Jeder Anlass hat seinen Tag. Heute ist der „Internationale Home Office Tag„.
In meiner Agentur vibrio haben wir das zum Anlass genommen, heute einmal alle komplett im Home Office zu bleiben (Zur aktuellen Diskussion über Home Offices siehe auch den Bericht zu einem Event im PresseClub: Zukunft der Arbeit). Nur die Server bleiben im Server-Raum. Das ist neu. Und eine kleine Generalprobe.
Home Office? und wo soll ich dann mit dem Photo meiner Kinder hin
Angefangen hat alles im Jahr 2003. Nein, eigentlich hat es damals eben NICHT angefangen. Im Herbst jenen Jahres schlug ich meinen Kolleginnen und Kollegen vor, das Büro zu verkleinern. Ich wollte die feste Zuordnung von Arbeitsplätzen auf Mitarbeiter aufgeben: jeder sollte nur mehr einen Rollwagen für sein persönliches Habitat haben und sich morgens einfach mit seinem Office-Rollator einen freien Schreibtisch suchen. Ich hatte es so unendlich satt, ständig auf leere Schreibtische zu gucken. Schließlich nahm schon vor mehr als zehn Jahren die Zahl unserer Teilzeitmitarbeiter/innen massiv zu. „Schuld“ war eine Regelung, die es jedem Mitarbeiter erlaubt, seine individuelle Arbeitszeit auch individuell zu regeln: der eine arbeitet 20 Stunden in der Woche, der nächste 28, wieder ein anderer 32 oder 40. In Halbtagsschritten ist alles Mögliche denkbar und alles Denkbare möglich.
Um genau zu sein waren es – leider „natürlich“ – vor allem Kolleginnen, die gerne die Möglichkeit zur Teilzeitpräsenz wählen. Es sind nun einmal bei uns wie anderswo auchl vor allem die Frauen, die die Last der doppelten Berufstätigkeit zu tragen haben:
Vormittags Büro und launische Kollegen, nachmittags Familie und launische Kinder. Immerhin sollten sie die Möglichkeit haben ihre kleinen Flegel wann immer sie wollen gegen die großen Flegel der Agentur zu tauschen. Teilzeitarbeit war bei uns immer ein Grundsatz, um Frauenerwerbstätigkeit zu fördern. Nicht ganz selbstlos: die Agentur hat viel davon, dass erfahrene Kolleginnen nicht mit ihren Kindern verloren gehen. Ohne Mütter wären meine Kollegen und Kolleginnen nicht durchschnittlich schon zehn Jahre bei vibrio beschäftigt. Und ohne beispielhafte Mütter hätten sich auch unsere Väter nicht getraut Erziehungsauszeiten zu nehmen. Letzteres kommt immer öfter vor. Und das ist gut so.
Für mich war die Auflösung individueller Arbeitsplätze untrennbar mit der Verbreitung von Teilzeitarbeit, aber auch mit der Arbeit im Home Office verbunden. Denn immer öfter zogen es Kolleginnen vor, ab und an mal zuhause zu arbeiten. Denn für Teilzeitbeschäftigte lohnen die langen Anfahrtswege im Großraum München einfach nicht. Wer Teilzeitarbeit fördert, der fördert Home Office.
Trotzdem fand mein Vorschlag im Jahr 2003 noch nicht die Zustimmung meiner Kollegen und Kolleginnen. „Wo soll ich dann mit den Bildern meiner Kinder hin?“ „Mein Arbeitsplatz ist mein Kuschelplatz“. „Ich mag nicht jeden Tag woanders sitzen“. Also zog ich bundeskanzlerinisch meinen Vorschlag klug zurück. „War ja nur so eine Idee“.
