Czyslansky liest

Ich liebe Bücher. Und ich lese sie noch immer ausschließlich in gedruckter Form, also tote Bäume. Und ab und an schreibe ich über Gelesenes. Heraus kommen dabei selten klassische Buchbesprechungen, eher schon kleine Erfahrungs- oder besser Erlesungsberichte. Wer sich für den Inhalt der Bücher interessiert, der muss diese schon selbst lesen. Walter Benjamin meinte einmal, echte Polemik nehme sich ein Buch so vor, wie ein Kannibale sich einen Säugling vornehme. Eben mit liebevoller Zuneigung. So nähere ich mich jedem neuen Buch. Lüstern schmatzend. 

Vor einiger Zeit habe ich einmal in hundert aufeinander folgenden Tagen 100 Bücher von 100 Autoren auf Facebook und Instagram vorgestellt. Die dabei entstandenen kleinen Texte habe ich auf Czyslansky zu „Literarischen Quintetten“ zusammengefasst.

Noch ein Tipp: Bücher gibt es in allen guten Buchhandlungen. Und wenn es bei Euch vor Ort keine Buchhandlung mehr gibt, dann kann man fast alle hier besprochenen Werke beim sozialen Buchhandel buch7 online bestellen. Der ist fair und von jeder Bestellung wird  ein kleiner Anteil für einen sozialen Zweck abgeführt. Man muss wirklich nicht bei Jeff kaufen …

Czyslansky liest auf Instagram

Jean-Claude Izzo: Mein Marseille.
Im Dezember planen viele ihren Sommerurlaub. Meine Reise im nächsten Sommer wird mcih endlich endlich endlich in eine Stadt führen, in die es mich schon seit vielen Jahren zieht: nach Marseille. Seit ich vor langer Zeit die Romane von Jean-Claude Izzo entdeckt und mit dem Flic Fabio Montale den ein oder anderen Pastis in der „Bar des Maraichers“ im alten Hafenviertel von Marseille geleert habe will ich dorthin. 
Der kleine Band „Mein Marseille“ von Izzo versammelt einige kurze Ausschnitte aus einen Romanen, vor allem aber kleinere journalistische Texte über Marseille, wunderbare Liebeserklärungen an die Stadt, ihre Bewohner, ihre Geschichte und Alltagskultur. Izzo beschreibt das Licht, das die Stadt zu allen Tageszeiten verzaubert, die Gerüche, die sie durchziehen, das Sprachengewirr in den engen Gassen am Hafen. Er beschreibt die Weltoffenheit der Stadt, die als mediterrane Hafenstadt immer eine Brücke zwischen Europa und Afrika war. Er beschreibt diese Brückenfunktion für die Küche und für die Musik, für die Hautfarben der Menschen und für ihre Gesten. Er beschreibt Marseille als ewige Stadt des Exils, des Einwanderns und Auswanderns, der kulturellen Vermischung und Anreicherung. Er beschreibt Marseille als multikulturelle Stadt und sich selbst als Kind multikultureller Einflüsse.
Wer wissen will warum Knoblauch in die Küche gehört und was eine gute Bouillabaisse ausmacht, der lese diesen … äh … Reiseführer, nein, diese Liebeserklärung an Marseille. #literatur #buchtipp #buch #bücher #bücherliebe #leseecke #lesetipp #buchblogger #leseliebe #instabuch #bücherinsel #bookstagram #buchempfehlung
Lesetipp: Franz Friedrich: Die Passagierin. Der grausame Engel der Geschichte im Sanatorium. 

Endlich: Seitdem Zauberberg habe ich mich in keinem Sanatorium so angeregt unterhalten wie in Kolchis mit der Passagierin von Franz Friedrich. Ein Lesepflicht-Buch über die Vergeblichkeit aus der Vergangenheit zu lernen, über das Elend des Exils, über Schuld und Hoffnung und auch wenn es nicht so klingt: ein Buch, das toll zu lesen ist.

