RIP
RIP

Ossi Urchs, der heute verstorbene Guru des Internets in Deutschland, gehörte nicht zum engen Kreis der Freunde Czyslanskys, obwohl er den Freunden alle nahestand. Unser Sinn für Humor war nicht der Seine – obwohl er einen feinen Sinn für Humor hatte und wir immer viel gelacht haben zusammen. Der Versuch, ihn für die Gesellschaft der Freunde Czyslanskys zu gewinnen, war kein Erfolg. Aber er war ein regelmäßiger Leser und ein strenger Kritiker unseres Blogs. Nur eben im Hintergrund.

Was erstaunlich ist für einen, der immer im Vordergrund stand, der das Rampenlicht genoss und ständig seine Nase in die Kamera hing. Aber niemand wäre deshalb auf die Idee gekommen, ihm zu unterstellen, er dränge sich vor. Die Menschen und die Medien fühlten sich vielmehr zu ihm hingezogen, weil sie spürten, dass er ihnen etwas Wichtiges zu sagen hatte und sie seinen Rat brauchten.

Ossi und ich haben ein Buch zusammen geschrieben. Das heißt: Wir haben „Digitale Aufklärung“ nicht so sehr geschrieben als es im Dialog erarbeitet. Meistens stellte ich, der Journalist, ihm Fragen, und er, der Denker, antwortete. Ich griff die Antwort auf oder an, er erwiderte, und am Ende kam etwas heraus, das mehr war, als wir jeder für sich wohl hinbekommen hätten.

Deshalb fröstelt es mich auch, wenn ich jetzt, wo er nicht mehr hier ist, das Buch in die Hand nehme und darin blättere. Ich höre ihn, wie er langsam und bedächtig seine Gedanken entwickelt und am Ende wie zum Triumph den Finger hebt, als wollte er sagen: Siehst du, das haben wir geschafft!

Im zweiten Kapitel unseres Buchs, das die Überschrift „Vergangenheit und Zukunft der Vernetzung“ trägt, und das noch am Ehesten so etwas wie ein Monograf von Ossi darstellt, schrieb er:

„Kein Wunder, dass diese Idee der Vernetzung, das Denken in vernetzten Zusammenhängen und Metaphern, auch am Anfang der Philosophie, des Nachdenkens über das Denken, stand. Eines der ältesten Zeugnisse menschlichen Philosophierens sind die indischen Upanischaden (ca. 700-200 v. Chr.) Ihr Name bedeutet frei übersetzt: ‚Lehre von den verborgenen Zusammenhängen‘. Und genau darum geht es in diesem ganzen Schriftenkanon: Um mikro- und makrokosmische Zusammenhänge, um das Zusammenwirken und den Informationsaustausch von autonomen Systemen. Es geht also um ‚Netzwerke‘ oder zumindest um eine Vorstellung davon.“

Ossi war der einzige Mensch, den ich kenne, der mühelos in einem einzigen Absatz den Bogen von den frühen indischen Philosophen in die digitale Neuzeit schlagen konnte. Ihm zu folgen war oft ein geistiger Kraftakt, aber es war immer inspirierend. Die Gespräche mit ihm, die werden es sein, die mir vor allem fehlen werden. Der Rest ist Schweigen.

 

4 Antworten

  1. Ossi hat mich, wie so viele, spontan und nachhaltig beeindruckt und fasziniert – professionell, durch seinen Intellekt gepaart mit seiner bodenständigen Menschlichkeit. Mühelos konnte er über konventionelle Grenzen hinweg denken, provozieren und angstfrei visionieren, und dabei war er doch auch multigenerational und fürsorglich verwurzelt in menschlichen Verbindlichkeiten. Er hinterlässt in dieser Welt ein wundervolles Modell ganzheitlich fassbarer und warmer Bewusstseinsspuren.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.