…und möglichst auch umsonst!

Von Ossi Urchs und Tim Cole

 

„Information wants to be free“, so lautet die Mantra einer ganzen Generation von Internet-Nutzern, die im globalen Netz einen Garant für Meinungsfreiheit und Menschenrechte sehen. „Paid content“ gilt in solchen Kreisen als Schimpfwort: Künstler und Konzerne sollen ihre medialen Inhalte kostenlos zur Verfügung stellen und sich anderweitig refinanzieren: Über den Verkauf von Services, zum Beispiel, die aus dem „Rohstoff“ Content durch Veredelung Mehrwert schaffen, oder durch Werbung, die um kostenlose Inhalte herum gruppiert werden. Extremisten fordern sogar ein „kommerzfreies“ Internet, getreu dem libertären Grundsatz eines „Menschenrechts auf Informationen“: Wer etwas geheim hält oder nur beschränkt zugänglich macht, begeht ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Auch wenn die Schreiber dieser Zeilen den Gedanken an ein schrankenloses Internet reizvoll findet, so sind wir doch Realisten und wissen: Ohne Moos nix los! Im und mit dem Internet wird viel Geld verdient, und zu glauben, dass es anders sein kann, ist hoffnungslose Utopie.

Schwarze Löcher im Internet

In den USA tobte 2012 eine heftige Debatte über SOPA und PIPA, zwei Gesetzesvorlagen im US-Kongress, die Piraterie und Content-Klau verhindern sollten, und gegen die namhafte Technologiefirmen und Inhaltsanbieter wie Google oder Wikipedia mit dem wohl äußersten Mittel gekämpft sind, die ihnen zur Verfügung stand: durch Abschalten ihrer Websites. Die Schwarzen Löcher im Internet haben Wirkung gezeigt: Selbst Abgeordnete, die an der Formulierung der Gesetzesvorlagen mitgewirkt haben, treten inzwischen auf das Bremspedal und wollen, wie Senator Marco Rubio von den Republikanern, ein Co-Autor von SOPA, das Ganze jetzt etwas langsamer angehen, um Zeit zum Nachdenken über mögliche negative Konsequenzen für die Meinungsfreiheit zu gewinnen.

Aber denken wir doch mal das Modell des „free content“ mal zu Ende. Firmen sollen ermuntert werden, die gratis von Usern zur Verfügung gestellten Informationen durch Dienstleistungen zu monetisieren. Facebook tut das bereits im großen Stil: Sie durchforsten die Profilseiten und Postings von einer Milliarde Benutzern und verkaufen diese „veredelten“ Informationen dann an Firmen, die damit gezieltere Werbekampagnen als je zuvor ersinnen und damit hoffen, reich zu werden. Das passt uns aber auch nicht, denn wir fühlen uns ausspioniert und zu gläsernen Verbrauchern degradiert.

Was nun? Sollen sie, oder sollen sie nicht? Das ist inzwischen das große Dilemma des Internet geworden: Wir alle wollen hochwertige Inhalte für lau, aber wenn die Wirtschaft darauf eingeht und tatsächlich anfängt, alternative Einnahmequellen zu erschließen, ist es uns auch nicht recht.

Es gibt natürlich auch andere Geschäftsmodelle, etwa die des alten Huts: Inhalteanbieter sollen wie Straßenmusikanten die Vorübergehenden auffordern, bei Gefallen eine kleine Spende rein zu werfen; wer gut ist, kann am Ende des Tages ganz gut davon leben, und wer nur Katzenmusik produziert geht leer aus. Das wird schon seit Jahren hier und da praktiziert, aber mal Hand aufs Herz: Wann haben Sie das letzte Mal gespendet? Dachte ich mir…

