Die Wut ist groß im Zwitscherland. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn nun hat nach Ansicht zahlreicher deutscher Zwitscherer Alex Bitschnau den Bogen überspannt. Und das bei weitem.
Vor Jahr und Tag hatte Bitschnau die famose Idee, eine Facebook-Fanpage einzurichten und unter dem Namen „Made My Day“ tagtäglich lustige, witzige und geistreiche Sinnsprüche zu veröffentlichen. Das ist nun nicht nach Jedermanns Geschmack, aber immerhin gefällt es mittlerweile über 2 Mio. Leuten, die Fans dieser Seite lassen und sich nun täglich von Bitschnau ein kurzes Lächeln ins Gesicht zaubern, wenn auf ihrer Pinnwand wieder eines seiner Bonmots erscheint.
Seiner Bonmots?
Eben nicht. Denn Bitschnau erntet bei Twitter. Was nichts anderes heißt, als das er auf dieser Plattform alles, was ihm gefällt und was er für geeignet findet, herauskopiert, in einen Rahmen presst und unter seinem Label bei Facebook wieder hochlädt. Die einen nennen es Tweetklau, die anderen Urheberrechtsverletzung, wieder andere Diebstahl geistigen Eigentums.
Wie dem auch sei: Bitschnau ficht das alles nicht an, er steht auf dem Standpunkt, was bei Twitter veröffentlicht werde, stehe der Allgemeinheit zur Verfügung. Also auch ihm. Und nach dieser eher fragwürdigen Auffassung greift er ab, was er brauchen kann und bedient seine Facebook-Klientel.
Natürlich blieb das Treiben nicht lange unbemerkt, viele Twitterer tummeln sich auch bei Facebook (auch wenn es die wenigsten zugeben) und viele haben bei „Made My Day“ entdeckt, was sie selbst vor einigen Wochen ihren Gehirnwindungen abgerungen haben. Nur mit dem Unterschied, dass jetzt nicht mehr ihr Name darunter steht, sondern „Made My Day“. Den Facebook-Anhängern scheint das egal zu sein, Facebook selbst auch, jedenfalls war das Ganze so erfolgreich, dass Bitschnau nun einen Schritt weiter gegangen ist.
In geradezu plattetester Koinzidenz zu den 140 Zeichen, die man bei Twitter schreiben darf, hat er 140 der seiner Meinung nach besten Tweets zusammengestohlen und sie zwischen Buchdeckel gepresst. Erhältlich unter dem Titel „Ich brauche einen neuen Wecker. Meiner klingelt immer, während ich schlafe: Sprüche, die dir den Tag retten“ ist seine Anthologie jetzt in gedruckter Form erschienen. Zum Preis von € 9,99 kann also jetzt jedermann das lesen, was er auf Twitter auch umsonst bekommen kann: Geistreiches, Witziges, Zynisches, Geniales. Pikanterweise unter dem Autorenname „Anonymus“.
Seitdem toben viele Twitterer im heiligen Zorn gegen Bitschnau und gegen das Buch. Und sie wehren sich nach Leibeskräften. Da Bitschnau bisher auf rechtlichem Weg nicht beizukommen ist, wird gegen „Made My Day“ getwittert, was das Zeug hält. Twitterer haben angekündigt, das Buch zu kaufen, Seite für Seite abzufotografieren, die Seiten polemisch zu verändern und das Ganze sowohl bei Twitter als auch bei Facebook hochzuladen. Das Ganze soll dann durch Teilen viral weitergeleitet werden. Andere wollen das ganze Buch als pdf kostenlos verschicken. Gleiches wird mit gleichem vergolten – bestiehlst Du uns, bestehlen wir dich.
Unter dem Hashtag #madebytwitter wird Front bezogen. Seitdem ist auch von Gedankenhehlerei die Rede: Denn Bitschnau klaut, baut um (also hinterlegt die Sprüche mit Bildern zweifelhafter Herkunft) und verkauft sie.
