Im deutschen Internet gehen die Uhren anders

erduhr

Tickt’s bei denen da oben noch richtig?

Die endlose Sitcom, die sich „deutsche Medienpolitik“ nennt, wird gerade heimlich um eine wunderbar komische Episode bereichert. Heimlich deshalb, weil der bereits fertige Entwurf eines neuen Jugendschutzgesetzes dieser Tage von den Staatskanzleien der Länder ohne öffentliche Diskussion durch gewunken wird; der Segen der Landesparlamente gilt als ausgemachte Sache. Die »Novellierung des Staatsvertrages über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien« enthält viele Änderungen, „gegen die die geplanten Stopp-Schilder mit geheimer BKA-Liste fast harmlos erscheinen“, wie der bloggende Jurist Georg Wieselsberger auf gamestar.de spöttelt.

Medienrecht ist nun mal Ländersache in unserer  Flickerlteppich-Republik, und es ist schon lange eine Lachnummer. Aber jetzt übertreffen sich die Akteure, Jürgen Rüttgers, CDU (Spitzname: „Robin Hood“), und Kurt Beck, SPD (Spitzname: „Mecki“), die zusammen das Papier ausgeheckt haben. Sie wollen – kein Witz! – „Sendezeiten“ für das Internet einführen. Vor 22 Uhr kein Schweinekram mehr im Netz!

So, wenn Sie sich jetzt bitte wieder beruhigen würden und weiterlesen: Es kommt noch dicker! Inhalte im Internet sollen ein „Label“ erhalten, aus dem ersichtlich wird, für welches Alter die Seiten geeignet sind. „Frei ab 12 Jahren“, zum Beispiel. Ach so, und bevor ich’s vergesse: Provider sollen auch für die erreichbaren in- und ausländische Seiten verantwortlich gemacht werden, was auch die Pflicht zur Sperrung von ausländischen Seiten beinhaltet, die nicht deutschen Gesetzen entsprechen.

Das Problem liegt auf der Hand: Wenn es bei uns 22 Uhr, wie viel Uhr ist es dann in, sagen wir, San Francisco? Oder Shanghai? Oder Novosibirsk? Irgendwo ist immer 22 Uhr, Gute Nacht, Deutschland!

Nun, im bierernsten Düsseldorf und in Mainz wie es singt und lacht ist immer gleichzeitig 22 Uhr, und zwar immer zur gleichen Zeit. Aber Komödiantenstadel ist dort eigentlich rund um die Uhr. Aber sei’s drum, spinnen wir die Idee doch weiter. Hier ein paar Verbesserungsvorschläge:

  • Nachrichten gibt’s im Internet künftig um 20 Uhr (das heißt, Mainz wird auch da wahrscheinlich wieder ausscheren und schon um 19 Uhr die Katzen aus den Säcken lassen.
  • Bundesligaergebnisse dürfen am Samstag erst ab 18:30 Uhr ins Netz gestellt werden. YouTube darf  nur Ausschnitte zeigen.
  • Deutsche Online-Läden müssen am Sonntag grundsätzlich geschlossen bleiben.

Soll ich weitermachen? Nee, lieber nicht. Ich schließe mich stattdessen Jörg Tauss an, dem einzigen Mann im deutschen Bundestag, der offenbar überhaupt eine Ahnung hat, wie das Internet funktioniert. Halt, ich muss mich korrigieren: Er sitzt ja leider nicht mehr im Bundestag, sondern zuhause und wartet auf seinen Prozess wegen Kinderpornobesitz. Noch s’n Treppenwitz der deutschen Politikgeschichte.

Dafür schreibt er fleißig in seinem Tauss-Blog, wo er daran erinnert, dass sich die Internet- Enquetekommission schon 1996 mit der Schnapsidee einer Sendezeitbegrenzung rumgeschlagen hat, bis es denen auffiel, dass es rund um die Welt versetzte Zeitzonen gibt.

Ich durfte übrigens seinerzeit auch mal als „Fachexperte“ vor der Enquetekommission aussagen. Leider war Jörg Tauss an dem Tag nicht da, warum auch immer. Entsprechend flach waren die Fragen der „Volksvertreter“, von denen offensichtilich keiner jemals online gewesen war. Ich weiß zwar nicht mehr, wie viel Uhr es war, aber ich hatte schon damals das Gefühl, die Uhren gingen dort irgendwie anders. Bis heute.

3 Antworten

  1. Wer den Wortlaut des Staatsvertrages nachlesen will, der wird hier fündig
    http://www.bundespruefstelle.de/bpjm/redaktion/PDF-Anlagen/jugendmedienstaatsvertrag,property=pdf,bereich=bpjm,sprache=de,rwb=true.pdf. Und wer nicht weitersurfen will, findet hier die Verbote und die Mittel, mit denen Provider erreichen sollen, dass Kinder und Jugendliche nicht unbotmäßiges Zeug ersurfen:

    § 4 Unzulässige Angebote (1) Unbeschadet strafrechtlicher Verantwortlichkeit sind Angebote unzulässig, wenn sie
    1. Propagandamittel im Sinne des § 86 des Strafgesetzbuches darstellen, deren Inhalt gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet ist, 2. Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen im Sinne des § 86a des Strafgesetzbuches verwenden, 3. zum Hass gegen Teile der Bevölkerung oder gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe aufstacheln, zu Gewalt- oder
    Willkürmaßnahmen gegen sie auffordern oder die Menschenwürde anderer dadurch angreifen, dass Teile der Bevölkerung oder eine vorgezeichnete Gruppe beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden, 4. eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 und § 7 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, leugnen oder verharmlosen, 5. grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt; dies gilt auch bei virtuellen Darstellungen, 6. als Anleitung zu einer in § 126 Abs. 1 des Strafgesetzbuches genannten rechtswidrigen Tat dienen, 7. den Krieg verherrlichen, 8. gegen die Menschenwürde verstoßen, insbesondere durch die Darstellung von Menschen, die sterben oder schweren körperlichen oder seelischen Leiden ausgesetzt sind oder waren, wobei ein tatsächliches Geschehen wiedergegeben wird, ohne dass ein berechtigtes Interesse gerade für diese Form der Darstellung oder Berichterstattung vorliegt; eine Einwilligung ist unbeachtlich, 9. Kinder oder Jugendliche in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung darstellen; dies gilt auch bei virtuellen Darstellungen, 10. pornografisch sind und Gewalttätigkeiten, den sexuellen Missbrauch von Kindern oder Jugendlichen oder sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren zum Gegenstand haben; dies gilt auch bei virtuellen Darstellungen, oder 11. in den Teilen B und D der Liste nach § 18 des Jugendschutzgesetzes aufgenommen sind oder mit einem in dieser Liste aufgenommenen Werk ganz oder im Wesentlichen inhaltsgleich sind. In den Fällen der Nummern 1 bis 4 und 6 gilt § 86 Abs. 3 des Strafgesetzbuches, im Falle der Nummer 5 § 131 Abs. 3 des Strafgesetzbuches entsprechend.
    (2) Unbeschadet strafrechtlicher Verantwortlichkeit sind Angebote ferner unzulässig, wenn sie
    1. in sonstiger Weise pornografisch sind, 2. in den Teilen A und C der Liste nach § 18 des Jugendschutzgesetzes aufgenommen sind oder mit einem in dieser Liste aufgenommenen Werk ganz oder im Wesentlichen inhaltsgleich sind, oder 3. offensichtlich geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit unter Berücksichtigung der besonderen Wirkungsform des Verbreitungsmediums schwer zu gefährden. In Telemedien sind Angebote abweichend von Satz 1 zulässig, wenn von Seiten des Anbieters sichergestellt ist, dass sie nur Erwachsenen zugänglich gemacht werden (geschlossene Benutzergruppe). (3) Nach Aufnahme eines Angebotes in die Liste nach § 18 des Jugendschutzgesetzes wirken die Verbote nach Absatz 1 und 2 auch nach wesentlichen inhaltlichen Veränderungen bis zu einer Entscheidung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. § 5 Entwicklungsbeeinträchtigende Angebote (1) Sofern Anbieter Angebote, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, verbreiten oder zugänglich machen, haben sie dafür Sorge zu tragen, dass Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufen sie üblicherweise nicht wahrnehmen. (2) Bei Angeboten wird die Eignung zur Beeinträchtigung der Entwicklung im Sinne von Absatz 1 vermutet, wenn sie nach dem Jugendschutzgesetz für Kinder oder Jugendliche der jeweiligen Altersstufe nicht freigegeben sind. Satz 1 gilt entsprechend für Angebote, die mit dem bewerteten Angebot im Wesentlichen inhaltsgleich sind. (3) Der Anbieter kann seiner Pflicht aus Absatz 1 dadurch entsprechen, dass er
    1.durch technische oder sonstige Mittel die Wahrnehmung des Angebots durch Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufe unmöglich macht oder wesentlich erschwert oder 2. die Zeit, in der die Angebote verbreitet oder zugänglich gemacht werden, so wählt, dass Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufe üblicherweise die Angebote nicht wahrnehmen. (4) Ist eine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung im Sinne von Absatz 1 auf Kinder oder Jugendliche anzunehmen, erfüllt der Anbieter seine Verpflichtung nach Absatz 1, wenn das Angebot nur zwischen 23 Uhr und 6 Uhr verbreitet oder zugänglich gemacht wird. Gleiches gilt, wenn eine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung auf Kinder oder Jugendliche unter 16 Jahren zu befürchten ist, wenn das Angebot nur zwischen 22 Uhr und 6 Uhr verbreitet oder zugänglich gemacht wird. Bei Filmen, die nach § 14 Abs. 2 des Jugendschutzgesetzes unter 12 Jahren nicht freigegeben sind, ist bei der Wahl der Sendezeit dem Wohl jüngerer Kinder
    Rechnung zu tragen. (5) Ist eine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung im Sinne von Absatz 1 nur auf Kinder zu befürchten, erfüllt der Anbieter von Telemedien seine Verpflichtung nach Absatz 1, wenn das Angebot getrennt von für Kinder bestimmten Angeboten verbreitet wird oder abrufbar ist. (6) Absatz 1 gilt nicht für Nachrichtensendungen, Sendungen zum politischen Zeitgeschehen im Rundfunk und vergleichbare Angebote bei Telemedien, soweit ein berechtigtes Interesse gerade an dieser Form der Darstellung oder Berichterstattung vorliegt.

    zitiert aus:Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – JMStV) http://www.bundespruefstelle.de/bpjm/redaktion/PDF-Anlagen/jugendmedienstaatsvertrag,property=pdf,bereich=bpjm,sprache=de,rwb=true.pdf

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