In den New York Times schreibt Jaron Lanier, der langhaarige Vordenker der virtuellen Realität und neuerdings von Paulus zum Saulus gemendelte Internet-Kritiker: „Meinen Freunden von der Internet-Bewegung muss ich fragen: Was habt Ihr gedacht, was passieren würde? Wir im Silicon Valley haben das Urheberrecht untergraben um das Gewerbe zu zwingen, sich mehr um Service als um Content zu kümmern – mehr um unseren Code als um ihre Dateien. Das unvermeidliche Ergebnis war immer, dass wir dadurch die Kontrolle über unseren eigenen Content verlieren würden, unsere eigenen Dateien. Wir haben nicht nur Hollywood und die altmodischen Verleger geschwächt. Wir haben uns selbst geschwächt.“

Information will in frei sein, das stimmt. Aber umsonst? Das ist mehr als eine reine Frage der korrekten englischen Übersetzung.

Das neue Rechtsempfinden

Viele Diskussionen, die wir heute im Zeitalter der Digitalisierung und Vernetzung führen, sind die Folge der Geschichtslosigkeit weiter Teile der Bevölkerung, aber auch der Politiker, die sich eigentlich ihrer historischen Verantwortung bewusst sein müssten. Kein Thema verdeutlicht das so sehr wie die Debatte über Sinn oder Unsinn des so genannten Urheberrechts. Dabei wird viel mit dem Begriff des „geistigen Eigentums“ um sich geworfen, so dass der Eindruck entstehen könnte, als ob es möglich sei, Ideen so zu besitzen und über sie zu verfügen wie, sagen wir mal, mit einem Einfamilienhaus, einem Auto oder ein Gartengrill.

Dabei ist Eigentum zumindest im bürgerlich-rechtlichen Sinn ganz klar definiert als das Herrschaftsrecht über bewegliche und unbewegliche Sachen. Was sofort die spannende Frage aufwirft: Ist eine Idee, ein Lied oder ein Text, vor allem wenn sie im Grunde nur aus einem Strom von Bits und Bytes besteht, überhaupt eine Sache, und kann man darüber im Zeitalter der beliebigen Reproduzierbarkeit überhaupt noch die Herrschaft ausüben. Notabene: Im Digitalzeitalter gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Original und Kopie. Es geht also nicht wirklich um die Ausübung der Herrschaft über die Sache selbst, sondern um die Kontrolle über den Vervielfältigungsprozess.

Unser Rechtssystem unterliegt einem ständigen Wandel und der Anpassung an sich verändernde Situationen. Das ist auch gut so, denn sonst wären Frauen das Eigentum ihrer Männer, wie das im Rechtssystem des 19ten Jahrhunderts fast überall in Europa festgeschrieben war. Rechte und Rechtsauffassungen sind an bestimmte historische Ereignisse und Epochen geknüpft und unterliegen deshalb einem Alterungsprozess, bis sie irgendwann als obsolet erkannt und auf den Müllhaufen der (Rechts-)Geschichte geworfen werden.

Nicht anders geht es dem Urheberrecht, den es weder in der Antike noch im Mittelalter gab: Die Vorstellung von „geistigem Eigentum“ war unseren Ahnen absolut fremd. Selbst nachdem Guttenberg um 1440 den Buchdruck erfand, stand dem Autoren eines Werks kein Urheberrecht zu, sondern er wurde – wenn überhaupt – vom Drucker für sein Manuskript bezahlt. Was dieser damit machte und wie oft er das Werk verkaufte, das ging den Schreiberling gar nichts an. Autorenprivilegien, mit denen der Schöpfer für sein Werk belohnt wurde, sind eine Erfindung der Renaissance. Dürer besaß beispielsweise ein solches vom Kaiser verliehene Privileg, das ihm allerdings nur das Recht gab, sich als Schöpfer seiner Werke anerkennen zu lassen. Kaufen konnte er sich davon nichts. Das sich Verleger das ausschließliche Recht an der Vervielfältigung von Texten ausbedingen geht auf das England des Jahres 1557 und dem „Statute of Anne“ zurück, das zur Gründung der so genannten „Stationers‘ Company“ führte – eine Art früher Vorläufer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Das Recht zu veröffentlichen erlangte man nun nur durch eine königliche Patenturkunde oder den Beitritt zur Stationers‘ Company. Nur ein Mitglied dieser Gilde konnte „copy owner“ sein, dem automatisch auch das „Copyright“ zugestand. Ob und wie viel er dem Autoren des Werks bezahlte, war seine Sache: Das Copyright bezog sich nur auf das exklusive Recht, Bücher und Pamphlete herzustellen.

