In der F.A.Z. konnte man am 12.1.2014 eine erstaunliche Meldung lesen:
Sascha Lobo: „Das Internet ist nicht das, wofür ich es gehalten habe“
Lange hielt Sascha Lobo das Internet für den Wegbereiter von Demokratie und Befreiung. Jetzt sieht er, dass er sich geirrt hat. In Wahrheit zerstöre es die Grundlagen einer freiheitlichen Gesellschaft. (…)
Nach der Spähaffäre um die NSA und den neuen Erkenntnissen über Wirtschaftsspionage und den Kontrollwahn der Konzerne kommt Lobo zu dem Schluss: „Das Internet ist kaputt.“
Armer Sascha, da hat er wohl einen rabenschwarzen Tag gehabt. Vielleicht sogar eine kleine Panikattacke, denn er verdient sein Geld mit dem Internet und mit dem Drumrum des Internet. Oder andersherum: Sein Trick mit der Frisur und seine Fähigkeit, aktuelle Themen zu erkennen und gleich zu besetzen, benutzt das Internet wie der Weizen den Dünger.
Die Panik ist unbegründet, es gibt vier klare Argumente, die Sascha Lobo wieder in die Welt zurückbringen werden. Nichts ist kaputt. Schauen wir mal…
1. Das Internet ist nicht kaputt – es funktioniert ja.
Um kaputt zu sein, müsste irgendetwas nicht funktionieren, etwas, das man erst einmal reparieren muß. Der Dschungel ist auch nicht kaputt, nur weil man dort von Tigern gefressen werden kann. Und die Reparatur des Dschungels, also die Eliminierung von Tigern und anderen potentiell gefährlichen Viechern, wäre genau das Gegenteil einer Reparatur – sie beraubte den Dschungel seiner Existenz. Tiger gehören zum Dschungelsein. Und zwar echte Tiger, nicht irgendwelche Reservate mit ausbruchssicheren Käfigen.
Das heißt also, auf das Internet übertragen, Hacker, Viren, Spione, SPAM, Brustvergrößerungen, lästiger Kommerz, Urheberrechtsverletzungen und Plattform für hanebüchenen Unsinn, all das gehört zum Internet und ohne all das wäre es nicht das Internet.
2. Das Internet ist nicht das, wofür Sascha L. es hält.
Sascha Lobo hat das früher offensichtlich anders gesehen. Ohne jede Häme rufe ich ihm zu: „Willkommen in der Realität!“ – was auch immer er früher über das Internet gedacht haben mag. Wegbereiter echter Demokratie sollte das Internet sein – nun gut, da muss man damit leben, daß man das Volk auch hört, und zwar nicht nur das nette, intelligente Volk mit höheren Absichten und hörenswerten Ansichten, sondern auch die ganzen Deppen, denen man auch in der U-Bahn oder im Wirtshaus zuhören kann und die jetzt damit nerven, daß sie das Problem mit ihren eigenen Daten nicht nur nicht erkennen, sondern auch wie die Schafe blökend sich dem System ausliefern, nur um das Problem danach dem Internet anzulasten.
Daß wir im Netz ausspioniert werden, schockiert doch keinen. Oder besser: keinen, der nicht grenzenlos naiv ist. Was Sascha nicht ist.
Manchmal muss man auch seine Urteile revidieren. Landesväter sind nicht das, wofür sie gehalten worden waren. Bankiers auch nicht. Auch nicht der Weltraum, die Lichtgeschwindigkeit oder die Eisenhaltigkeit von Spinat. Panta rhei – nix is fix, wie der Bayer weiss.
