Der „Kammergeist“
Foto: Olaf Ballnus
Ich war letzte Woche in Hamburg beim Landgericht. Eigentlich hätte ich mir die Reise sparen können, denn ich habe diese Runde 0:1 verloren. Es hat sich aber trotzdem gelohnt, denn ich habe dadurch Rolf Schälike kennengelernt. Na ja, eigentlich nicht kennengerlernt, aber wenigstens von Weitem gesehen.
Nochmal kurz zum kurzen Prozess („15 Minuten für die Wahrheitsfindung“): Es ging um eine Einstweiligen Verfügung, die Frank Schirrmacher gegen mich erwirkt hat wegen eines Zitates, das u.a. auf czyslansky.net erschien und in dem ich behauptet habe, seine in seinen Büchern und Artikeln verwendeten Methoden erinnerten mich an die großer Propagandamacher der deutschen Geschichte und insbesondere an die Instrumentalisierung der Juden während der Machtergreifung 1933. Schirrmacher fühlt sich dadurch von mir geschmäht, ich hätte ihn damit sittlich auf eine Stufe mit den Antisemiten gestellt, und die Richter der Pressekammer des Landgerichts sehen das auch so. Mein Anwalt. Prof. Gero Himmelsbach von der Kanzlei Romatka & Collegen in München will erst noch die Urteilsbegründung abwarten, und dann entscheiden wir, ob wir vors Oberlandesgericht ziehen.
Aber das ist jetzt nicht so wichtig. Wichtig war der unscheinbare Mann mit den schütteren grauen Haaren und dem grauen Anzug, der als Zuhörer in der Ecke saß und fleißig mitschrieb.
Ich habe ihn nicht weiter beachtet, mich interessierte viel mehr das Reporterteam der BILD-Zeitung, die mit Fotografen angereist waren. Der Tipp sei „aus Berlin“ gekommen, sagten sie mir. Dass Schirrmacher und BILD-Chef Kai Dieckman dicke Freunde sind, ist bekannt. Ein Schelm, wer böses dabei denkt…
Jedenfalls habe ich Rolf Schälike glatt übersehen, und darüber ärgere ich mich sehr. Denn Schädike ist der Erfinder von „buskeismus.de„, ein Blog, das sich mit der unter Juristen bekannten Tendenz gewisser Hamburger Richter auseinandersetzt, im Zweifel gegen die Meinungsfreiheit zu urteilen. Der Name leitet sich ab vom Vorsitzenden Richter Andreas Buske, und die Kammer nennt Schälike seit Jahren die „Zensurkammer“. Das wusste ich – ich wusste nur nicht, wie Rolf Schälike aussieht, was angesichts seiner vermutlich bewusst gepflegten Unscheinbarkeit vielleicht verzeihlich ist.
Umso erstaunter war ich, als gestern unter einem Beitrag, den ich auf meiner privaten Homepage, www.cole.de, geschrieben hatte, auf einmal ein kleiner Kommentar auftauchte, unter dem der Name „Rolf Schälike“ stand. Ich habe ihm sofort eine Mail geschrieben, und bekam tags darauf eine ellenlange Antwort, die hier ganz wiederzugeben den Rahmen sprengen würde, aus der ich aber gerne folgendes zitieren will:
„Ich hoffe, Sie verzeihen mir. Ich habe Sie nicht angesprochen, weil die so genannten Qualitätsjournalisten – Niggemeier, Weinreich u.a. zu mir Distanz üben, und ich erst dabei bin, von denen ernst genommen zu werden. Ich wollte auch bei Ihnen keine Enttäuschung erleben.
Die Verhandlung erwies sich für mich als die Top-Verhandlung, denn Faschismus und zwar der gewöhnliche Faschismus ist mein zentrales Thema.
In Deutschland gibt es einige Tabu-Themen und Tabu-Wörter, dazu gehören auch Vergleiche mit der Nazizeit oder mit der Stasi. Es wäre schade, wenn Sie nicht weiter machen würden. Es wäre wichtig, das bis zum BVerfG durchzuklagen. Es muss doch Interessenten geben, welche dieses Thema auch finanzieren würden. Verlage und die Presse werden es nicht sein. Gehen Sie keinesfalls in Berufung. Warten Sie das Hauptsachverfahren ab. Sie haben Zeit. Inzwischen kann man die Solidarität ausbauen und sich Gedanken über die Finanzierung machen.