Ein Drehbuch für Raubkopierer

Auch Shakespeare hatte mit Piraten zu kämpfen. Das wissen wir nicht erst, seitdem der Katastrophenfilmer Roland Emmerich auf einmal zum Experte für Shakespeare gemendelt hat. Dass er die uralte Kamelle wieder ausgegraben hat, wonach nicht der Barde von Stratford, sondern der Herzog von Oxford der wahre Verfasser der Werke von Shakespeare sein soll, machte seinen Film „Anonymous“ auch nicht besser. Dafür verdanken einige von uns ihm eine wichtige Erkenntnis, nämlich: Auch im Zeitalter Königin Elisabeths I gab es schon Ärger mit Raubkopierern!

Wer dachte, das Digitalzeitalter sei schuld an dem Problem, hat sich gründlich getäuscht. Schon im 17ten Jahrhundert wurde Geisteseigentum geklaut, was das Zeugs hielt: Windige Verleger setzten Schreiber ins Publikum, die mehr oder weniger genau mitschrieben, was da auf der Bühne abging. Kurz darauf erschienen dann billige „Quarto“-Ausgaben von Welthits wie „Romeo und Julia“, „Macbeth“ oder „Hamlet“ auf dem Markt, von deren Erlös der Autor – mag er nun Shakespeare oder Oxford geheißen haben – keinen Penny zu sehen bekam.

Heute setzen sich Copyright-Diebe mit einer Handycam ins Kino oder lassen beim Rockkonzert ein Aufnahmegerät mitlaufen, wobei inzwischen ja schon ein gewöhnlicher iPhone schon so gute Aufnahmen liefert, dass sich davon mühelos DVD-Kopien ziehen lassen. Die Kunst besteht darin, sich nicht vom Platzanweiser erwischen zu lassen, aber wenn der ein ausreichend großzügiges Trinkgeld bekommt (oder wenn der Raubkopierer womöglich der Kinobesitzer selber ist), dann ist das weiter kein Problem.

Vielleicht war Shakespeare auch hier seiner Zeit voraus, denn er hat zeitlebens keines seiner Stücke in Buchform herausgebracht (die „First Folio Editon“ seiner gesammelten Werke erschien erst sieben Jahre nach seinem Tod), sondern er ließ sie aufführen und lebte offenbar recht gut von den Einnahmen an der Abendkasse. Der Text seiner Schauspiele war für ihn im Grunde nur das Rohmaterial, aus dem er unvergessliche Theatermomente schuf. Womit sich der Kreis zu Roland Emmerich und seinen Filmen schließt: Wer interessiert sich schon für das Drehbuch? Wir wollen Action sehen, einstürzende Hochhäuser und riesige Raumschiffe am Himmel! Davon versteht der gute Mann nämlich wirklich was – von englischer Literaturgeschichte dagegen etwas weniger.

Kunst ohne Copyright – Copyright ist keine Kunst

Wer nicht lange nachdenkt, könnte meinen, das Urheberrecht sei so etwas wie ein Naturgesetz, das hat es schon immer gegeben – und vergisst dabei, dass Urheberrecht einfach eine historische Erscheinung war, die in einer bestimmten Situation vielleicht richtig und angebracht war, die aber nicht mehr zeitgemäß ist und deshalb irgendwann wieder gehen muss.