3. Nicht das Internet ist kaputt. Eher unsere Gesellschaft
Wer, wie viele unserer Innenpolitiker, das Netz für alles Böse verantwortlich macht, hat den falschen Blickwinkel. Wer im Netz bedenkenlos anklickt, was sich spannend anhört, handelt sich Probleme ein. Viren, Abos und Post von Abmahnanwälten. Unschuldsvermutung? Unrealistisch, daß jemand so naiv ist, daß er glaubt, was im Netz steht. Auch wenn da steht, daß man alles bedenkenlos laden darf. Hand aufs Herz: Wer hat je überprüft, ob Spotify legal ist? (Ist es vermutlich). Aber kino.to war es nicht? (Vermutlich wirklich nicht). Wir haben uns also ein Diskussion eingehandelt, die es ohne die technischen Möglichkeiten des Internet nicht gegeben hätte, denn der technische Fortschritt sorgt dafür, daß einige unserer Gesetze nicht mehr funktionieren, also nicht mehr als gerecht empfunden werden oder aber ihre Durchsetzung eine unverhältnismäßige Härte darstellt, was aber von einigen Organen der Strafverfolgung ignoriert wird. Für dieses Phänomen braucht es das Internet nicht, das gibt es schon immer.
Für Sascha ist aber etwas ganz anderes kaputt: Das Urvertrauen, das er ins Netz hatte. Die guten Menschen der Welt schlagen den bösen Menschen und Mächten ein Schnippchen und kommunizieren frei und unkontrolliert. So war das Netz früher, und zwar so lange, wie es unbedeutend war. Daß sich das Netz hier geändert hat, ist nicht der Fehler des Netzes. Es ist vielmehr ein Gesetz, das dahinter steht.
Die lächerlichen Angriffe diverser Politiker gegen das Netz aus den unterschiedlichsten Gründen sind schon lange verstummt. Die letzte, die versucht hat, populistisch Terrain zu gewinnen, war Frau von der Leyen. Der Grund ist nicht, daß das Netz jetzt anders wäre als früher. Der Grund ist vielmehr, daß der Staat das Netz jetzt besser versteht und daher mehr Ansätze für Kontrolle sieht. Wen außer Sascha Lobo wundert das?
Traditionell machen wir mit der Ernennung des Innenministers den Bock zum Gärtner. Der Innenminister ist zuständig dafür, möglichst viel über einzelne Bürger zu erfahren, sie auszuspähen und Verbrechen idealerweise aufzuklären, noch bevor sie begangen werden. Durch Rasterfahndung, Profiling, Zugriff auf Emails und Telefonate mittels „legal interception“. Dieser letzte Begriff hat es wohl nur mangels Bekanntheit nicht zum Unwort des Jahres geschafft. Gleichzeitig aber fällt der Schutz der Bürger und damit der Schutz ihrer Privatsphäre und ihrer Daten in den Zuständigkeitsbereich desselben Ministeriums. Das kann nicht gutgehen auf Dauer.
4. Das Internet ist nicht kaputt, denn es gibt es ja gar nicht, „das“ Internet.
Von allen Argumenten, die es gibt, um Sascha Lobo zu beruhigen, ist aber das letzte das beste: Das Internet kann nicht kaputt sein, denn es existiert nicht. Das Internet ist gleichzeitig ganz viel:
- Ein paketvermittelndes Netz, das auch unter erschwerten Bedingungen schnelle und zuverlässige Datenverbindungen schafft.
- Eine Kommunikationsplattform mit unzähligen Inseln, aber auch weltumspannend einheitlichen Möglichkeiten, Informationen auszutauschen.
- Ein gewaltiger Datenspeicher, in dem unter anderem der größte enzyklopädische Wissensspeicher der Menschheitsgeschichte für alle zugänglich ist.
- Die preisgünstigste Methode, weltweit zu kommunizieren, was vor allem den aufstrebenden Ländern der ehemaligen Dritten Welt zugute kommt.
- Eine Veröffentlichungsmöglichkeit für viele Menschen, die früher an Verlagen oder Marktchancen gescheitert wären.
- Ein globaler Marktplatz für alle Menschen mit der niedrigsten Einstiegshürde seit Menschengedenken.
- Eine Techikplattform, die es erlaubt, mit geringstem Aufwand neue technische Errungenschaften zu implementieren und mit anderen Menschen gemeinsam zu nutzen.
