09. Januar 2014 – Hamburg
Czylansky muss nach guter Väter Sitte zu allem seinen Senf hinzugeben. Wieso nicht auch zu diesem Thema. Und Czyslansky kann auch sooo politisch korrekt sein.
Wie nun, so mag man sich angesichts der Überschrift fragen, mag der Satz richtig weitergeführt werden?
Thomas Hitzlsperger outet sich als schwul und… in China fällt ein Sack Reis um.
Das wäre natürlich zu schön, um wahr zu sein. Denn der zweite Halbsatz würde ja dem ersten Teil seine Belanglosigkeit attestieren. Diese Meldung wäre dann einfach irrelevant. Das aber kann sie aber nur sein, wenn es in einer Gesellschaft vollkommen egal ist, ob ein ehemaliger Fußballnationalspieler lieber mit Frauen oder anderen Männern ins Bett geht. Ist es aber leider nicht – zumindest nicht in unserer Gesellschaft. Daher lautet die richtige Satzergänzung
Thomas Hitzlsperger outet sich als schwul und… in Deutschland fällt ein Server um.
Denn selbiges ist gestern passiert. In der heutigen Ausgabe der „Zeit“ ist ein umfangreiches Interview mit dem ehemaligen Nationalspieler veröffentlicht worden. Tags zuvor kündigte Zeit Online an: Im ZEIT-Interview berichtet Hitzlsperger unter anderem über die Lebensphase, in der seine Homosexualität für ihn selbst zum Thema wurde und über die Reaktionen von Bundestrainer Joachim Löw und dem Teammanager Oliver Bierhoff, nachdem er sie darüber informiert hatte, mit dem Thema an die Öffentlichkeit zu gehen.
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Meldung – nein, wie eine Druckwelle einer Bombenexplosion. Keine Nachrichten- oder Klatschseite im Netz, keine Sport- oder Fußballseite, kein Blog, der sich mit Fußball beschäftigt, keine Schwulenseite, die das nicht aufgriff. Innerhalb kürzester Zeit waren die Social-Media-Plattformen von Facebook bis Twitter gesteckt voll mit der „Story“… und dem Link auf „Zeit Online“. Das ging schließlich soweit, dass wegen zu hoher Zugriffszahlen der Server gestern vorübergehend in die Knie gegangen ist.
Auch das, wen wundert’s, war gestern abend eine Meldung und der „Zeit“ einen Twitter-Eintrag wert.
Das war von der „Zeit“ sehr geschickt getaktet: Das Interview platzt mitten in die fußballarme Phase zwischen Hin- und Rückrunde. Die Fans fiebern nach Meldungen, Neugikeiten und Berichten. Der Transfermarkt gibt nicht viel her außer lange Erwartetem und Gerüchten. Da funktionierte Hitzelspergers Outing eben wie eine Bombe. Lange ist der „Zeit“ nicht mehr so ein Medien-Coup gelungen, die Verkaufsauflagen mit dem vollständigen Interview dürften immens werden. Respekt.
Derweil hat die Netzgemeinde sich zum Thema längst eine Meinung gebildet. #Hitzelsperger gehört zu den Top-Trends bei Twitter und hat längst #Schumi abgelöst. Unter Meldungen und Blogeinträgen reihen sich Kommentare an Kommentare.
Der Tenor ist einhellig: Lob, Anerkennung und Respektbekundungen reihen sich nahezu endlos aneinander. Nicht selten liest man wie oben erwähnt: Eigentlich bedauerlich, dass die Gelellschaft noch nicht so weit ist, dass so etwas keine Meldung mehr wert. ist. Das Thema trifft einen Nerv in der Bevölkerung und könnte vielleicht eine längst überfällige Diskussion über Homosexualität im Sport in Gang setzen. Denn gerade in den Männerdomänen wie Fußball ist Schwulsein ein Tabu, dann doch ein Riesenproblem. Einen Hauch davon konnte man mitbekommen, als im März 2011 ein TV-Tatort den Mord an einem schwulen Fußballer zum Inhalt hatte. Damals aber verebbte die Auseinandersetzung trotz wohlwollender und gut gemeinter Kommentare in den Medien noch bevor sie begonnen hatte. Das Real Life ist dann doch wohl etwas anderes.
In der Tat ist ein kerniges „Du schwule Sau, ich mach dich fertig“ noch immer eine probate Beleidigung und Kampfansage für den Gegenspieler oder den Fan der gegnerischen Mannschaft und wird auch als solche empfunden. Angesichts dessen und angesichts des übersteigerten Machismus einiger Weltfußballer wundert es nicht, dass sich schwule Spieler, wollen sie bei den Topmannschaften der ersten Ligen dabei sein oder sich ein WM Ticket sichern, lieber still verhalten.
Da sind breite positive Reaktionen wie in den zahllosen Kommentaren im Netz hoffentlich ein Signal.
Weniger erbaulich allerdings sind die sich gleichzeitig in die Leser- und User-Kommentare eingenisteten Outings: Da werden munter Namen von Spielern, einigen Trainern, Schiedsrichtern und Funktionären in den Raum gerufen. „X! Trau Dich!“ ist dort ebenso zu lesen wie „Bin gespannt, wann der Y sich outet!“. Obwohl sicherlich gut gemeint, ist eher zweifelhaft, ob das im Sinne der genannten Personen ist. Wie so oft erweist sich hier das Netz, insbesondere im nichtmoderierten Teil der sozialen Medien als Gerüchteküche par excellence. Klatsch im Treppenhaus ist Nichts dagegen!
„Der Q ist auch schwul!“ schreibt einer, worauf ein anderer kommentiert: „Glaub ich nicht, der doch nicht!“. Das bleibt nicht unbeantwortet: „Klar ist der schwul. Als der noch nicht so bekannt war, hat der sich dauernd auf gayromeo rumgetrieben!“. Ah ha.
Der Spekulation und Gerüchte haben ein riesiges Feld – größer als ein Fußballplatz. Viel größer…
A propos Spekulation: Wohl keine Frage dürfte es sein, dass bei einem möglichen nächsten medialen Sportler-Outing die Server der vermeldenden Medien stabil bleiben werden. Das dürfte dann wohl weniger an den Zugriffszahlen und der Neugier der Leser liegen. Vermutlich werden dann höhere und bessere Rechnerkapazitäten bereitstehen.