Bei den Zensurkammern zu verlieren dürfte keine Schande sein. Sehen die meisten allerdings anders. Sie vertrauen den Richtern und deren Rechtsprechung. Es ist zu verstehen, die Hörigkeit.
Ich propagiere öffentlich weniger Ihre Argumente als die Tatsache, dass der Herausgeber der FAZ Zensur übt. Vielleicht ist das sogar gegen meine persönlichen Interessen, weil die FAS z.B. mich in den konservative Kreisen mit dem beiliegenden Artikel hoffähig gemacht hat.“
Angehängt war ein Artikel aus der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ von 28. Juni 2009, in dem es unter der Überschrift „Der einzige Zeuge“ um den Menschen Rolf Schälike ging und um seine Mission. Er sei der „Kammergeist“, schreibt Autor Birger Menke, und beschreibt die „regelrechte Furcht von Anwälten, ins Visier von Schälike zu geraten“. O-Ton FAS:
„Auf seiner Website veröffentlicht Schälike seine Gerichtsprotokolle, die freilich aufgrund einer Fülle von orthographischen und grammatikalischen Fehlern oft wenig seriös daherkommen. Hier macht die selbsternannte Pseudoöffentlichkeit die Verhandlungen öffentlich – und fuhrt viele Verfahren ad absurdum: Als etwa die Mörder des Schauspielers Walter Sedlmayr Onlinemedien verklagten, in deren Archiven weiterhin Berichte mit der vollen Namensnennung zu finden waren, berichtete Schälike über den Prozess – ohne zu anonymisieren. Beantragt ein Betroffener eine einstweilige Verfügung, muss er einplanen, dass Schälike über die Verhandlung schreiben wird und der Fall so weiter aufgebauscht wird. Ein publizistischer Judo-Trick: Oft schafft so erst die Klage selbst die Aufmerksamkeit für die Details, die die Kläger aus der Welt schaffen wollen.“
Auch mein Fall ist also jetzt zumindest „pseudoöffentlich“ (hier der Link zu seinem Gerichtsprotokoll). Er habe das getan, weil „es nicht einfach ist, den gewöhnlichen Faschismus konkret mit Namensnnennung und Denk- sowie Verhaltensweisen in Deutschland zu thematisieren“, schreibt Schälike. „Damit ist für mich das Ganze mit dem Faschsmus- und Nazivergleich ein sehr politisches Thema. Die wissensachaftlichen und publizistischen Untersuchungen geraten an die Grenzen politischer Interessen (Manipulation und Wählerstimmen). Na ja…“
Herr Schädike hat mich gebeten, ihm die Einstweilige Verfügung zu schicken, die das Hamburger Landgericht gegen mich erwirkt hat. Er möchte es veröffentlichen, denn das darf er.
Rolf Schälike sei der „Michael Kohlhas der deutschen Juristerei“, sein Einsatz „so bewundernswert wie sein aufklärerisches Motiv“, schrieb die FAS. Wolf Biermann, für den sich der junge Rolf Schälike – aufmüpfiger Sohn strammer DDR-Kommunisten und selbst kurzzeitig bis zu seinem Rausschmiß SED-Mitglied – nannte ihn 2001, als man ihm den Georg-Büchner-Preis verlieh, in seiner Dankesrede einen „Schluck Wahrheit in den Wüsten der Lüge“.
Ob Herr Schirrmacher, der als Journalist selbst die „Zensurkammer“ gegen einen Berufskollegen wie mich angerufen hat, das auch so sehen würde, wage ich zu bezweifeln. Aber er arbeitet ja für eine andere Zeitung. Die erscheint nur unter der Woche. Am Sonntag darf bei der Frankfurter Allgemeinen dann die Wahrheit raus…
Aber eigentlich müßte ich ja Schirrmacher dankbar sein, denn durch ihn habe ich wenigstens einen flüchtigen Blick auf Rolf Schälike werfen dürfen.