Zwischen dem 13. und dem 24. April 2017 durchquerte ich mit der Eisenbahn den Iran. Der folgende Reisebericht gibt in mehreren Teilen meine Erfahrungen wieder. Ich würde mich freuen, wenn mein kleiner Bericht ein wenig dazu beitragen würde, den Iran endlich für Reisende aus Europa wieder neu zu entdecken. Es lohnt für alle: für die Menschen im Iran, wie für die Reisenden.
Teil 1: Reisevorbereitungen
Die Geschichtsstunden über die Perserkriege liegen Jahrzehnte zurück. Die Erinnerung an diese Stunden ist beschämend lückenhaft. Vermutlich war ich krank oder in schulnahen Kneipen unabkömmlich, als Dareios und Xerxes im Lehrplan standen.
Unvoreingenommene Berichte über den modernen Iran sind in unseren Medien Mangelware. Ein typisches Reiseland ist der Iran heute auch nicht. Im besten Fall ist er für meine Freunde eine große Unbekannte, im schlechteren Fall für meine Nicht-Freunde Teil der Achse des Bösen. Eine Fahrt durch das Morgenland, aus dem angeblich die Weisen kamen, die heute im Kölner Dom in der goldenen Schatulle liegen, bedarf der Vorbereitung. Ich habe mir deshalb in den letzten Wochen nicht nur Reiseführer und einige Bücher über den Islam angeeignet, sondern auch einige zeitgenössische Belletristik ausgewählt. Die besten möchte ich im Folgenden kurz vorstellen:
Buchtipp I: Ramita Navai: Stadt der Lügen
Von den hier empfohlenen Büchern ist dies vermutlich das bekannteste. Jedenfalls wurde es mir vor Reiseantritt gleich von drei meiner Freunde empfohlen. Ramita Navai, die Autorin, war von 2003 bis 2006 Korrespondentin der Times in Teheran. Sie schildert die Widersprüchlichkeit und Doppelmoral des Alltags im heutigen Iran anhand mehrerer halbdokumentarischer Kurzgeschichten, die alle in der Valiasr-Straße in Teheran spielen. Diese große Nord-Süd-Achse spiegelt wie kaum eine andere Verkehrsverbindung die Vielfalt der soziokulturellen Milieus der 12-Millionen-Stadt Teheran wieder:
von den reichen nördlichen Vororten bis in die südlichen Altstadtviertel rund um den Hauptbahnhof, vom säkularen Mittelstand bis zu den religiös orientierten Armen im Süden. Outlaws gibt es dabei in allen Klassen:
- Drogendealer – Iran ist das Land mit den meisten Drogenabhängigen im Nahen und Mittleren Osten,
- Pornodarstellerinnen – unterm Schleier wird nicht nur gebetet
- kleine Gangster mit großen Vorbildern.
Wer das Buch liest wird sich auch nicht über die vielen jungen Frauen mit Pflaster auf der Nase wundern, die er in den iranischen Städten sehen wird. Eine meine Zugbegleiterinnen gehörte zu dieser Gruppe. Es sind Mädchen, die sich ihre Nase operieren lassen. Sie lassen ihre wunderschönen klassischen langen orientalischen Nasen zu kleinen pseudoeuropäischen Himmelfahrtsnasen verarbeiten. Dabei nutzte der Prophet gar keine Nasen, sondern ein Pferd für seine Himmelfahrt …
Buchtipp II: Parsua Bashi: Briefe aus Teheran
Besser, als die Stadt der Lügen haben mir die Briefe aus Teheran gefallen. Parsua Bashi ist eigentlich Grafikerin. Sie lebt – wenig überraschend – in der Valiasr-Straße, im Herzen Teherans. Und sie trägt diese Stadt in ihrem Herzen. Gleichwohl berichtet sie kritisch vom Alltag in der iranischen Metropole, von den Auswirkungen der Wirtschaftsblockade auf ihren Alltag, davon wie die Preise für Fleisch und Wurst in den vergangenen Jahren nach oben schossen, von der Unzufriedenheit der Jugend, von den chaotischen Zuständen im öffentlichen Nahverkehr und nicht zuletzt von den alltäglichen Zensurerfahrungen und den phantasievollen Umgehungsstraßen, die sich die kritische Intelligenz in Teheran tagtäglich baut. Ein charmantes Buch voller Charme und Widerstand.
Buchtipp III: Shida Bazyar: Nachts ist es leise in Teheran
Dies aber ist mein großer Tipp unter den aktuellen Büchern aus dem Iran. Shida Bazyar erzählt von vier Mitgliedern eine Familie, verteilt auf die drei Jahrzehnte zwischen der iranischen Revolution 1979 und dem Jahr 2009. Der junge linke Revolutionär Behsad wirkt an der Revolution 1979 mit und muss schnell erkennen, wie die orthodoxe islamische Geistlichkeit, eben noch Kampfgenosse gegen das Unrechts-Regime des Schah, schnell seine Genossen einen nach dem anderen ausschaltet und ins Gefängnis und vor die Erschießungskommandos wirft. Er muss mit seiner Familie das Land verlassen und lebt danach in Deutschland das Schicksal des Emigranten. Seine Kinder werden zwischen den Kulturen groß, heimatvertrieben und heimatlos. Und das Buch erzählt wie die Kinder und Enkel heute die Hoffnungsträger sind auf eine friedliche Veränderung und Öffnung des Landes. Es ist ein deutsch-iranischer Roman, der uns den Iran näher bringt und Deutschland aus der Ferne zeigt, ein Buch, dass zu lesen lohnt nicht nur wenn man sich auf eine Reise durch den Iran vorbereitet. Die Autorin lebt in Berlin als Bildungsreferentin für Jugendliche, die ein Freiwilliges Ökologisches Jahr machen. Sie war Studienstipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung.
