Czyslansky liest

Ich liebe Bücher. Und ich lese sie noch immer ausschließlich in gedruckter Form, also tote Bäume. Und ab und an schreibe ich über Gelesenes. Heraus kommen dabei selten klassische Buchbesprechungen, eher schon kleine Erfahrungs- oder besser Erlesungsberichte. Wer sich für den Inhalt der Bücher interessiert, der muss diese schon selbst lesen. Walter Benjamin meinte einmal, echte Polemik nehme sich ein Buch so vor, wie ein Kannibale sich einen Säugling vornehme. Eben mit liebevoller Zuneigung. So nähere ich mich jedem neuen Buch. Lüstern schmatzend. 

Vor einiger Zeit habe ich einmal in hundert aufeinander folgenden Tagen 100 Bücher von 100 Autoren auf Facebook und Instagram vorgestellt. Die dabei entstandenen kleinen Texte habe ich auf Czyslansky zu „Literarischen Quintetten“ zusammengefasst.

Noch ein Tipp: Bücher gibt es in allen guten Buchhandlungen. Und wenn es bei Euch vor Ort keine Buchhandlung mehr gibt, dann kann man fast alle hier besprochenen Werke beim sozialen Buchhandel buch7 online bestellen. Der ist fair und von jeder Bestellung wird  ein kleiner Anteil für einen sozialen Zweck abgeführt. Man muss wirklich nicht bei Jeff kaufen …

Czyslansky liest auf Instagram

100 Jahre Zauberberg. Der Berg ruft
Vor 100 Jahren ist also "Der Zauberberg" von Thomas Mann erschienen. Es gibt nur wenige Bücher, die ich mehrmals gelesen habe: Goethes "Wahlverwandtschaften", "Die Dialektik der Aufklärung" von Adorno und Horkheimer, Anna Seghers "Transit", den Shell Autoatlas und eben den Zauberberg. Keines hat mich so fasziniert wie der Zauberberg. Ich liebe dieses "aus der Zeit fallen" des Hans Castorp. Dass aus einem kurzen Klinikaufenthalt sieben lange Jahre werden. So wie ja auch aus der geplanten Novelle Thomas Mann versehentlich einen tausend Seiten fassenden Roman generierte. Auch Thomas Mann ist beim Schreiben aus der Zeit gefallen. Und ich beim Lesen sowieso.
Natürlich hilft dabei das Sujet, die Schatzalp, der Berg, das Eingeschneitwerden im Winter, die zeitweise Nichterreichbarkeit, das Schaukeln zwischen Leben und Tod der Kranken, jenes röchelnde irdische Fegefeuer des Lungen-Sanatoriums. Vor einiger Zeit veranstaltete des Münchner Literaturhaus eine Ausstellung zum Roman. Dabei bliesen Lautsprecher alle paar Minuten das stakkatohafte Husten eines virtuellen Rauchers in den Raum. Die akustisch überaus stimmige Versetzung zum Viatium der Barbara Hujus.

Das Personal
Überhaupt das Personal des Romans. Fast alle sind sie mir in meinem Leben leibhaftig begegnet. Die erinnere die wirre irre Frau Stöhr in einer Reisegruppe zwischen den Ruinen des alten Troja, wie sie anklagend den bösen Russen verurteilte, der 45 unser schönes Elfenbeinzimmer gestohlen habe. Richtig gelesen: das berühmte Elfenbeinzimmer. Die reisegruppe bestand großteils aus Studienrätinnen und Studienratten plus Frau Stöhr und einem liebenswerten Schreiner, den Frau Stöhr denn auch gleich zum Innendesigner erklärte, dem Status wegen. Ach meine Frau Stöhr, wie hatten wir Spaß miteinander ...
Und dann natürlich Clawdia, die schöne Chauchat. Sie ist mir in meinem Leben ebenso begegnet, wie der unsägliche Mynheer Peeperkorn, der geile notsportive Fettsack. An Settembrinis und Naphtas mangelte es in meinem politischen Leben sowieso nicht.
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"Picknick auf dem Eis" von Andrej Kurkow ist nicht nur ein wunderschöner Roman, nein, es ist auch noch ein Buch, dass die Stadt Wien jetzt in 100.000 Exemplaren verschenkt. Das Projekt "Eine Stadt. Ein Buch" gibt es seit 2002. Jedes Jahr sucht eine Jury ein Buch aus und die Stadt, finanziert über Sponsoren, verschenkt an die Bürger*innen 100.000 Gratisexemplare. "Picknick auf dem Eis" habe ich vor einiger Zeit mit größter Lust gelesen. Es wäre nun wirklich auch den Ladenpreis wert. 
Der Plot: ein erfolgloser Schriftsteller im verarmten Kiew rettet einen Pinguin aus dem Zoo und nimmt ihn bei sich zuhause auf. Er beginnt Nachrufe auf verstorbene und noch nicht verstorbene Zeigenossen für Zeitungen zu schreiben. Leider aber sterben diese zu langsam, bis ... ja bis ... aber lest selbst. 
Also: Ab in die Buchhandlung oder rasch nach Wien: https://einestadteinbuch.at/gratisbuch #literatur #buchtipp #buch #bücher #bücherliebe #leseecke #lesetipp #buchblogger #leseliebe #instabuch #bücherinsel #bookstagram #buchempfehlung #wien #wienliebe #gratisbuch #einestadteinbuch #kurkow
Justin Steinfeld: Califa. Oder: Die Liebe zu einer Starkstromtechnikerin.

