saxophon

Jazz aber - Fünf aus der sechsten Plattenkiste

„Jazz ist die Musik, die bei simpelster melodischer, harmonischer, metrischer und formaler Struktur prinzipiell den musikalischen Verlauf aus gleichsam störenden Synkopen zusammenfügt, ohne dass je an die sture Einheit des Grundrhythmus, die identisch durchgehaltenen Zählzeiten, die Viertel gerührt würde.“ Ist ja gut, Theo. Geh wieder spielen. Wir wissen ja, dass du viel Schlaues gesagt und geschrieben hast, aber auf Jazz halt doch immer nur Hatz gereimt hast. Mit Adorno in der Unterfahrt gehen, nein, das hätte keinen Spaß gemacht. Ihm nicht, mir nicht. Niemanden.

Was Jazz wirklich ist, wird man bei ihm nicht lernen. Aber ich weiß es auch nicht. Die Wikipedia meint, es sei eine Kombination aus europäischer Melodik und einer Rhythmik, die sich auf afrikanische Wurzeln beruft. Kann man so sagen, ist aber Quatsch. Volker Kriegel, der begnadete Saxophonist (guckst du unten),  macht es sich einfach, wenn er augenzwinkernd anmerkt: „Jazz ist immer, wenn ein Saxophon dabei ist.“ Das mag ich. Dann bin ich Jazzer. Thelonios Monk (der kommt natürlich unten über Volker) gibt zu: „Ich habe keine Definition von Jazz. Man muss ihn einfach erkennen, wenn man ihn hört.“ Muss man das? Ach, es ist alles so kompliziert. Ich glaube, ich werde mich dem „Kuhlegen“ Urs Mannhart anschließen. Von Ihm stammt die für mich letztgültige Definition: „Jazz ist das salatgrüne Hemd, das nicht in den Hosenbund will.“ Damit kann ich arbeiten. Fürs Erste. Ich hab mal fünf Platten zusammengesucht, die irgendwie mit Jazz zu tun haben.

Mance Lipscomb: "You'll never find another Man like Mance."

Wo kommt der Jazz her? Hier kommt der Jazz her: vom Blues. Also gehen wir am Anfang mal back to the roots. Eine Aufnahme von 1964. In Vinyl gepresst 1978. Mance wurde als Sohn eines Sklaven in Alabama geboren. „Mance“, der Name leitet sich von „Emcanipation“ ab und steht stellvertretend für einen lebenslangen Kampf um die Anerkennung von Menschenrechten der Schwarzen in den USA. Er war ein Meister des Fingerpicking und ein wunderbarer Blues-Musiker. Er gehört in eine Reihe mit Leadbelly, Mississippi, John Hurt und Blind Lemon Jefferson. Viele seiner Songs wurden auch von Größen wie Bob Dylan oder Eric Schmidt interpretiert. Umgekehrt hat er zahlreiche große Folks Songs gespielt, die später von Dylan aufgegriffen wurden, ja die Dylan vermutlich erstmals bei ihm gehört hat, etwa das bekannte „Corinna, Corinna“, eigentlich ein Lieder aus der Schwarzen Community.

Auf dieser Platte sind einige seiner größten Songs versammelt, ein Auszug: Meet me in the bottom, Keep on trucking, Alabama Bound, Mance#s St. Lous Blues, Joe Turner killed a man.

Thelonious Monk: "Thelonious alone in San Francisco"

Eine Platte, so alt wie ich. Also ein hervorragender Jahrgang ;-). Logisch. Und wie bei mir gab es bei der Geburt fast kein Publikum. Alles spielt in einem kleinen intimen Rahmen. „Everything Happens to Me“ passt als Titel ja auch irgendwie auf beide Ereignisse. „Round lights“ waren hier wie dort angesagt. An einen „Blue Monk“ kann ich mich in meinem Fall aber nicht erinnern. Aber „Blue Monk“ gehört zu Monks ganz großen Standards. Ähnlich wie „Ruby, my dear“. Und beide Standards finden sich auf dieser Platte. „Round midnight“ hätte auch wunderbar zu meiner Geburt gepasst, ist aber leider nicht auf der Platte. Aber was red ich denn …

Viele meinen, diese LP sei die beste, zumindest aber die wichtigste Platte, die der Meister je bespielt hat. Und das ist wohl auch so. Es ist seine dritte Solo-Scheibe. und sie ist recht homogen geraten. Eigentlich durchgehend im einheitlichen Tempo, alle Stücke etwa gleich lang, sechs der zehn Stücke sind Eigenkompositionen, drei mal ein Blues in b. Aber es wird nie langweilig. Monk holt ein Orchester, was sag ich, ein ganzes Leben aus seinem Instrument, er bringt sein Klavier zum Schluchzen und zum Jauchzen. In „Ruby, my dear“ tastet er sich in zahlreichen Ostinato-Schleifen durch den kompletten Tonumfang seines Instruments.