Twitter allein ist aber nicht die einzige Plattform, auf dem ihm ein kalter Wind entgegen bläst: Eine Reihe Twitterer, die auch bloggt, hat es sich zur Aufgabe gemacht, über diese Kanäle ihre Leser aufzuklären. Sehr lesenswert sind u.a. die Anmerkungen vom Twitter-Kollegen @komponiker, der auf Megs Blog einen Gastbeitrag geschrieben hat: Schöpfungshöhe niedrig. Zum gleichen Thema äußert sich der Blogger Deutsch Tweetor unter dem Titel Kommerzieller Tweetklau ist Gedankenhehlerei.
Twitterer und Blogger Der Moltroff schließlich ist einer der Motoren im Kampf gegen diesen Diebstahl. In seinem Blog zum Thema #madebytwitter beleuchtet er den juristischen Aspekt und im Beitrag Gedankenhehlerei – 7 Dinge die Sie gegen kommerziellen Tweetklau tun können ruft er aktiv zum Kampf auf und schlägt auch gleich vor, was man tun kann. (Die Inhalte dieser Blogs hier zu wiederholen wäre töricht, bitte klicken Sie auf die entsprechenden Links.)
Als Reaktion bietet sich zum Beispiel an, eine negative Rezensionen bei Amazon zu schreiben, um möglichst viele Leute davon abzuhalten, das Buch zu kaufen.
Diesem Aufruf sind bisher zahlreiche Twitterer gefolgt. Mit einer Bilanz von 10 positiven Reaktionen (5 Sterne) und 86 negativen Bewertungen (1 Stern) lässt sich gut verdeutlichen, wie die digital affine Gemeinde mit „Made MyDay“ umgeht: Anklagend und vernichtend. Da hilft es auch nicht, dass die Positiv-Rezensenten das Buch als „Gesamtkunstwerk“ in den höchsten Himmel heben oder gegen diejenigen polemisieren, die sich nachvollziehbar aufregen: „Wenn Leute die auf Twitter unterwegs sind, gegen so eine tolle Aktion sind, ist das für mich ein No-Go mich dort anzumelden. Aus jedem einzelnen Kommentar erkennt man Frust, Neid und den Schrei nach Aufmerksamkeit auf Twitter. Traurig so etwas! Lasst euch nicht von traurigen Twitter-Gestalten beeinflussen…“
Derweil klagen die traurigen Gestalten weiter an:
Längst wird öffentlich der Verdacht geäußert, dass diese 5-Sterne-Spender von „Made my Day“ mobilisiert und instrumentalisiert wurden – so wie letztlich die empörten Negativ-Rezensenten auch von der „Gegenseite“.
Das ganze Thema gewinnt zusätzlich eine Beinote, die an das Absurde grenzt, da der Verlag auf der Amazonseite angekündigt hat: Für jedes verkaufte Buch geht eine Spende an die international tätige humanitäre Hilfsorganisation „ÄRZTE DER WELT“.
Nicht, dass irgendwo erwähnt wird, wie hoch diese Spende ist, nicht, dass „Ärzte der Welt“ sich nun in Verbindung mit einem überaus zweifelhaftem Projekt gestellt sieht und Twitterdeutschland voller Spannung auf eine Erklärung des Vereins wartet.
Dass am Ende trotz Abzug der Spende, Amazon-Gebühren, Herstellung und Versand Verlag und Autor trotzdem Gewinn machen werden, ist gut möglich – vorausgesetzt, es finden sich trotz alledem genug Leute, die das Buch kaufen. Bei über 2 Mio. Facebook-Fans, von denen es vielen wohl egal ist, woher die Sprüche eigentlich stammen, sollte das machbar sein.
Nun ja. Es war vielleicht nicht unklug, dem Projekt einen wohltätigen Anstrich zu geben. Wer aber Wohltätiges im Sinn hat und Ärzte der Welt unterstützen will, der kann das auch direkt tun und spenden. Ohne den Umweg über ein Buch voller geklauter Sprüche zu gehen. So zu lesen auf Twitter und in zahlreichen Blogs. Dem kann man nur zustimmen.