Der Plot: Per Zeitreise ins Sanatorium der Exilanten

Heather wurde schon als Jugendliche per Zeitreise – durch ein Wurmloch, das war’s dann aber auch schon mit wissenschaftlichem Hintergrundgestöber – ins Sanatorium von Kolchis evakuiert. In Kolchis trafen sich Exilanten aus allen Jahrhunderten zwischen – grob – 13tem und frühem 20tem Jahrhundert. Eine hübsche bunte Melange aus allen Kontinenten.
In Kolchis wurden sie einst für das Leben in der Jetzt-Zeit trainiert oder „resozialisiert“. Nach mehreren Jahren kehrt Heather nun für einen kurzen Urlaub wie einst Hans Castorp auf den Zauberberg nach Kolchis zurück. Und wie Hans Castorp, bleibt sie länger als geplant. Sie hofft durch eine neuerliche Konfrontation mit ihren Erinnerungen an das Sanatorium ihre offenkundige seelische Zerrissenheit heilen zu können. Denn sie leidet wie viele andere Zeit-Exilanten auch unter Einsamkeit und Depressionen. Warum das so ist, werden wir, die Lesenden, bald erfahren.

In Kolchis hat sich seit ihres ersten Aufenthalts viel verändert. Das Programm "Exil durch Zeitreise" wurde beendet. Es gibt keine neuen Exilanten mehr. Das Sanatorium ist heruntergekommen, die Infrastruktur verfallen, sie trifft auf andere beschädigte frühere Zeitreisende auf Erinnerungsurlaub, unter anderem auf Matthias, einem Exilanten aus den Bauernkriegen. Heather selbst wurde in der DDR geboren, gehört also historisch betrachtet zu den jüngsten Exilanten. Matthias hat in den Bauernkriegen gegen den Bauernkämpfer Thomas Müntzer gefochten. Er fühlt sich schuldig, stand er doch historisch auf der falschen Seite.

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100 Jahre Zauberberg. Der Berg ruft
Vor 100 Jahren ist also "Der Zauberberg" von Thomas Mann erschienen. Es gibt nur wenige Bücher, die ich mehrmals gelesen habe: Goethes "Wahlverwandtschaften", "Die Dialektik der Aufklärung" von Adorno und Horkheimer, Anna Seghers "Transit", den Shell Autoatlas und eben den Zauberberg. Keines hat mich so fasziniert wie der Zauberberg. Ich liebe dieses "aus der Zeit fallen" des Hans Castorp. Dass aus einem kurzen Klinikaufenthalt sieben lange Jahre werden. So wie ja auch aus der geplanten Novelle Thomas Mann versehentlich einen tausend Seiten fassenden Roman generierte. Auch Thomas Mann ist beim Schreiben aus der Zeit gefallen. Und ich beim Lesen sowieso.
Natürlich hilft dabei das Sujet, die Schatzalp, der Berg, das Eingeschneitwerden im Winter, die zeitweise Nichterreichbarkeit, das Schaukeln zwischen Leben und Tod der Kranken, jenes röchelnde irdische Fegefeuer des Lungen-Sanatoriums. Vor einiger Zeit veranstaltete des Münchner Literaturhaus eine Ausstellung zum Roman. Dabei bliesen Lautsprecher alle paar Minuten das stakkatohafte Husten eines virtuellen Rauchers in den Raum. Die akustisch überaus stimmige Versetzung zum Viatium der Barbara Hujus.