Justin Steinfeld. Den kenn ich doch. Der liest doch Zeitung. Und den habe ich hier auch schon mal hier vorgestellt. Das war auch bitter nötig. Denn den kennen viel zu wenig Menschen. „Ein Mann liest Zeitung“ galt lange Jahre als sein einziger Roman. Und den habe ich verschlungen. Nicht nur weil ich selbst ein leidenschaftlicher Zeitungsleser bin, sondern weil dieser Steinfeld ein ganz wunderbarer Geschichtenerfinder und -erzähler war. 

1886 als Jude in Kiel geboren, 1970 als Emigrant in England gestorben. Dazwischen als kommunistischer Journalist in Hamburg und Prag gelebt. Und anderswo auch. Califa hat er 1955 in London geschrieben. Das Manuskript blieb unveröffentlicht – bis 2024. Im März dieses Jahres fand es endlich einen Verlag. Und es wurde höchste Zeit. 

Denn dieser Roman ist ausgesprochen ungewöhnlich, eine krude Mischung aus Science Fiction (was ich so gar nicht mag, vom Raumschiff Orion mal abgesehen), Politthriller (die selten gut sind, weil selten „thrillig“) und Humoreske (kann funktionieren wenn sie von der Insel kommt, und das tut sie ja).

Um was geht es? 
Schwer zu sagen … Auf der anderen Seite des Ozeans gibt es eine Supermacht mit Namen Nomandy. Dort besitzt man ein Element, mit dem man Atomwaffen basteln kann. Im Osten gibt es auch eine Supermacht mit Namen Cistransatia. In Potatis treffen beide Supermächte aufeinander. Potatis, einst das Land der Dichter und Denker, steht natürlich für das zerrissene Deutschland der 50iger Jahre. 

Hier beraten Politiker, Börsen schließen, Wissenschaftler forschen und alles gerät recht possierlich durcheinander. Man glaubt immer wieder bekannten Politikern zu begegnen, einigen aus den 50iger Jahren – logisch – aber auch welchen aus Ampel-Koalitionen und EU-Regionen. Es ändert sich über die Jahrzehnte wohl gar nicht so viel. Justin Steinfeld erweist sich einmal mehr als Prophet des Wahnsinns.

Justin Steinfeld: Califa. Oder: Die Liebe zu einer Starkstromtechnikerin. Edition Nautilus. 24 Euro.

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Hier und nur hier muss man sich Bölls "Dr Murkes gesammeltes Schweigen" vorstellen - das Paternoster im wunderschönen Berliner Haus des Rundfunks (RBB).

Aktuelle Beiträge

Czyslanskys Bettlektüre #6: Hermann Grab: Der Stadtpark

„Ich habe Hermann Grabs Erzählung mit einem Vergnügen gelesen, wie sie mir lange kein Manuskript bereitet hat.“ Der Satz könnte von mir sein, ist er aber nicht. Thomas Mann hat sich so über Hermann Grabs kleinen Roman „Der Stadtpark“ geäußert, ein Werk, das fast vergessen war und auf das ich erst durch einen Hinweis meines Sohnes aufmerksam wurde. es war ein wertvoller Hinweis, denn Hermann Grab ist für mich persönlich wohl die literarische (Wieder-)Entdeckung des Jahres. Warum eigentlich? Herman Grab war ein begnadeter Impressionist der Schriftstellerei. Geboren am 6. Mai 1903 – ja, uns eint der Geburtstag – in Prag, der Stadt in der 20 Jahre zuvor Franz Kafka auf die Welt kam. Zumindest letzteres ist kein Zufall, denn der Geist der Stadt an der Moldau prägte beide. Beide auch waren sie jüdischer Abstammung, wenngleich Grabs Familie wie zahlreiche andere großbürgerliche Sippen auch zum Katholizismus konvergiert war. Grab wie Kafka

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Eine Laudatio zum Buch „Digitale Aufklärung“ von Tim Cole und Ossi Urchs

