Justin Steinfeld Califa

Justin Steinfeld: Califa. Oder: Die Liebe zu einer Starkstromtechnikerin.

Justin Steinfeld. Den kenn ich doch. Der liest doch Zeitung. Und den habe ich auch schon mal hier vorgestellt. Das war auch bitter nötig. Denn den kennen viel zu wenig Menschen. „Ein Mann liest Zeitung“ galt lange Jahre als sein einziger Roman. Und den habe ich verschlungen. Nicht nur weil ich selbst ein leidenschaftlicher Zeitungsleser bin, sondern weil dieser Steinfeld ein ganz wunderbarer Geschichtenerfinder und -erzähler war.

1886 als Jude in Kiel geboren, 1970 als Emigrant in England gestorben. Dazwischen als kommunistischer Journalist in Hamburg und Prag gelebt. Und anderswo auch. Califa hat er 1955 in London geschrieben. Das Manuskript blieb unveröffentlicht – bis 2024. Im März dieses Jahres fand es endlich einen Verlag. Und es wurde höchste Zeit.

Denn dieser Roman ist ausgesprochen ungewöhnlich, eine krude Mischung aus Science Fiction (was ich so gar nicht mag, vom Raumschiff Orion mal abgesehen), Politthriller (die selten gut sind, weil selten „thrillig“) und Humoreske (kann funktionieren wenn sie von der Insel kommt, und das tut sie ja).

Um was geht es in Califa?

Schwer zu sagen … Auf der anderen Seite des Ozeans gibt es eine Supermacht mit Namen Nomandy. Dort besitzt man ein Element, mit dem man Atomwaffen basteln kann. Im Osten gibt es auch eine Supermacht mit Namen Cistransatia. In Potatis treffen beide Supermächte aufeinander. Potatis, einst das Land der Dichter und Denker, steht natürlich für das zerrissene Deutschland der 50iger Jahre.

Hier beraten Politiker, Börsen schließen, Wissenschaftler forschen und alles gerät recht possierlich durcheinander. Man glaubt immer wieder bekannten Politikern zu begegnen, einigen aus den 50iger Jahren – logisch – aber auch welchen aus Ampel-Koalitionen und EU-Regionen. Es ändert sich über die Jahrzehnte wohl gar nicht so viel. Justin Steinfeld erweist sich einmal mehr als Prophet des Wahnsinns.

Sprachlich reicht Califa bei weitem nicht an „Ein Mann liest Zeitung“ heran. Aber natürlich gibt es auch in Califa wieder „schöne Stellen“, die zu lesen reichlich Wohlgefallen bereitet. Etwas wenn Steinfeld die dürre Einfalt der Militärpiloten beschreibt:

„Auf der Pilotenschule 17B herrschte eine besonders starke Disziplin. Disziplin muss bei militärischen Formationen nun einmal sein. … Was heißt Disziplin haben? Aus der Summe des Möglichen das Notwendige errechnen und dieses Notwendige aus Erkenntnis und also freiwillig tun. … Disziplin war Eines und der ewige Salat und die flaue Krautsuppe und Rahm und Milch und saure Milch in blauen Glasschalen und Äpfel und Orangen und Citronenlimonade und schwarzes Brot und langweilige Kartoffeln und gelegentlich mal ein mit dem Seziermesser geschnittenes, dünnes Scheibchen Fleisch war uf die Dauer ein Anderes. Mit der ewig gleichgestellten Diät träumte man ja schon nichts Vernünftiges mehr und man muss sich schon Wachträumen hingeben, um einmal an ein gewaltiges Beefsteak mit gepfefferten Gurken zu denken und an eine Gänsekeule in Gelee und eine Flasche schwerfließenden Burgunder und einen Quarkkäse, der nicht Quark, sondern auch ein Haufen Paprika ist und den Paprikabrand muss man mit Pflaumenschnaps wegspülen und eine Mohnkuchentorte, mit Honig und Rosinen und Korinthen und ein Schuss Rum darüber weg. Von anderen Dingen gar nicht zu reden, von denen sich träumen ließe und auf die man, verdammt noch mal, Erlebnisrechte hätte. Stattdessen Disziplin und Diät … Das sind die Piloten von 17B und das muss so sein, wenn man über 400 Meter in der Sekunde fliegt.“

Dass Justin Steinfeld sich besonders blenden ließe von schicken Uniformen kann man nicht gerade behaupten. Fürwahr nicht. Ein schönes Buch. Ein friedliches Buch am Vorabend eines Atomkriegs. Ein hochaktuelles Buch. Justin Steinfeld: Califa. Oder: Die Liebe zu einer Starkstromtechnikerin. Edition Nautilus. 24 Euro. Lesen!

Illustrationen © Michael Kausch

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