Das Personal
Überhaupt das Personal des Romans. Fast alle sind sie mir in meinem Leben leibhaftig begegnet. Die erinnere die wirre irre Frau Stöhr in einer Reisegruppe zwischen den Ruinen des alten Troja, wie sie anklagend den bösen Russen verurteilte, der 45 unser schönes Elfenbeinzimmer gestohlen habe. Richtig gelesen: das berühmte Elfenbeinzimmer. Die reisegruppe bestand großteils aus Studienrätinnen und Studienratten plus Frau Stöhr und einem liebenswerten Schreiner, den Frau Stöhr denn auch gleich zum Innendesigner erklärte, dem Status wegen. Ach meine Frau Stöhr, wie hatten wir Spaß miteinander ...
Und dann natürlich Clawdia, die schöne Chauchat. Sie ist mir in meinem Leben ebenso begegnet, wie der unsägliche Mynheer Peeperkorn, der geile notsportive Fettsack. An Settembrinis und Naphtas mangelte es in meinem politischen Leben sowieso nicht.
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"Picknick auf dem Eis" von Andrej Kurkow ist nicht nur ein wunderschöner Roman, nein, es ist auch noch ein Buch, dass die Stadt Wien jetzt in 100.000 Exemplaren verschenkt. Das Projekt "Eine Stadt. Ein Buch" gibt es seit 2002. Jedes Jahr sucht eine Jury ein Buch aus und die Stadt, finanziert über Sponsoren, verschenkt an die Bürger*innen 100.000 Gratisexemplare. "Picknick auf dem Eis" habe ich vor einiger Zeit mit größter Lust gelesen. Es wäre nun wirklich auch den Ladenpreis wert. 
Der Plot: ein erfolgloser Schriftsteller im verarmten Kiew rettet einen Pinguin aus dem Zoo und nimmt ihn bei sich zuhause auf. Er beginnt Nachrufe auf verstorbene und noch nicht verstorbene Zeigenossen für Zeitungen zu schreiben. Leider aber sterben diese zu langsam, bis ... ja bis ... aber lest selbst. 
Also: Ab in die Buchhandlung oder rasch nach Wien: https://einestadteinbuch.at/gratisbuch #literatur #buchtipp #buch #bücher #bücherliebe #leseecke #lesetipp #buchblogger #leseliebe #instabuch #bücherinsel #bookstagram #buchempfehlung #wien #wienliebe #gratisbuch #einestadteinbuch #kurkow
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Aktuelle Beiträge

Iran

Mit dem Zug durch den Iran – Teil 1: Vorbereitung und Buch-Tipps und Traditionelle Musik

Zwischen dem 13. und dem 24.  April 2017 durchquerte ich mit der Eisenbahn den Iran. Der folgende Reisebericht gibt in mehreren Teilen meine Erfahrungen wieder. Ich würde mich freuen, wenn mein kleiner Bericht  ein wenig dazu beitragen würde, den Iran endlich für Reisende aus Europa wieder neu zu entdecken. Es lohnt für alle: für die Menschen im Iran, wie für die Reisenden. Teil 1: Reisevorbereitungen Die Geschichtsstunden über die Perserkriege liegen Jahrzehnte zurück. Die Erinnerung an diese Stunden ist beschämend lückenhaft. Vermutlich war ich krank oder in schulnahen Kneipen unabkömmlich, als Dareios und Xerxes im Lehrplan standen. Unvoreingenommene Berichte über den modernen Iran sind in unseren Medien Mangelware. Ein typisches Reiseland ist der Iran heute auch nicht. Im besten Fall ist er für meine Freunde eine große Unbekannte, im schlechteren Fall für meine Nicht-Freunde Teil der Achse des Bösen. Eine Fahrt durch das Morgenland, aus dem angeblich die Weisen kamen, die heute

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Digitale Transformation

Digitale Transformation – Laudatio zur Vorstellung des neuen Buchs von Tim Cole

Digitale Transformation – Laudatio zur Vorstellung des neuen Buchs von Tim Cole Diese kleine Laudatio durfte ich am 5. Oktober 2015 aus Anlass der Vorstellung des neuen Buchs von Tim Cole im Münchner Presseclub halten. Das Buch ist unter dem Titel „Digitale Transformation“ im Verlag Franz Vahlen GmbH unter der ISBN 9783800650439 erschienen. Dass Tim Cole mich eingeladen hat heute aus Anlass der Vorstellung seines neuen Buchs die Laudatio zu halten, ehrt – nein, nicht mich, es ehrt ihn. Die Wikipedia definiert ja eine Laudatio als „Lobrede zu Ehren einer Person“. Und weiter: „Bei einer Laudatio gilt es als Fauxpas, den Laureaten in irgendeiner Weise negativ darzustellen oder zu beschämen.“ Aber Tim weiß natürlich, dass unsere nun wirklich viele Jahre schon haltende enge Freundschaft ohne Kritik nicht funktionieren würde. Dass du dies weißt, lieber Tim und ich hier trotzdem stehe, ehrt deinen Mut. Du wirst ihn brauchen. Ich will dich hier nicht

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Czyslanskys Bettlektüre #6: Hermann Grab: Der Stadtpark

