gehe und überhaupt, die italienischen Weine im Vergleich zu einem guten Burgunder … Er verträgt das. Ich sagte ja schon: Er ist ein wirklich sehr guter Freund, auch wenn ich ihn viel zu selten sehe. Aber dieses Buch …
These: Der „Hintergrund für Liebe“ spielt natürlich in Südfrankreich …
Der „Hintergrund für Liebe“ spielt natürlich in Südfrankreich. Das war wohl der Grund für meinen Freund mir das Buch zu schenken. Und ich hatte meinem Freund mal von einer Geschichte erzählt … aber das liegt lange zurück und ich will hier nicht abschweifen …
Also die Protagonistin des Buchs ist eine junge Frau, die mit einem deutlich älteren Mann nach Südfrankreich reist. Und der erste Teil des Plots ist schnell erzählt: Sie ist wirklich sehr schön und er ist natürlich sehr reich, sie weiß nichts, er weiß alles, sie ist ein wenig naiv, er bestimmt wo es lang geht, sie will in ein Haus mit Garten, viel Natur und kleinem Kätzchen, er will in die Stadt mit Restaurants und auch sonst ein bisschen Kultur, sie sitzt auf dem Beifahrersitz, er am Volant eines schicken Wagens.
So kann man eine Sommergeschichte schreiben, wenn man Tucholsky heißt und Hemingway lässt man das allemal durchgehen. Letzterer hat das schon geschrieben und seit ich das bei ihm gelesen habe trinke ich Single Malt mit Perrier, weil der Meister das im Wechsel mit einem Tavel immer gegen den großen Durst und gegen die provencalische Hitze getrunken hat. Aber ich beginne abzuschweifen…
Nun, ein Mann kann das schreiben, aber wenn eine Frau ein solch reaktionäres Rollenbild abgibt, das geht doch gar nicht, selbst wenn sie es, wie Helen Wolff im Jahr 1929 tat.
Immerhin schreibt sie „ganz nett“. Das Buch liest sich wie ein leicht dahingeworfener Sommerroman, fast wie Kurti sein Gripsholm. Es hat auch nicht viele Seiten, man kann es gut und gerne auf einem Badehandtuch im Freibad oder am Strand lesen. Das passt ja auch zum Sujet.
Antithese: Frauenbewegung in St.Tropez
Kurz bevor ich das Buch empört zur Seite lege bekommt das Fräulein dann doch noch die Kurve und verlässt endlich den Mann. Sie macht sich ganz allein auf den Weg und landet in einem kleinen Fischerdorf, das neben Fischern auch schon ein Zentrum alternativer Aussteiger und libertärer internationaler Haute Volée geworden war: St. Tropez.
Spätestens jetzt wird das Buch natürlich für Frankophile wie mich zur unbedingten Pflichtlektüre. Der Ort ist unbedingt mystisch und 1929 ging da ja noch die große Sause ab. Da war ja noch nicht mal Brigitte Bardot geboren.
Ich war 1976 erstmals in St. Tropez. Und da war der Ort schon mausetot. Das letzte Mal war ich 1995 da. Da war St. Tropez bereits einbalsamiert und wurde gegen Eintritt Touristen zum Abritt angeboten. 1929 konnte sich unsere Protagonistin noch in einer Fischerhütte einmieten und abends vom Fischertanz in die Szene-Kneipe wechseln. Sie lebt nun wirklich autark in ihrer Hütte auf der Wiese alternativ-autark und natürlich mit Katze. Sie lebt das Gegenmodell zu ihrem Mann. Das Modell ist zwar ein relativ klassisches Frauenklischee, aber doch ein selbst bestimmtes und insofern doch emanzipiertes. Sie lernt einen jungen Matrosen kennen, es „läuft“ aber nichts. Im Hinterkopf bleibt die Erinnerung an an ihre große Liebe stets präsent. Ich ahne Unheil. Und es tritt auch ein …
Synthese: Die Liebe kehrt zurück
Schließlich kehrt der Mann zurück und es kommt wie es kommen muss: sie wehrt sich anfangs wie in jedem guten Liebesfilm, erliegt aber nach einigem Hin und Her letztendlich doch seinem Charme. Die Liebe „erfüllt sich“ wie in einem drittklassigen Courths-Mahler-Heftchen. Aber gut: Helen Wolff hat den Roman ganz streng im klassisch-dialektischen These-Antithese-Synthese-Modell konstruiert: im dritten Teil, der Synthese, finden die beiden Protagonisten unter der Dominanz des Mannes im Haus und im Garten der Frau zueinander. Sogar die Katze, schon in der Psychoanalyse das Sinnbild des Ewigweiblichen und im Roman das Tier der Frau, bleibt dem Paar erhalten. Aber selbst die Katze erliegt dem Charme des Mannes. „Sie ist auch nur eine Frau“ bemerkt die Protagonistin an einer Stelle mit Bedauern. Es ist wirklich ein Elend.
Was bleibt am Ende des Sommers? Das Paar fährt mit Töpferware und Katze nachhause. Selbst den Rückreisetermin bestimmt der Mann. Auf dem Weg zur Emanzipation wird die Synthese zur Echternacher Sprungprozession: zwei Schritte vor, ein Schritt zurück.
Ein Sommerroman hinterlässt Bauchschmerzen
Mit dem Roman ist das Buch nicht zu Ende. Wie auch? Helen Wolff ist ja keine Schriftstellerin. Sie war – hab ich das vergessen zu sagen? – eine großartige Verlegerin. Gemeinsam mit ihrem Mann Kurt Wolff gründete sie nach der Flucht vor den Nazis in den USA Pantheon Books und verlegte u.a. Max Frisch, Günter Grass, Uwe Johnson und Jurek Becker in den USA.
Marion Detjen hat ihren Nachlass erforscht und stellt in einem sehr informativen Essay im Nachklapp des Buchs den Hintergrund des Romans vor. Sie verdeutlicht auch, dass die Protagonistin des Romans, der eigentlich niemals zur Veröffentlichung bestimmt war und erst nach dem Tod Helen Wolffs erschien, natürlich die Verlegerin selbst ist und ihre große Liebe niemand anderes als Kurt Wolff. Und ebenso teilemanzipiert wie die Protagonistin war eben auch die große Verlegerin Helen Wolff.
Und damit sind wir dann auch bei der abschließenden Bewertung des Buch angelangt: Muss man „Hintergrund für Liebe“ von Helen Wolff lesen?
Wer sich für die große Verlegerin Helen Wolff interessiert muss das Buch natürlich lesen. Deutsch-Lehrer*innen müssen das auch. Wer sich für St. Tropez interessiert muss es natürlich ebenso. Wer einen leichten Sommerroman sucht, der kann ihn lesen, der darf sich aber nicht über Rollenstereotype aufregen. Und nicht vergessen: Wenn Männer solche Bücher schreiben, werden solche Stereotype gerne verziehen. An Schriftstellerinnen werden höhere Ansprüche gestellt. An Frauen werden immer größere Ansprüche gestellt. Die wissen das aber schon.