Es gibt unter den bildenden und gestaltenden Künstlern die sagen, der Moment, wo das Ganze in Schieflage geriet war der Augenblick, als wir anfingen, unsere Rechte an irgendwelche Intermediäre abzugeben, zum Beispiel an Musikkonzerne oder Buchverlage, die heute ja den Löwenanteil der Profite einstreichen und dem eigentlichen Künstler in der Regel bestenfalls ein Nasenwasser davon abgeben. Und das, obwohl sie eigentlich nichts anderes tun als den Vertrieb organisieren. Der Ausweg aus diesem Teufelskreis ist für viele Künstler der Selbstverlag via Internet geworden. Courtney Love, die Chefin der Band „The Holes“, behauptet ja, die Künstler sollten wieder einen Hut aufstellen, in das der Zuhörer bei gefallen etwas hineinwirft. Das Geschäftsmodell des Straßenmusikanten wird im Zeitalter der Vernetzung wieder aktuell werden. In China haben es Künstler längst aufgegeben zu glauben, dass sie mit CDs Geld verdienen können: Die Tonträger dienen dort lediglich als Werbemittel, um Zuhörer in ihre Live-Konzerte zu locken. Diese werfen wiederum genügend Gewinn ab, dass der Künstler davon leben kann – wenn er gut ist. Ähnlich funktioniert es übrigens hierzulande seit Jahren mit der Ausstrahlung von Musik im Radio, was auch keinen direkten Gewinn für den Künstler abwirft, aber als sehr wirksames Mittel zur Steigerung seiner Bekanntheit akzeptiert wird.

Große Acts wie Madonna oder die Rolling Stones sind gute Beispiele dafür, wie dieses Prinzip funktioniert. Was die Stones an CDs verkaufen ist überschaubar und bildet nur einen kleinen Teil ihrer Einnahmen. Was richtig Geld bringt sind ihre gigantischen weltweiten Tourneen. Im Zeitalter der Digitalisierung und Vernetzung sind Inhalte beliebig reproduzierbar. Je mehr Content den Leuten zur Verfügung steht, desto mehr werden sie nach authentischen Erlebnissen gieren. Das Wertvolle ist das Konzert, die Oper, das Theaterstück. Das kann man durch sämtliche Kunstrichtungen durchdeklinieren. Problematisch wird es allenfalls bei der Literatur, weil man dort diesen Event-Charakter noch nicht erfunden hat.

Ist geistiges Eigentum Diebstahl?

Im Grunde ist das Ausborgen geistigen Eigentums anderer so alt wie die Kunst. Man denke nur an Brahms „Variationen über ein Stück von Haydn“ oder Platons Dialoge, die auf das Gedankengut von Socrates aufbauen.

Viele Diskussionen, die wir heute führen, beruhen darauf, dass vielen die Geschichtlichkeit ihrer Situation nicht bewusst sind. Man denkt: Urheberrecht ist so etwas wie ein Naturgesetz, das hat es schon immer gegeben – und vergisst dabei, dass Urheberrecht einfach eine historische Erscheinung war, die in einer bestimmten Situation vielleicht richtig und angebracht war, die aber nicht mehr zeitgemäß ist und deshalb irgendwann wieder gehen muss.

Es mag ja einmal im Laufe der jüngeren Zivilisationsgeschichte des Westens einen Zeitpunkt gegeben haben, in dem das Urheberrecht die damals richtige Antwort auf einen konkreten Zusammenhang gewesen ist. Doch das ist lange her. Inzwischen hat sich die gesellschaftliche Entwicklung aus diesem konkreten Problemkreis gelöst und ist zum Allgemeingut geworden, ohne dass heute noch einer so recht weiß, worin das ursprüngliche Problem bestand. Das ging so lange gut, bis sich dieses im Grunde längst überkommene Recht plötzlich in ein Spannungsverhältnis kam zu den digitalen und vernetzten Produktionsverhältnissen, wie sie heute längst selbstverständlich sind.

