In der fünften Folge des Literarischen Quintetts ging es um Nachkriegsbücher. Heute geht es um Kriegsbücher. Starten wir mit …
Louis de Bernieres: Corellis Mandoline
Jetzt wird’s eng. Ganz eng. Dieses Buch ist angeblich ein Liebesroman. Und nicht irgendein Liebesroman. Dieses Buch ist immerhin Band 9 der BRIGITTE-Buch-Edition „Die Liebesromane„. Zu meiner Ehrenrettung muss ich aber erwähnen, dass ich das nicht wusste, als ich es las. Und als ich beschloss das Buch zu mögen kannte ich auch nicht die unsägliche Beschreibung, mit der die BRIGITTE dieses Buch ihren Leserinnen empfiehlt: „Eine mitreißende Liebesgeschichte – und weit mehr: ein Buch über Ehre und Anstand und über die Hoffnung, dass am Ende des Schreckens das Gute bestehen bleibt.“
Würg, kotz, übel, spei, … Quatsch mit schleimgrüner Soße aber auch.
Ich habe das Buch gelesen, weil es ein Insel-Buch ist und ich Insel-Bücher liebe. Außerdem handelt der Roman vom Streit zwischen einem griechisch-orthodoxen Alkoholiker, einem Kommunisten, einem Monarchisten und einem intellektuellem Arzt auf Kefalonia. Es ist also alles da für eine griechische Version von Don Camillo und Peppone. Und natürlich gibt es auch eine Liebesgeschichte, sonst könnte die Sache ja nicht auf einer griechischen Insel spielen.
Und dann gibt es als Beigabe noch den italienischen schwulen Soldaten und Besatzer und den ganzen unsäglich blödsinnigen, verworrenen Krieg, der einmal mehr als blödsinnig und verworren dargestellt wird. Als wären die menschlichen Verhältnisse nicht ohnehin schon blödsinnig und verworren genug.
Dieses Buch ist angeblich ein Liebesroman. Und nicht irgendein Liebesroman. Dieses Buch ist immerhin Band 9 der BRIGITTE-Buch-Edition „Die Liebesromane“. Das sagte ich schon? Ach so.
Ich empfehle es trotzdem!
Bert Brecht: Mutter Courage
Die Courage war eine der allerersten Eindrücke, die Brecht bei mir hinterlassen hat. In irgendeiner mittleren gymnasialen Klasse wurden wir ins Kino verschleppt um uns eine Filmaufnahme der Bühnenfassung mit der großartigen Giehse anzusehen. Die meisten meiner Klassenfreunde mokierten sich über die Musik Paul Dessaus. Ich fand sie großartig, wie das ganze Stück.
Das „Lied der Mutter Courage“ hatte ich zuvor in einem Anflug hoffnungsloser Selbstüberschätzung sogar selbst vertont, natürlich atonal – ich hatte da mal „was in der Art“ gehört:
„Das Frühjahr kommt.
Wach auf, du Christ!
Der Schnee schmilzt weg, die Toten ruh’n
Und was noch nicht gestorben ist,
Das macht sich auf die Socken nun!“
Ich war und bin ein großer Verehrer des großen B.B. Es gibt ein Buch mit Schweinkram von ihm. Das wollte ich eigentlich hier vorstellen, finde es aber nicht mehr. Schon Gershom Scholem schreibt, dass Walter Benjamin ihm gesagt habe, dass Brecht erwähnt habe, dieser hätte obszöne Gedichte geschrieben, die jener „zu seinen besten rechne“. In die „Schriften“ hat der alte Suhrkamp die nicht aufgenommen, aber im Insel-Verlag ist vor einigen Jahren ein hübscher Band mit einigen dieser Werke erschienen, ergänzt um passende Illustrationen von Picasso. Man erhält ihn antiquarisch für den Weihnachtstisch. Für Kinder eher ungeeignet.
Ansonsten verweise ich gerne meine vielen journalistischen Freunde auf die gute alte Radiotheorie von Brecht aus den frühen 30iger Jahren. Viele von Euch haben während ihrer Ausbildung davon gehört. Nichts gehört habt Ihr sicherlich von Walter Benjamins Radio-Arbeit, die damit aber in engem Zusammenhang steht. Dazu erzähle ich gerne mehr nach Abklingen des COVID-Wahnsinns beim Weintandler Eures Vertrauens.
Peter Hagendorf: Tagebuch eines Söldners aus dem Dreißigjährigen Krieg
Ein Reisebuch. Aber ein arg historisches. Peter Hagendorf reist durch den Dreißigjährigen Krieg.
