Nicht nur Willi will’s wissen. Manchmal treibt auch mich die Neugier an, Dingen auf den Grund zu gehen, die andere möglicherweise gar nicht interessieren. Ich kann da sogar richtig pedantisch werden.
Eine Frage aus den sozialen Netzwerken, die eigentlich schon beantwortet ist, lautet: Wie verhält es sich eigentlich mit dem Verhältnis vom liken ohne zu lesen, dem klicken ohne zu kucken, dem faven ohne zu fragen, dem besternen ohne zu besuchen.
Nutzer der sozialen Medien wissen, was ich meine.
Mir drängt sich der Eindruck auf, dass sich vor allem Facebook längst zu einer gigantischen Linkschleuder entwickelt hat. Der individuelle Content aber ist weitgehend verloren. Zwar gibt es immer noch Menschen, die Urlaubsbilder, Foodporn oder Neuig- und Nichtigkeiten aus dem Privatleben mitteilen, also das, für was diese Plattform eigentlich gedacht war. Der Großteil der Facebook-Profilbetreiber aber, soweit ich das wahrnehme, bemüht sich zumindest auf seiner eigenen Pinnwand gar nicht mehr um eigene Inhalte und Einblicke für Freunde und Bekannte in ihr Leben. Stattdessen werden nur noch Links über den „Share Button“ (s.oben) auf die eigene Pinnwand gedrückt oder es wird direkt auf der Plattform weitergeteilt, was das Zeugs aushält: Bewegende Sonnenuntergänge, Sinnsprüche und Kalenderweisheiten stehen hoch im Kurs. Die Links führen – je nach Mentalität der Profilbetreiber – zu lokalen Nachrichten, weltumspannenden Verschwörungen, veganen Rezepten oder lohnenswerten Schnäppchennbieten. Das war’s. Persönliches, was einem eine gewisse Nähe zu den Menschen gestatten könnte: Null. Und da wundert man sich über die Facebook-Verdrossenheit so mancher Zeitgenossen.
Die anderen verteilen großzügig den nach oben gerichteten Daumen als Zeichen der Anerkennung. Aber das war’s dann auch. Wie schnell ist ein „Like it“ geklickt, statt einen Inhalt zu liefern und/oder sich mit einem Thema auseinanderzusetzen. Das reicht doch auch, oder? Warum erst auf den Link klicken? Liken auf Teufel komm raus genügt. Zwar ist noch nicht egal wen, aber egal was so für gut befunden wird.
Ein Daumen hoch ist bei Facebook schnell gesetzt, ein Stern bei Twitter auch. Und so wird gefavt und geliket und sofort weiter gescrollt (was für Wörter übrigens, wenn man faven, liken und scrollen der deutschen Grammatik unterwirft). Das ist eine nette Sympathiebekundung aber kann wohl kaum mehr als eine inhaltliche Zustimmung gewertet werden.
Nicht anders ergeht es den Twitterern. Sofern sie Links posten, werden diese auch aus reiner Freundlichkeit besternt – allzuoft, ohne dass die Sternwerfer überhaupt auf den Link geklickt haben.
Mir ist das eigentlich klar. Trotzdem mache ich die Probe auf’s Exempel, auch wenn das keine ernsthafte Untersuchung sein kann, gibt es folgenden Versuchsaufbau.
Ich veröffentliche einen kleinen, eher belanglosen Beitrag in meinem Schwimmblog und stöhne über den Wetterumschwung. Das Blog wird überwiegend von Schwimmfreunden gelesen, ist also thematisch nicht unbedingt etwas für meine Twitter-Followerschar. Der vorproduzierte und –terminierte Beitrag geht ins Netz und ich gebe ihm eine Stunde Zeit. Dann schaue ich, wie viele Leute diesen Beitrag bei Twitter besternt haben:
Es sind zwölf. Das ist nicht viel, aber es geht auch nicht wirklich um irgendwas außer um meine eigene Befindlichkeit und ein wenig ums Schwimmen. Ehrlich gesagt: Ich hätte weniger Sternchen erwartet. Es geht schließlich weder um Fußball, noch um Katzen, noch um Weltverschwörungen oder stimmungsvolle Naturbildchen. Es geht auch nicht um eine RTL-Show und auch nicht um die ganz große Abrechnung mit der Regierung. Also nichts, was Twitterdeutschland wirklich interessieren müsste. Da bleiben die großen Sternansammlungen verständlicherweise aus.
Als Zweites schaue ich in die Statistik meines Blogs und rufe die Referrer auf. Zwölf Sterne müssten ja eigentlich bedeuten, dass zwölf Leute den Link gesehen haben und ihm gefolgt sind. Sie haben den Blog-Beitrag für gut genug befunden, dass sie anschließend den Tweet dazu besternen. Soweit wäre alles nachvollziehbar.
Die Wahrheit aber sieht anders aus. Ganze drei Klicks verzeichnet die Statistik:
Was heißt: Neun mal wurde der Tweet favorisiert, ohne dass das Blog besucht wurde, neun mal wurde geklickt, ohne gekuckt zu haben. Andersherum gesagt: 75% der Sternwerfer bekunden ihre Sympathie mit mir (oder meinem Blogpost) ohne überhaupt geschaut zu haben, was in dem Text überhaupt veröffentlicht wurde. Wäre das Verhältnis anders herum, wäre ja klar, was das bedeutet: Zwölf Klicks und nur drei Sterne heißt, dass neun Leuten nicht gut genug gefallen hat, was sie angeklickt, gesehen und gelesen haben; jedenfalls nicht gut genug, dass sie den Tweet dazu positiv bewerten. Aber dass es neun Leuten gefallen hat, was sie nicht mal gesehen haben, finde ich amüsant und entlarvend.
So… nun wissen Sie Bescheid. Und jetzt liken Sie gefälligst. Faven Sie, besternen Sie. Sharen Sie. Sie werden beobachtet. Das gilt auch für den Link in mein belangloses kleines Schwimmblog. Auch da werden Sie beobachtet.
Aber wenn Sie jetzt liken, faven usw. sind Sie jetzt fein aus dem Schneider. Denn Sie haben ja alles gelesen. Sternen Sie los…
Ja. Aaaaaber: Der entsprechende Tweet hat auch ohne dazugehörigem Blogbeitrag eine Aussage!
Und jeder der vorgestern noch in der Sonne auf dem Balkon seinen Kaffee trank, konnte im kalten, regnerischen Gestern das „kalte Grausen“ nachempfinden. Selbst wenn er nicht schwimmen war. 🙂
Und das dann mal schnell faven…
Mei, ich habe früher alles gefavt (ui schaut das hässlich aus, wenn man es schreibt), was ich später noch lesen wollte – bis ich gesehen habe, daß der Autor eine Nachricht bekommt, und erst recht, wenn man es „entfavt“ (uiuiui, es wird immer besser), eben weil ich es dann gelesen hatte.