Die „Geschichtsblindheit“, mit der die Diskussion um das Urheberrecht geführt wird hat dazu geführt, dass es sich aus dem ursprünglichen konkreten Problemkreis gelöst und zum Allgemeingut geworden ist, ohne dass die Mehrzahl der Menschen überhaupt noch gewusst, worin das ursprüngliche Problem bestand. Das konnte aber nur so lange gut gehen, bis dieses Recht in ein Spannungsverhältnis kam zu den modernen digitalen und vernetzten Produktionsverhältnissen. In dieser Situation macht Urheberrecht einfach keinen Sinn mehr. Im Gegenteil: Er hat sich zur Kreativitätsbremse entwickelt und sollte deshalb abgeschafft werden.

Ein gutes Beispiel sind die juristischen Abnutzungsschlachten, die sich Firmen wie Apple und Samsung um Patente für Flach-Geräte wie iPad und Galaxy-Tablet liefern. Wie unser Freund Michael Kausch auf dem Blog www.czyslansky.net verriet, hat Apple per Geschmacksmuster dafür gesorgt, dass kein Wettbewerber ein Produkt anbieten darf , das „vier gleichmäßig gerundete Ecken“, „eine flache, klare Oberfläche“ sowie ein Display aufweist, das „unter der klaren Oberfläche zentriert ist“ und das, „wenn das Produkt eingeschaltet ist, farbige Icons innerhalb des Displays“ anzeigt. .

Dieser Wahnsinn hat Methode: Dadurch sollen andere bewusst daran gehindert werden, etwas Besseres zu bauen als das, was Apple bereits anbietet. Denkt man das zu Ende, ist es das Ende des technischen Fortschritts. Und es ist absurd: Wer heute eine Software entwickelt, greift selbstverständlich auf Dinge zurück, die andere vorher entwickelt haben. Diese werden in neuem Zusammenhang „verarbeitet“, und zwar im wahrsten Sinn des Wortes. Dabei entsteht etwas völlig Neues.

Im Journal „Le Monde diplomatique“ schrieb der niederländische Kunstdozent Jost Smiers: „Das einst schlüssige Konzept des Urheberrechts verwandelt sich so zu einem Instrumentarium, mit dem einige wenige Konzerne die Kontrolle über den geistigen Besitz der Allgemeinheit erlangen.“ Ohnehin würden 90 Prozent der auf diesem Gebiet erzielten Einnahmen an nur 10 Prozent der Künstler verteilt, was die Behauptung, das Urheberrecht diene dem Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Urheber, als bloße Schutzbehauptung entlarvt.

Die Auswirkungen solcher monopolistischen Kontrollstrukturen seien katastrophal, so Smiers, denn verbreitet werde lediglich die Kunst und Unterhaltung, über deren Rechte einige mächtige Konzerne verfügen: „Sie konzentrieren sich darauf, einzelne „Stars“ aufzubauen, in die sie hohe Summen investieren, und verdienen an den Nebenprodukten ihrer Vermarktung. Angesichts des hohen Investitionsrisikos setzen sie auf aggressives, weltweites Marketing, das kulturelle Alternativen aus dem Bewusstsein der Menschen verdrängt.“ Die Vielfalt der künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten bleibe dabei auf der Strecke.

Alte Inhalte in neuem Kontext

In der Literatur spricht man heute von „Rekontextualisieren“. Darauf berief sich zum Beispiel die gefeierte Jungautorin Helene Hegemann, die, wie sich später herausstellte, in ihrem Debütroman „Axolotl Roadkill„passagenweise aus Texten eines vergleichsweise unbekannten Bloggers abgeschrieben hatte, was ihr heftige Plagiatsvorwürfe einbrachte. Die junge Dame bezog sich später leicht verwundert auf gängige literarische Techniken wie die Montage, das Remix, sowie auf ein Schreiben, das den Autorenbegriff in Frage stellt.