Es handelt sich um das Tagebuch eines Söldners. Erschienen ist der Band im Jahr 2012. Gelesen habe ich das Buch in diesem Sommer. Man kam in diesem Jahr ja nicht so weit herum. Und als Söldner war ich auch nie unterwegs, bzw. „überwegs“, wie mein Sohn im zarten Kindergartenalter klugscheißernd stets zu sagen pflegte.
Aber die Gegenden, in denen Hagendorf unterwegs war kenne ich doch so einigermaßen: Er war im Badischen, im Fränkischen (in Dinkelsbühl, also fast in meiner Heimat), in Thüringen, in Westfalen, in Memmingen, in München, in Magdeburg, in Holland, in Norditalien, in Frankreich …
Rund 25 Jahre zog Peter Hagendorf zwischen ca. 1625 und 1649 als Soldat durch die Lande, kämpfte mal auf katholischer, mal auf protestantischer Seite. Seine Frau und seine Kinder hatte er meist bei sich. Man hat nachgerechnet: Mehr als 22.000 Kilometer legte er als Landsknecht im Laufe dieser Jahre zurück. Brandschatzungen, Plünderungen, Raub, Mord, Vergewaltigung, alles was eine gute italienische Oper ausmacht findet sich in diesem Tagebuch wieder. Herrlich! Dagegen ist Mittelerde ein fader Ponyhof.
Das Buch liest sich auch ganz vortrefflich als historisches Korrektiv zu Brechts Mutter Courage (siehe oben). Kurz: dieses Werk liest der besorgte Vater seinen Kindern als Gute-Nacht-Geschichte vor. Danach wollen Sohn und Tochter bestimmt nicht mehr zum Militär.
Im Ernst: Peter Hagendorfs Tagebuch gilt als einziges erhaltenes Dokument dieses Formats aus dem Dreißigjährigen Krieg. Es ist ein einmaliges zeithistorisches Dokument und für Menschen, die sich für Geschichte und Geschichten interessieren ein großes Leseabenteuer.
Don & Petie Kladstrup: Wein & Krieg
Die Autoren erzählen Geschichten aus dem Widerstand, genauer: aus dem Kampf französischer Winzer für ihren Wein und gegen die deutschen Nazi-Besatzer. Sie berichten von Eisenbahnern, die Waggons voller Bordeaux auf dem Weg nach Nazi-Deutschland verschwinden lassen, Winzer, die Billig-Fusel umetikettieren und als Mouton-Rothschild an den dicken Göring liefern, Weinbauern, die die Bestellorte für Champagnerlieferungen für die Wehrmacht an die Alliierten melden, woraus diese deren Bewegungsprofile ableiten konnten.
Ein wunderbares Buch über den Kampf der französischen Weinbauern gegen die deutschen „Weinführer“, aber auch über Freundschaften zwischen französischen und deutschen Weinliebhabern und über die geheimnissvolle Verschonung des weinseeligen Hafens von Bordeaux vor der Sprengung durch die abrückenden deutschen Truppen.
Ein Buch zum Weinen über Krieg und Frieden.
Anna Seghers: Transit
Es geht um Liebe und Flucht, um Exil und um die widersprüchliche Rolle der französischen Behörden vor und während der deutschen Besatzung. Man sollte das Buch parallel zu Lion Feuchtwangers „Exil“ lesen, zu Lisa Fittkos Buch „Mein Weg über die Pyrenäen“ und wenn man will kann man sich natürlich abends zur Entspannung auch nochmal Casablanca reinziehen.
Von Feuchtwanger kennt man die widersprüchlich Haltung der Franzosen gegenüber den deutschen Antifaschisten vor der deutschen Besatzung: sie wurden als Feinde interniert, waren zugleich aber Antifaschisten und erfuhren von einigen Franzosen Unterstützung, von anderen als Linke oder Juden aber krasse Anfeindung. Antikommunismus und Antisemitismus waren ja auch in Frankreich weit verbreitet. So drohte vielen, vor allem aber den Juden, die Auslieferung an die Nazis. Ich habe diesen Roman wie nur wenige verschlungen.
Anna Seghers, die von Johannes R. Becher seinerzeit an der Ostsee nackt badend als „alte Sau“ tituliert worden war und wenig später bei der Verleihung des Nationalpreises der DDR durch eben diesen Becher auf die Anrede „alte Sau“ bestand – sie war eine starke Frau und sicherlich eine der größten deutschen Schriftstellerinnen.
Das sind meine fünf Kriegsbücher, vorgestellt in der Reihe der 100 Bücher von 100 Autoren an 100 Tagen im Herbst 2020 auf meiner Facebook-Seite https://www.facebook.com/mikausch. Hier auf Czyslansky erscheinen diese Kurzvorstellung nach und nach in 5er-Paketen, leicht überarbeitet und ergänzt.