Das alles sind Aspekte, die für manche Menschen „das“ Internet sind. Kaputt sind die alle nicht, nur weil irgendwer Leitungen anzapft. Weil sich in alter Stasimanier Leute, Organisationen und ganze Staaten kaltschnäuzig an Informationen bedienen. Auch nicht, weil Konzerne Milliarden verdienen, und bei diesen Summen vielleicht erfinderisch werden. Vor allem der letzte Punkt zeigt den Weg: Wenn ein Teil des Internet aus Profitgier, Dummheit oder Machtgier zerstört wird, finden sich schnell Alternativen, die die entstandene Lücke füllen. Microsoft kauft Skype? Nehme ich eben Jabber oder IRC. Oder ich erfinde was cooles Neues.
Also: Kopf hoch, Sascha! Man sagt doch schön: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Man kann sich schützen. Das gibt es nicht zum Nulltarif, man muß Zeit und Geld investieren, aber wer hat denn behauptet, daß im Internet alles kostenlos sein muß?
Ich würde das ganze, lieber Sebastian, gern auf eine ganz andere und einfache Formel bringen:
Wenn etwas nicht das ist, für das ich es halte oder es nicht so funktioniert, wie ich es mir wünsche, dann erkläre ich es als kaputt.
Was eine abgehobene, egozentrische und eigentlich arrogante Sicht auf die Dinge.
Statt sich einzugestehen, dass man sich in seinen Vorstellungen und seinen Prognosen geirrt hat, kann man das Netz also als „kaputt“ erklären? Weil die Wirklichkeit und die Entwicklung sich einen Schnurz um seine Ansprüche gekümmert haben sondern einfach tun, was sie wollen?
Was SL kaputt findet, kann ich noch gut gebrauchen – so wie mein kaputtes Auto längst irgendwo in Russland wieder fährt, aus kaputten Sachen in Afrika Spielzeug gemacht wird, meine kaputten Klamotten von sonstwem weitergetragen werden.
Sorry, wenn SLs Internet also kaputt ist: Ich kann es noch weiter gebrauchen. Meines ist nicht kaputt. Höchstens ist mal die WLAN-Verbindung gestört – und damit die Verbindung ins Netz.
So wie vielleicht bei anderen die Verbindung zum Fußboden gestört ist.
So haben es, wie ich inzwischen gelesen habe, viele gesehen. Aber bemerkenswert ist es doch, darüber nachzudenken, was wir vor 20 Jahren bewegen wollten, als wir das Internet nach DE gebracht haben (und .de ins Internet vice versa). Haben wir erreicht, was wir wollten? Träume können kaputt gehen und es ist nicht nett, dem enttäuschten Träumer vorzuwerfen, was für ein Idiot er eigentlich ist.
Wäre es nicht erfreulich, würde sich tatsächlich mal die Realität um unsere Träume kümmern? So zur Abwechslung? Es wundert mich, wieviele Leute nachgerade aggressiv auf SL reagieren. Also nicht Du, Lutz, oder nur ein bisschen Du, da habe ich Stimmen gelesen, die waren so krass, dass ich denken musste „Hey, wie kaputt ist das denn“ 🙂 scnr
Wir sollten Leute auch im Netz ausreden lassen, selbst wenn es Stuß ist, und sie nicht gleich sarrazinieren.
Leute: Kirche im Dorf lassen! Sascha ist kein enttäuschter Internet-Liebhaber, er ist ein gewiefter Medienmann und eine wandelnde Wortmarke, der nach dem alten Coca-Cola-Prinzip handelt : Es ist egal. was die Leute über mich reden – Hauptsache sie reden über mich. Ihm ist halt eine geile Headline eingefallen, naund? Dass er damit den Trend zum Kulturpessimismus bedient, ist ihm vermutlich gar nicht eingefallen, oder es ist ihm auch ziemlich wurscht. Schirrmacher läßt grüssen.
Dann wäre, lieber Tim, eine geeignete Überschrift:
Wes Brot ich ess, des Lied ich sing
Kommt ja wohl nicht von ungefähr, dass SL, wenn er auf der Payroll der FAZ steht und sicher ein Autorenhonorar für seine brummeligen Internet-Epitaph erhält, harmonisch und tongenau in Schirrmachers monotonen Singsang einstimmt.