Ein anderer Begriff dafür ist Sampling, und es ist eine vor allem unter jungen Künstlern absolut ehrenhafte Arbeitsweise: man greift Gedanken, die jemand anderer hatte, auf, um daraus in einem neuen Kontext etwas Neues zu schaffen. Und auch das ist nicht wirklich neu. In den 70er Jahren fand ein aufsehenerregender Prozess gegen den Hiphop-Künstler Grand Master Flash statt, der Riffs von einer fremden Platte gesampelt und weiterverarbeitet hatte zu einem äußerst erfolgreichen Werk namens „Whitelines“. Er bekam eine Urheberrechtsklage von dem Komponisten des Originalwerks, das aber vom Kölner Landgericht abgeschmettert wurde mit der Begründung, Flash habe daraus ein eigenständiges künstlerisches Werk geschaffen. Die Klangfolge, derer er sich dazu bediente, sei lediglich das Material gewesen, aus dem er ein neues Original geschaffen habe – sozusagen der Ton, den er zu einem Kunstwerk formte.

Wie schwer es ist, in der Kunst überhaupt ein Plagiat nachzuweisen, darauf hat der französische Philosoph Jacques Soulillou hingewiesen. In seinem 1999 erschienenen Buch „L’auteur mode d’emploi“ (was sich in etwa mit „Gebrauchsanweisungen für den Autor“ übersetzen ließe) schrieb er: „Es ist schwierig, in Kunst und Literatur ein Plagiat nachzuweisen, weil es nicht genügt, zu zeigen, dass B aus A geschöpft hat, ohne seine Quellen anzugeben, sondern weil man auch beweisen müsste, dass A aus niemand anderem geschöpft hat. Ein Plagiat aber würde voraussetzen, dass der Rückgriff von B auf A mit diesem endet, denn wenn man belegen könnte, dass A bereits irgendeinen Vorgänger X benutzt und ihn somit plagiiert hat, würde das den Vorwurf gegen B entkräften.“

Wir gehen sogar so weit gehen zu behaupten, dass der Kreativprozess immer und zwangsläufig eine Form des Plagiats (oder genauer: der Rekontextualisierung) ist, weil der Künstler auch nur das, was er an Erlerntem und Erfahrenem in sich aufgenommen hat im Laufe seines Lebens verarbeiten kann. Originalität ist ein Mythos: Auch Einstein musste erst die Erkenntnisse von Generationen von Mathematikern und Physikern verdauen, bevor er eine Relativitätstheorie ersinnen konnte. Selbst das größte Genie steht auf den Schultern großer Vorgänger.

Platt gesagt kann man behaupten: Wenn einer besonders gut abschreibt, sodass daraus ein eigenständiges und ernstzunehmendes Werk entsteht, dann nennen wir es Kunst. Wenn einer schlecht abschreibt und verarbeitet, dann nennen wir es ein Plagiat. In Zukunft wird das allerdings höchstens ein Werturteil sein, kein juristisches. Niemand wird mehr sagen: Das ist ein Plagiat, also bist du ein Verbrecher, sondern man wird sagen: Das ist ein Plagiat, und deshalb ist es langweilig. Keiner wird es kaufen oder nutzen. Oder umgekehrt: Wenn es ein sehr gutes Plagiat ist, werden die Menschen bereit sein, dafür Geld zu bezahlen, um es anhören oder besitzen zu können. Wenn Emerson, Lake & Palmer „Fanfare for the Common Man“ als Rockversion spielen, bleibt es immer noch erkennbar Aaron Copelands berühmtes Fanfarenstück, aber es ist jetzt ein ganz anderes Stück geworden als es vorher war.

Dirk von Gehlen schlägt in seinem Buch „Mashup“ eine Unterscheidung in Plagiat (mit Täuschungsabsicht) und Kopie (mit der Verarbeitungsabsicht) vor. Eine hochinteressante Idee. Sollte man sich mal ausborgen…


Dieser Text entstammt dem Buch „Digitale Aufklärung“, das ich zusammen mit meinem Freund Ossi Urchs 2013 veröffentlicht habe. Aufgrund aktueller Debatten um das Thema Urheber- und Patentrecht wiederhole ich ihn hier.

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