„Ich habe Hermann Grabs Erzählung mit einem Vergnügen gelesen, wie sie mir lange kein Manuskript bereitet hat.“ Der Satz könnte von mir sein, ist er aber nicht. Thomas Mann hat sich so über Hermann Grabs kleinen Roman „Der Stadtpark“ geäußert, ein Werk, das fast vergessen war und auf das ich erst durch einen Hinweis meines Sohnes aufmerksam wurde. es war ein wertvoller Hinweis, denn Hermann Grab ist für mich persönlich wohl die literarische (Wieder-)Entdeckung des Jahres. Warum eigentlich? Herman Grab war ein begnadeter Impressionist der Schriftstellerei. Geboren am 6. Mai 1903 – ja, uns eint der Geburtstag – in Prag, der Stadt in der 20 Jahre zuvor Franz Kafka auf die Welt kam. Zumindest letzteres ist kein Zufall, denn der Geist der Stadt an der Moldau prägte beide. Beide auch waren sie jüdischer Abstammung, wenngleich Grabs Familie wie zahlreiche andere großbürgerliche Sippen auch zum Katholizismus konvergiert war. Grab wie Kafka

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Eine Laudatio zum Buch „Digitale Aufklärung“ von Tim Cole und Ossi Urchs

Die folgende Laudatio durfte ich anlässlich der Vorstellung des Buchs „Digitale Aufklärung“ von Tim Cole und Ossi Urchs am 7. Oktonber 2013 im Münchner Presseclub halten. Die darin zitierten zehn Thesen haben beide Autoren hier auf Czyslansky in kleinen Beiträgen zur Diskussion gestellt: These 1: http://www.czyslansky.net/?p=9987 These 2: http://www.czyslansky.net/?p=10017 These 3: http://www.czyslansky.net/?p=10057 These 4: http://www.czyslansky.net/?p=10100 These 5: http://www.czyslansky.net/?p=10154 These 6: http://www.czyslansky.net/?p=10182 These 7: http://www.czyslansky.net/?p=10205 These 8: http://www.czyslansky.net/?p=10224 These 9: http://www.czyslansky.net/?p=10227 These 10: http://www.czyslansky.net/?p=10229   Laudatio Worum geht es heute eigentlich? Um nichts wirklich Wichtiges. Nur um ein einfaches Buch. Also um etwas, das dem Aussterben längst anheim gegeben ist. Keine Ahnung, warum Sie sich für etwas so ganz und gar Altertümliches überhaupt noch interessieren. Vielleicht wegen des Inhalts. Es hat immerhin fast einhundert Seiten. Um genau zu sein: es enthält 291.453 Anschläge. Wir reden also über ein Buch in 2.082 Tweets. Was heißt das? Einerseits: ich selbst habe für ziemlich genau 4.000

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Czyslanskys Bettlektüre #2: Yasar Kemal: Salih der Träumer – und noch fünf andere

Czyslansky-Freund Lutz Prauser hat ja hier gestern seine aktuelle Bettlektüre vorgestellt und eine kleine Reihe über den Lesestatus der Freunde Czyslanskys angekündigt. Derart in Zugzwang gebracht, habe ich nun den Papierstapel neben MEINEM Bett gesichtet. Und hier kommen meine Hinweise auf den aktuellen Lesestoff eines Frühjahrsmüden an den Osterfeiertagen: Vorweg muss ich anmerken, dass ich häufig zwei bis drei Bücher parallel lese, abhängig von der Stimmung und der Lesehaltung: schwere Hardcover lieber im Schaukelstuhl, „leichte“ Paperback-Kost gerne auch in abendlicher Rückenlage. Beginnen wir also mit Geschaukeltem: Yasar Kemal: Salih der Träumer Von Kemal kenne und liebe ich alles. Ich bin quasi Kemalist.

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Michael KauschCzyslansky wurde 2008 von Sebastian von Bomhard, Alexander Broy, Tim Cole, Alexander Holl, Michael Kausch, Hans Pfitzinger, Lutz Prauser, Ossi Urchs und Christoph Witte als gemeinsames Projekt ins Leben gerufen. Seit 2017 führt Michael Kausch das Blog alleine weiter.

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