Der Grund für den an dieser Stelle häufig beklagten Niedergang des Qualitätsjournalismus ist jetzt gefunden worden, jedenfalls in Großbritannien, aber es gibt keinen Grund zu glauben, dass es hierzulande anders ist.
Schuld ist natürlich der Alkohol!
Das mag zunächst keinen überraschen, der je eine Redaktionsstube von innen gesehen hat. Die Whiskyflasche neben der (mechanischen) Schreibmaschine – Czyslanskys alte Remington lässt grüßen – gehört zu den klassischen Stereotypen der Filmgeschichte. Aber wie das so ist mit Vorurteilen: Manchmal stimmen sie.
Einer Studie der Gesundheitsbehörde National Health Service (NHS) zufolge schaut der Berufsstand der Medienschaffenden deutlich tiefer ins Glas als jeder andere. 44 so genannte Alkoholeinheiten pro Woche – das entspricht etwa 4 Flaschen Wein oder 19 Glas Bier – lassen sich Journalisten, Rundfunkreporter, Drehbuchschreiber und andere „media moguls“ im Schnitt durch die Kehle rinnen. Das ist etwa ein Drittel mehr als die Beschäftigten der IT-Branche, die es auf 34 Einheiten pro Woche bringen, dicht gefolgt von Menschen, die im Dienstleistungsgewerbe ihr Brot verdienen (33 Einheiten). Am anderen Ende der Skala rangieren Lehrer, Menschen im Reisegewerbe sowie Berufskraftfahrer (24 Einheiten).
Unklar ist, ob ein kumulativer Effekt beobachtet wurde, beispielsweise der, dass IT-Journalisten eigentlich ständig betrunken herumlaufen, wofür es aber empirische Hinweise gibt.
Ich habe neugierdehalber die Pressestelle des NHS angerufen und wurde mit jemandem verbunden, die sich „Niken Wresniwiro“ nannte. Fairerweise muss man sagen, dass es kurz vor Feierabend war, und vielleicht hatte die junge Dame auch schon eine schwere Zunge (Dienstleistungssektor!). Jedenfalls bestätigte sie den Befund, gab aber den Schwarzen Peter den bösen (oder lieben, je nach Sichtweise) Kollegen. „Bei den Journalisten ist der Druck der Mitarbeiter besonders groß, nach der Arbeit einen trinken zu gehen, das scheint irgendwie zur Arbeitskultur zu gehören.“ Stimmt genau: Ich kann das bestätigen. Du weißt, wer gemeint ist, Michael!
Im übrigen scheinen Journalisten wenigstens nur aus Spaß an der Freude zu saufen und nicht, weil sie es zur Entspannung brauchen. Da sind die Weicheier im Lehramt schon wesentlich anfälliger: 52% von ihnen gaben an, nach Feierabend Alkohol trinken zu müssen, um sich vom Tagesstress zu erholen. Stress? Drei Stunden Unterricht am Vormittag und nachmittags eine halbe Stunde Klassenarbeiten korrigieren? Ich würde so einen gerne nach dem Nachtdienst in einer Hamburger Lokalredaktion sehen.
Dafür neigen Lehrer dazu, ein viel schlechteres Gewissen zu haben als andere Trinker. Sie zählen auch besser mit: Der Studie zufolge neigen mehr als die Hälfte der Pädagogen dazu, ihre Alkoholeinheiten im Kopf zusammen zu rechnen; bei den Journalisten sind es weniger als ein Drittel.
Andererseits: Lehrer müssen nicht jeden Tag um ihren Job bangen, denn noch macht eLearning keine Anstalten, den traditionellen Lehrkörper abzulösen. Wir Journalisten wissen wenigstens, warum wir laufend unseren Kummer ertränken. In Wahrheit ist das Internet nämlich an allem schuld!
Darauf trinke ich jetzt mal einen!
Interessant wäre natürlich jetzt eine „Saufen Blogger weniger als Journalisten“ Diskussion loszutreten. Hast du dazu valide Zahlen, Tim?
Ist der Alkohol, den Journalisten trinken qualitativ hochwertiger als der mit dem sich Blogger zuschütten? Talisker-Rüscherl vs. Jim Beam-Cola?