Ist Kopieren gut oder schlecht? Nun, eine Berufsgruppe, die sozusagen von alters her vom Kopieren gelebt hat, sind die Journalisten. „Lieber gut abgeschrieben als schlecht selbst getextet“ gehört zu den geflügelten Worten vieler Mitglieder dieser Zunft, ebenso wie der Spruch: „Einer guten Idee ist es egal, wer sie hat“.
Das hören die Kollegen natürlich nicht gerne. Im Gegenteil: Sie stürzen sich wie die Geier auf jeden Politiker, dem in der Doktorarbeit ein Plagiat nachgewiesen werden kann, was mittlerweile dank ausgeklügelter Software und dem Fleiß einer Schar von freiwilligen Saubermännern und -frauen ziemlich leicht geht.
Dabei sind Journalosten die größten Plagiatoren, die es gibt – und es ist sogar ihre ureigene Aufgabe. Der klassische Reporter ist schließlich nichts anderes als ein Jäger und Sammler. Er ist ständig auf der Suche nach Informationen, die er (jedenfalls meistens) nicht selbst erfunden hat, sondern die er „recherchiert“, also ausgegraben hat. Oft möchten die Besitzer dieser Information nicht, dass ihre Namen veröffentlicht werden, und dann spricht man in Fachkreisen stolz von „Enthüllungsjournalismus“.
Neben dem Reporten von Fakten hat der Journalist die Aufgabe, diese zu kommentieren, was häufig miteinander vermischt wird und die Gefahr der tendenziellen Berichterstattung in sich birgt. Deshalb gibt es in der Tradition des ordentlichen Journalismus auch die Grundregel, dass Kommentar und Berichterstattung streng voneinander zu trennen sind. Das ist in Deutschland anders. Hier sorgten staatliche Zensur und eine weitgehend parteienfinanzierte Presse im 19ten und frühen 20sten Jahrhundert dafür, dass Journalisten mit ihrer Arbeit meistens eine bestimmte Absicht verfolgen sollten: Sie gehörten einem Lager an, und sie neigten dazu, die Fakten danach auszusuchen, ob sie zu der jeweiligen politischen, kulturellen oder weltanschaulichen Botschaft passen, die sich der Journalist und das Blatt, für das er arbeitet, auf die Fahne geschrieben haben. Diese handverlesenen Fakten werden dann in einen Kontext gestellt, der zur jeweiligen Agenda passt. Sie werden also „rekontextualisiert“ – nicht mehr und auch nicht weniger.
Historisch gesehen, sind Journalisten ohnehin ja eng verwandt mit jenen Geschichtenerzählern, die am Lagerfeuer die Mythen und Sagen des Volkes nacherzählten oder auch vorsangen, die sie nicht selbst erfunden hatten, sondern die ihren von Ahnen und Lehrern überliefert worden waren. Bis zur Erfindung der Schriftsprache waren diese Geschichten lediglich Erinnerungsvorlagen, die der Erzähler abwandeln oder ergänzen konnte. So geht beispielsweise die biblische Geschichte von der Sintflut auf Überlieferungen früher Kulturvölker wie Sumerer und Ägypter zurück. Im Gilgamesch-Epos der alten Babylonier (um 2000 v.Chr.) taucht sie ebenso auf wie in der Pūluga-Sage der Einwohner der indischen Andamanen-Inseln und im Popol Vuh der Maya.
Das Journalistenhandwerk ist genau das: ein Handwerk, bei dem früher der Leimtopf eine wichtige Rolle spielte. Pressemitteilungen von Firmen oder offizielle Bulletins der Obrigkeit wurden häufig zerschnipselt, neu arrangiert und mit verbindenden Textpassagen in Handschrift ergänzt. Ob daher wohl der noch heute bekannte Begriff, jemandem oder etwas „auf den Leim gehen“ kommt?
Heute macht man diese Fleißarbeit natürlich elektronisch: Der „Cut & Paste-Journalismus“ wird zwar in Fachkreisen gerne verachtet, ist aber natürlich ein Teil des journalistischen Alltags. Da immer weniger Tageszeitungen sich den Luxus von festen Korrespondenten an den Brennpunkten des Weltgeschehens leisten können, greifen alle auf dieselben Agenturmeldungen, und inzwischen zunehmend auch auf die selben Tweets zurück, die allenfalls gekürzt, umgestellt oder vielleicht auch mal um eigene Inhalte oder Kommentare ergänzt werden.
Wozu aber braucht ein Leser heute noch diese Art der Dienstleistung, wenn er doch dank Internet direkten Zugriff auf die gleichen Informationsquellen hat wie der Journalist, und das in Echtzeit? Wenn Google mir eine per Algorithmus genau auf meine Interessen und Neigungen zugeschnittene Auswahl der Tages-News auf den Computerbildschirm oder aufs iPad zaubern kann, ist die manuelle Vorselektion durch den Journalisten überflüssig. Bereits in den frühen 90ern experimentierte man am MIT in Boston mit der „persönlichen Zeitung“, die nur Nachrichten enthalten sollte, die zum eingegebenen Profil des Lesern passten. Heute ist das für viele Millionen Leser längst gelebte Wirklichkeit, wenn sie sich beispielsweise vom „Wall Street Journal“ oder von „Spiegel Online“ nur noch jene automatisch generierten Nachrichtenhäppchen auftischen lassen, die ihrem Geschmack entsprechen.