Die folgende Laudatio durfte ich anlässlich der Vorstellung des Buchs „Digitale Aufklärung“ von Tim Cole und Ossi Urchs am 7. Oktonber 2013 im Münchner Presseclub halten. Die darin zitierten zehn Thesen haben beide Autoren hier auf Czyslansky in kleinen Beiträgen zur Diskussion gestellt: These 1: http://www.czyslansky.net/?p=9987 These 2: http://www.czyslansky.net/?p=10017 These 3: http://www.czyslansky.net/?p=10057 These 4: http://www.czyslansky.net/?p=10100 These 5: http://www.czyslansky.net/?p=10154 These 6: http://www.czyslansky.net/?p=10182 These 7: http://www.czyslansky.net/?p=10205 These 8: http://www.czyslansky.net/?p=10224 These 9: http://www.czyslansky.net/?p=10227 These 10: http://www.czyslansky.net/?p=10229   Laudatio Worum geht es heute eigentlich? Um nichts wirklich Wichtiges. Nur um ein einfaches Buch. Also um etwas, das dem Aussterben längst anheim gegeben ist. Keine Ahnung, warum Sie sich für etwas so ganz und gar Altertümliches überhaupt noch interessieren. Vielleicht wegen des Inhalts. Es hat immerhin fast einhundert Seiten. Um genau zu sein: es enthält 291.453 Anschläge. Wir reden also über ein Buch in 2.082 Tweets. Was heißt das? Einerseits: ich selbst habe für ziemlich genau 4.000

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Czyslanskys Bettlektüre #2: Yasar Kemal: Salih der Träumer – und noch fünf andere

Czyslansky-Freund Lutz Prauser hat ja hier gestern seine aktuelle Bettlektüre vorgestellt und eine kleine Reihe über den Lesestatus der Freunde Czyslanskys angekündigt. Derart in Zugzwang gebracht, habe ich nun den Papierstapel neben MEINEM Bett gesichtet. Und hier kommen meine Hinweise auf den aktuellen Lesestoff eines Frühjahrsmüden an den Osterfeiertagen: Vorweg muss ich anmerken, dass ich häufig zwei bis drei Bücher parallel lese, abhängig von der Stimmung und der Lesehaltung: schwere Hardcover lieber im Schaukelstuhl, „leichte“ Paperback-Kost gerne auch in abendlicher Rückenlage. Beginnen wir also mit Geschaukeltem: Yasar Kemal: Salih der Träumer Von Kemal kenne und liebe ich alles. Ich bin quasi Kemalist.

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“Der Darm denkt mit” – Von seltsamen Buchtiteln

Eckart, Luzia und Bodo suchen hier seltsame Buchtitel. Sie werden wohl fündig werden. Im Zweifel schreibt sich diese Jury ihre Bücher einfach selbst. Aber das wird wohl gar nicht nötig sein, werden Eckart von Hirschhausen (Die Leber wächst mit ihren Aufgaben – Rowohlt, 2008), Lucia Braun (Da-Da-Da-Sein. in: Die ZEIT, September 1989) und Bodo Mrozek (Jury-Chef des Wettbewerbs “Das schönste bedrohte Wort”, 2007) doch von uns allen im Internet unterstützt bei ihrer Suche nach dem “Kuriosestem Buchtitel”. Auf der nächsten Frankfurter Buchmesse werden sie dann einen Preis überreichen. Vielleicht an Ulrike Thiel für ihr aufklärerisches Werk “Geritten werden: So erlebt es das Pferd” oder aber an Christiane Kautz, die ihrem Namen mit dem Titel “Kaninchen besser verstehen” alle Ehre macht. Frauen dominieren übrigens bei den kuriosika literaris, man denke nur an Kerstin Höckel (“Wie wir damals auf dem Bauernhof geheiratet haben, und der Alois am Tag drauf fast den Hund

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Hart fallen – weich landen / Ein Buch für erfolgreiche Angsthasen und mutige Gescheiterte

Ich hasse Ratgeber-Literatur. Und ich liebe dieses Buch: „Hart fallen – weich landen“ von Susanne Müller-Zantop. Das beste an diesem Buch ist sicherlich, dass es so viel mehr ist, als der Klappentext verspricht. Susanne Müller-Zantop hat nämlich ein Mutmacherbuch geschrieben und eine große kleine Reportage einer Frau, die sich seit mehr als zwanzig Jahren im Zentrum der IT-Branche bewegt.

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Michael KauschCzyslansky wurde 2008 von Sebastian von Bomhard, Alexander Broy, Tim Cole, Alexander Holl, Michael Kausch, Hans Pfitzinger, Lutz Prauser, Ossi Urchs und Christoph Witte als gemeinsames Projekt ins Leben gerufen. Seit 2017 führt Michael Kausch das Blog alleine weiter.

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