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Nachtrag vom 17.12.2014: Bitte hier weiterlesen
hm. .. die stiftung hat sich nicht davon distanziert, dass das buch mit ihr wirbt? und der riva-verlag druckt schon zum zweiten mal ein machwerk aus geklauten tweets?
Ich kenne einen weiteren empörenden Fall von Gedankenhehlerei. Da verkauft einer Geschichten über Menschen, die jeder schon einmal irgendwo getroffen hat. Geschichten, die jeder schon einmal selbst erlebt hat. Geschichten, die eigentlich das Leben schrieb. Dieser Autor verfolgt kommerziellen Interesse auf Kosten der vielen Renates oder sog. Dienstagsarschlöchern, welche die eigentlichen Urheber sind … ich sollte das verlinken, damit wir alle empörte Amazon Rezensionen schreiben können … Außer vielleicht der Autor erklärte sich bereit Trekkingsandalen und Nordic-Walking-Stöcke in Drittweltländer zu verschicken.
„Da Bitschnau bisher auf rechtlichem Weg nicht beizukommen ist…“. Warum? Was genau ist da nicht auf rechtlichen Weg beizukommen? Habe ich nicht verstanden.
„es finden sich trotz alledem genug Leute, die das Buch kaufen. Bei über 2 Mio. Facebook-Fans … sollte das machbar sein.“
Wenn etwas wirklich nicht aussagekräftig ist, dann ja wohl die Höhe der Facebook-Fans. Ich dachte wir wären über diesen Punkt hinaus, denn das ist wie zu behaupten, dass von gedruckten 100.000 Exemplaren einer Zeitungs-Beilage auch tatsächlich 100.000 verkauft UND gelesen werden.
Also, mein Tweets hab ich offiziell für die Allgemeinheit geschrieben. Jeder darf sich bedienen, wie es ihm beliebt. Schliesslich nutze ich auch selbst Zitate, obgleich die meissten Tweet aus meinen eigenen Gedankengängen stammen.
Was mir jedoch missfällt ist, dass meine gedanklichen Sprüche jemandem Geld einbringen soll. Dafür sind meine Tweets nämlich nicht gemacht worden.
Ich habe keine +1000Follower, habe aber selbst gute Sprüche auf lager, die ich selbst erfunden habe. (Wenn man meinen Follower glauben schenken darf)
Aber diese habe ich auf Twitter öffentlich für jeden zugänglich gemacht. Jeder darf die Sprüche von mir selbst auf einem anderen sozialem Netzwerk kopieren und nutzen. Quellenangaben sind auch absolut nicht nötig. So wichtig ist das für mich nicht.
Aber dass jemand anderer mit meinen Gedanken und Sprüche Geld verdient, das ist schon etwas dreist. Noch dreister finde ich persönlich, dass viele es auch noch unterstützen und uns Twitterer anschliessend als frustriert, missgünstig und neidisch darstellt darstellen und absolut nicht nachvollziehen können, um was es bei uns wirklich geht.
Dies soll kein Aufschrei nach Aufmerksamkeit sein, sondern vielen vor Augen halten, wie traurig die Welt ist, dass andere sich einfach nach kostenlosen Dienste bedienen, um diese dann kostenpflichtig weiterverbreiten und auch noch als seine eigene ausgeben.
Wer immernoch denkt, dass dies als Frust, Missgunst und Neid zu sehen ist, hat es auch nicht wirklich verstanden.
Fly on!
Zur rechtlichen Bewertung eines Tweetklaus gibt es einen Text von Rechtsanwalt Dr. Carsten Ulbricht, der ich selbst als Anwalt des Autors zu erkennen gibt.
Da wird dann klar, warum es schwierig ist, rechtlich dagegen vorzugehen:
http://www.rechtzweinull.de/archives/1675-twitter-urheberrecht-ist-die-uebernahme-fremder-tweets-rechtlich-zulaessig.html
Die Aussage des Anwalts ist im Prinzip richtig. Die „Kleine Münze“ ist auf die weit überwiegende Mehrzahl der Tweets nicht anzuwenden.
