Da war er wieder – dieser eklige judaphil-antisemi-tische Standlospunkt, der mich seit Jahren erbost: „Ich habe nichts gegen Juden, wirklich nicht, aber Juden und Israel, das sind doch zwei verschiedene Dinge. Man kann das eine mögen ohne das andere zu akzeptieren.“
Um es ein letztes Mal zu sagen: NEIN, DAS KANN MAN NICHT! Israel ist eine Heimat jedes Juden – und das aus gutem Grund.
Aufgekommen ist die unselige Diskussion anlässlich meiner Empfehlung des Großen Gesangs des Jizchak Katzenelson in der ganz formidablen Übertragung von Wolf Biermann. Ich empfehle dieses Werk gerne und jedem, der sich für jiddische Kultur interessiert, aber selbst die Mameloschn nicht spricht. Und eben da kam sie wieder, diese bei Linken gerne geübte Unterscheidung zwischen Juden und Israel, eine Unterscheidung, die nicht aufgehen will.
Israel ist eine Heimat für jeden Juden, sei er Zionist oder nicht. Und natürlich darf man Israel ebenso kritisieren, wie man jeden Juden kritisieren darf. Wer sich beides nicht erlaubt, agiert antisemitisch, ob er will oder nicht. Wer aber Israel angreift, der greift immer zugleich das Judentum an.
Warum das so ist, das möchte ich am liebsten mit einer sehr persönlichen Erfahrung vermitteln:
Ich saß in einem Straßencafé im so ganz und gar unorthodoxen Haifa. Um mich herum ein wildes Gehupe drängelnder Autofahrer, kreativ-anarchisch cruisende Mopedfahrer, laute Gruppen hipper Jugendlicher, eng umschlungene Liebespaare, debattierende Freunde am Tisch. Kurz: die Szene könnte auch am Boulevard du Montparnasse spielen oder in der Oranienburger in Berlin oder im Warschauer Praga.
Mit einem Unterschied: nur hier kann ein Jude alles sein. Er kann der Bankräuber sein und der Besitzer der ausgeraubten Bank; der Polizist, der den Räuber verhaftet und der Anwalt, der ihn vertritt; der Richter, der ihn verurteilt und der Sozialarbeiter, der ihn in die Gesellschaft integriert; der unverschämte Hausbesitzer, der ihm die Wohnung verweigert und der mittellose Untermieter. Nur hier in Israel kann ein Jude alles sein und ist ein Jude alles. Der Kapitalist im deutschen Mercedes, der linke Student, der Bettler, Soldat und Friedenaktivist. Nur in Israel kann ein Jude alles sein. Und nur hier ist er alles.
So ist Israel entstanden: als Antwort auf Anti-Semitismus und Entrechtung; als Antwort auf die ewigen antisemitischen Pogrome in Ost und West und natürlich als Konsequenz der unendlich schmerzhaften Geburtswehe der Shoa.
Weil Jüdischkeit nur in Israel ubiquitär ist, ist Israel eine Heimat aller Juden. Und wer das Existenzrecht Israels nicht bedingungslos anerkennt, der schreibt den Antisemitismus fort.
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Kleine Anmerkung zur aktuellen politischen Situation in Israel
Ja, es stimmt: Israel wählt seit Jahren mehrheitlich nicht die Friedenspolitiker. Und nicht nur in Wahlen, sondern auch in allen aktuellen Umfragen steht es um die Friedensbewegung in Israel nicht gut. Aber dürfen wir uns nach unseren letzten Landtagswahlen darüber echauffieren? Sollten wir es da nicht lieber mit Schimon Peres halten, der im SZ Magazin vom 4. März diesen Jahres so wunderbar formulierte:
„Die Menschen ändern ihre Meinung andauernd. Deshalb sollte man nicht allzu viel auf Umfragen geben. Mit Umfragen verhält es sich wie mit Parfum: Riecht gut, aber schlucken sollte man das Ganze besser nicht.“
Zweite kleine Anmerkung zum „Großen Gesang“. Das Buch ist bei Hoffmann und Campe erschienen. Das E-Book gibt es noch, auch das Taschenbuch. Die gebundene Ausgabe ist (derzeit) vergriffen.
3 Antworten
Lieber Moische Kausch,
Ein Staat ist ein Staat, eine Religion ist irrationaler Schwachsinn. Du kannst die beiden nicht in einen Topf schmieissen. Als Staat muss sich Israel an gewissen zivilisatorischen und ethischen Grundwerten messen lassen. Eine Religion muss das nicht – und kann es auch nicht. Es gibt gute Gründe, weshalb wir in der aufgeklrten westliche Welt eine Trennung eingezogen haben (außer in Bayern). Und wir wehren uns auch aus gutem Grund gegen jede Aufweichung des Sekularprinzips, beispielsweise in meiner Heimat, wo es aber immer schwieriger wird, dem Kasier zu geben, was des Kaisers ist und umgekehrt. Israel ist heute ein semifaschistischer, auf jeden Fall aber ein kolinalistisch agierender Unterdrückerstaat, und er kann sich nicht vor entsprechenden Vorwürfen schützen, indem er jeden Kritiker automatisch als Antisemiten verunglimpft.
Nicht jeder Jude ist Israeli.
Und nicht jeder Israeli ist Jude.
=> Israel und Juden sind nicht dasselbe.
q.e.d.
Aber Dir geht es ja um was anderes. Du hältst Israelkritik für verkappten Antisemitismus, was er vielleicht ja bei einigen ist. Aber eben nicht generell!
Ich finde es generell ungehörig, Kritik an Staaten zu üben, über die man nicht profunde Kenntnisse hat, i.e. dort lebt. Aber da das nicht nur für Israel gilt, hilft uns das nicht weiter.
Ich bin auch immer völlig begeistert, wenn ein Berliner über Bayern schwadroniert.
Und so kritisiere ich weiterhin Israel nicht, aber dieser Grund wird Dir nicht reichen …
Antisemitismus hat mit Staat so wenig zu tun, wie mit Religion. Allerdings ist der Staat Israel die Absicherung einer Gemeinschaft ohne Antisemitismus. Darum geht es mir, nicht um Religion. Und es geht mir um den urdeutschen Begriff der Heimat. Heimat, die mehr sein will als der Zugang zu Bankbesitz und Bankräuberei ist mir suspekt. So ist Israel Heimat nicht aus religiösen, kulturellen oder gar völkischen Gründen, sondern wegen der einzigartigen Abwesenheit von Antisemitismus, wegen der Chance auf Bankbesitz und Bankräuberei.