„This is a personal and introspective recital which doesn’t raise the temperature but gets close to the heart of Monk’s style.“ Das schreibt Brian Priestley zum Beispiel. Und Bendetto Colagiovanni von der University of Missouri meint: „Any fan of jazz should take advantage of the rare opportunity to hear Monk perform in an intimate environment on his own terms. The chance to hear such a jazz master performing solo is truly a treasure, and is one not to be missed by any jazz fan wanting to further his or her knowledge of America’s greatest export.“ Wie recht er hat.

Tony Lakatos mit Bacillus: "Sing-Sing Song"

Eine Platte von 1983. Tony Lakatos ist ein ungarischer Jazz-Musiker und spielt Tenor-, Sopran- und Alt-Sax. Lakatos hat das Musizieren als Mitglied der Roma-Musiker-Truppe seines Vaters gelernt. Als Jugendlicher spielte er Geige, nach eigener Einschätzung aber nicht wirklich gut. Früh begeisterte er sich für das Saxophon und auf diesem Gebiet ist er heute ein Meister. In seinen Münchner Jahren spielte er öfter mal im Allotria und in der Unterfahrt auf, zwei Jazz-Kneipen, in denen ich auch gelegentlich in den achtziger Jahren schöne Abende verbrachte. Sing-Sing Song mit seiner Band Bacillus ist eine seiner frühen Platten und steht ganz gut für seine Münchner Jahre. Sehr lyrischer Jazz. Auch seine späteren Platten lohnen sich sehr. Von 1993 bis 2021 war er Mitglied der Bigband des Hessischen Rundfunks. Angeblich war er an der Einspielung von mehr als 200 Platten beteiligt. Das wäre dann wohl ein eigenes Sammelgebiet. Es würde sich lohnen.

Albert Mangelsdorff: "Hot Hut"

Albert Mangelsdorff war wohl der größte Jazz-Posaunist, den es je gab. Sein mehrstimmiges Spiel hat mich immer fasziniert und mit seinen Soloaufnahmen (ich sag nur „Trombirds“) habe ich einmal eine Mitfahrerin zum Aussteigen gebracht. Diese Musik war nicht für jede(n). Eine knappe Stunde Posaune und sonst nix. Einer spielt – einer hört. Ganz was Feines. Auf „Hot Hut“ von 1985 aber spielt er mit seinem alten Spezl Wolfgang Dauner vom United Jazz and Rock Ensemble und mit Anders Jormin und Elvin Jones. Und Albert singt ein wenig. Aber das tat er eigentlich immer, denn die zweite Stimme in seiner Posaune entstand ja als Singstimme in seinem Instrument. Also einen Ton hat er reingeblasen und zusätzlich hat er reingesungen. Eine spezielle Form der Obertontechnik, die in den 70iger und 80iger Jahren kaum ein Jazzer beherrschte. Übrigens eine Technik die, soweit ich weiß, Horn-Bläser im Barock entwickelt haben. Für ein farbenreiches Spiel war das ja eine große Zeit.

Für Gutwillige ist Hot Hut fast schon eingängiges Easy Listening. Seriöse Menschen nennen es wohl Avantgarde Jazz. Das ist die Schublade, in der alles verschwindet, was man nicht so recht zuordnen kann. Muss man auch nicht.

Volker Kriegel & Mild Maniac Orechstra: "Live in Bayern"

Jeder kennt jeden über dreieinhalb Ecken. Jedenfalls in Facebook. Sagt Facebook. Das heißt aber noch lange nicht, dass jeder mit jedem schon mal über dreieinhalb Bühnen auf der Bühne stand. Immerhin stand ich schon mal mit einem auf der Bühne, der schon mal mit einem auf der Bühne stand, der schon mal mit Volker Kriegel auf der Bühne stand. Und der ist nun wirklich eine deutsche Jazz-Legende. Mit dem Mild Maniac Orchestra tourte er in den 70igern durch die Lande, an den Stöcken Evert Fraterman aus meiner Heimatstadt Ansbach. Und der ist nun selbst wieder eine Legende. Platten mit Dick Heckstall-Smith, Eberhard Schoener und und und. Hier also Volker Kriegel und das Mild Maniac Orechstra: Live in Bayern.

Illustrationen © Michael Kausch

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