Im September 2010 aber war die Zeit endlich reif für Veränderungen. Unter dem Motto „vibrio schafft alle Arbeitsplätze ab“ lernten wir das Leben aus dem Container lieben. Die Akzeptanz von Home Office war so gewachsen, dass eigentlich jeder Mitarbeiter im Schnitt einen Tag pro Woche zuhause verbrachte. Seitdem gibt es bei vibrio mehr Mitarbeiter als Schreibtische. Es gibt Tage, da ist es mächtig ruhig im Büro, vorzugsweise am Freitagnachmittag. Seltsam …
Home Office ist „anders“
Im gleichen Maße, in dem die Arbeit zuhause wichtiger und „normaler“ wird, entwickeln sich neue Formen der Kooperation und neue Tools zur Kommunikation:
- IP-Telefonie: alle Mitarbeiter sind zuhause über ihre Büro-Durchwahlen zu erreichen
- Statusmeldungen über das IP-Telefonie-Netz: wer ist on, wer ist off …
- Interne Messaging-Dienste ergänzen schnell und verdrängen langsam die E-Mail
- Notebooks statt PC-Kisten
- Flexible Sitzordnungen im Büro, abhängig von aktuellen Projekten
- Der Datenstoff kommt immer öfter aus der Cloud statt aus dem Server-Raum
Bislang haben die Home Offices das gemeinsame Erleben im Büro zwar verändert, aber nicht wirklich grundlegend revolutioniert. Noch immer sind Kaffee-Küche und Agentur-Bar als Kreativdschungelcamps wichtiger, als der Meeting-Raum. Im kommenden Jahr aber wollen wir dieses hybride Home-Office-Konzept radikalisieren: Nicht mehr, wer zuhause bleibt soll dies im Präsenzplan ankündigen, sondern wer im Office der Agentur arbeiten will muss sich künftig einen Stuhl buchen! Nicht mehr die Arbeit in der Agentur ist Standard, sondern das Home Office. Wir wollen die Anzahl der Schreibtische weiter verringern und unsere Flexibilität erhöhen. Wir wollen damit experimentieren, wie Gemeinschaft sich künftig organisieren lässt:
- Wie oft brauchen wir künftig persönliche Präsenz zum kreativen Austausch?
- Wie weit können wir mit Online-Konferenzen gehen?
- Funktionieren die Brainstormings virtuell anders, als im Meeting-Raum?
Ja, wir sparen dadurch Mietkosten. Aber es wird nicht billiger. Die Ansprüche an unsere Infrastruktur werden wachsen. Vielleicht mieten wir einen Raum in der Innenstadt an, in dem wir unsere Agentur-Bar installieren: für informelle Meetings und Kurzzeitarbeitsplätze für Teams. Vielleicht investieren wir die gesparten Mietkosten in wöchentliche gemeinsame Arbeitgelage beim Italiener. Avanti popolo! Avanti vibrio!
Jedenfalls werden wir künftig weniger Kilometer auf dem Mittleren Ring und weniger Nerven in der S-Bahn runterreißen: das schont die Umwelt. Jedenfalls werden wir ein weiteres Stückchen Flexibilität in unseren Arbeitszeiten realisieren: zu Gunsten unserer Kunden und unserer Familien und Hobbies. Jedenfalls werden wir neue Strategien entwickeln müssen: um im Team kommunikativ und kreativ zu bleiben und zuhause konzentriert und effizient zu werden.
Wir wissen nicht, wohin uns dieser Weg führen wird. Aber wir wissen, dass Home Offices immer wichtiger werden. Für uns, aber auch für andere. Und wir wissen, dass das Home Office nur eine Durchgangsstation ist für das Feldlager der „Digitalen Beduinen„, von denen ich vor zwei Jahren schon geschwärmt habe, und über die ich schon lange leidenschaftlich nicht nur mit meinem Czyslansky-Bruder Tim Cole debattiere. Und ich weiß, dass unser Büro nicht nur heute am International Home Office Day leer bleiben wird.
Jetzt gibt es auch Eindrücke aus den Home Offices einiger Mitarbeiter: http://bit.ly/homeofficevibrio.