Aber.
Was da zusammengeklau(b)t wurde ist eben nicht die überwiegende Mehrzahl der Tweets. Es sind solche, die ausgesprochen viele Favs und Retweets haben und schon dadurch zeigen, dass sie sich aus der Masse hervorheben.
Sie wurden, kurz gesagt, nicht deshalb geklaut, weil die Verfasserin so einen süßen Schmollmund hat oder der Verfasser mal berühmter Tennisprofi war, sondern weil sie sich in ihrer sprachlichen Gestaltungshöhe von der überwiegenden Mehrzahl der Tweets abheben.
Tatsächlich haben schon die Erben von Erich Kästner und Karl Valentin wegen kurzer, tweettauglicher Aphorismen in kostenlosen Zitatendatenbanken geklagt und vor Gericht Erfolg gehabt.
Falls sich von mir was darin findet werde ich eine Rechnung schicken.
Ich finde das alles völlig übertrieben. Die eigentliche Kunst ist es doch, aus dem ganzem Stream of Müll die geeigneten Dinge rauszuziehen, die man anderen zeigen will. Wer nun auf Facebook teilt, als gäbe es kein Morgen oder Links aus dem Browser weitermailt oder retweetet, betätigt sich wie ein Redakteur oder ein Herausgeber. Man kann das durchaus auch als Service sehen, den da jemand erbringt. Tut er das online, kräht kein Hahn danach, oft selbst wenn er auf seiner Seite irgendwelche Banner schaltet. Tut er es offline, redet jeder von dem vielen Geld, das er damit wohl verdient und will gar „Rechnungen schicken“ wie VolkerK. Über welchen Betrag? (nichts für ungut. VolkerK, ich rede über die Seite, die hier nicht Mainstream ist. Die andere Seite habe ich bereits verstanden 😉
Wenn ich den Artikel richtig gelesen habe, wird das Autorenhonorar an Ärzte ohne Grenzen gespendet (also eben NICHT irgendein nicht näher bezeichneter Betrag). Das halte ich für klug, denn das sollte den Verdacht der ungerechtfertigten Bereicherung endgültig zerstreuen.
Was also klaut der Herausgeber, der ja kein Autor ist? Klar, die Publicity. Hinz und Kunz haben einmal im Leben oder pro Woche eine gute Idee, die wird getwittert und schafft es dann in diverse Retweets oder sonstige Kompilate (früher im Usenet waren das auch die beliebten „Kompilierten Listen“ (eigentlich „compiled lists“ und Repostings auf rec.humour). Aber sie werden eben nicht namentlich genannt und der Unsterblichkeit beraubt. Dumm nur, dass viele coole Tweets auch schon geklaut sind. Zum Beispiel der originelle Spruch zum Meinungsaustausch oben, den jemand angeblich mit seiner Frau hat. Ersetzt man Frau durch Chef, so war das bereits vor Zig Jahren auf der Rückseite der Apothekenrundschau zu lesen. Oder irgendeiner anderen Illustrierten.
Witzige Bemerkungen machen niemand reich. Und wer solche eine nach der anderen raushauen kann, der hat sowieso was davon. Ich habe ein Lied geschrieben mit 12, das kam auf einmal in einer Liedersammlung vor. Ich habe mich gefreut, was sonst, mein Name steht aber nicht dabei. Wäre ich heute der große Liedermacher, wäre es egal, ich bin es nicht, auch egal. Get the idea?
Und was Valentin angeht: Seine Erben berauben Karl Valentin um den Ruhm, den er verdient hätte. Die Jüngeren können mit dem Namen oft schon nichts mehr anfangen. Kunststück, im Internet redet ja auch keiner mehr über seine Werke, nur noch höchstens über die Rechte an diesen. Fragt mal einen 20jähringen, was ihm zum „Ententraum“ einfällt… aber bitte nicht online.