Buchtipp IV: Vita Sackville-West: Zwölf Tage in Persien
Auch das vierte Buch, das ich Euch ans Herz legen will, wurde von einer Frau geschrieben. Vita Sackville-West reiste in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts über die Bakhtiari-Berge. Sie war einerseits eine emanzipierte Frau und begab sich auf Reisen, die damals Männern vorbehalten waren. Andererseits war sie eine typische Vertreterin eines gehobenen bürgerlichen Standes mit nur geringem Verständnis für die niederen Stände und einfachen Menschen im damaligen Persien. Das Buch ist eine kleine feine historische Dokumentation, eine Entführung in das alte Persien mit den Augen einer versnobten englischen Lady. Es ist ein leichter Lesespaß, nicht mehr und nicht weniger.
Buchtipp V: Georg Friedrich Daumer: Hafis. Eine Sammlung persischer Gedichte
Hafis ist unbestritten der wichtigste Dichter Persiens. Und er ist einer, der wunderschön zu lesen ist, jedenfalls in der kongenialen Übersetzung von Georg Friedrich Daumer.
Daumer war ein verkrachter fränkischer Theologe, der im 19. Jahrhundert evangelische Theologie in Erlangen studierte, mit der offiziellen Kirchenpolitik nicht klar kam, deshalb seinen Job verlor, einige Zeit als Hauslehrer des Findelkindes Kaspar Hause tätig war, später dann zum Islam konvertierte und schließlich den Weg in den Katholizismus fand. Er war den weltlichen Freuden stets zugetan.
Eben dies verbindet ihn mit Hafis, der im 14. Jahrhundert gläubiger Muslim, leidenschaftlicher Weintrinker und alles in allem ein göttlicher Hurensohn war. Geboren in der Weinstadt Schiras, die einer Rebsorte den Namen gab, predigte er gegen die damaligen religiösen Vertreter des Islam und bestand auf (s)einen direkten Draht zu Allah. Seine Gedichte finden sich in nahezu jedem iranischen Haushalt und er wird von alten wie jungen Iranern gleichermaßen geliebt. Nun ja – nicht von allen freilich! Nach 1979 versuchten die Mullahs ihn zu verbieten, was aber niemals gelang. Hafis war als Volksdichter einfach zu verwurzelt in der Tradition des Iran. Iraner lieben Gedichte und Musik, mehr noch als wir unseren Goethe lieben, der übrigens selbst ein großer Verehrer Hafis war.
Ein Bändchen mit Gedichten von Hafis gehört in das Reisegepäck jedes Iran-Reisenden. Das ist so. Das ist Pflicht. Punkt.
Scheinbar: das Geld für die Reise
Mit Büchern alleine kann man nicht reisen. es braucht auch ein wenig Geld. Und diesbezüglich erfordert eine Reise durch den Iran ein wenig Vorbereitung. Denn mit europäischen Kreditkarten und auch mit Reiseschecks kommt man nicht weit. Beides wird fast nirgendwo akzeptiert und Bargeld abheben ist mühsam und in vielen Gegenden nahezu unmöglich. Es empfiehlt sich deshalb seinen Geldbedarf in Bargeld mitzunehmen, und zwar in kleinen Euro- oder Dollar-Noten.
Der Wechselkurs wechselt – wie der Name schon sagt. Er wechselt aber nicht täglich, sondern minütlich. Je nach Geschäft und Gegenüber waren während meiner Reise 100.000 iranische Rial mal knapp zwei, mal drei Euro wert. Der offizielle Wechselkurs liegt zur Zeit bei knapp drei Euro für 100.000 Rial. Bei einem Einkauf auf dem Basar hatte ich die Wahl entweder 250.000 Rial oder fünf Euro zu bezahlen. Bekommt man einen Preis genannt, muss man sich ein oder zwei Nullen in der Regel hinzudenken. Sagt ein Händler 3.000, dann meint er entweder 30.000 oder 300.000 Rial. Die Währung hat einfach zu viele Nullen.
In jedem Fall ist der Iran für Deutsche ein relativ billiges Reiseland. Wir können uns vor Ort alles das leisten, was für viele Iraner leider auch auf Grund der Wirtschaftsblockade immer unerschwinglicher wird.
Schleierhaft: die Kleidung fürs Reisegepäck
Frauen müssen den Hijab, also das Kopftuch, tragen. Eigentlich sollte das Tuch die Haare komplett bedecken. Vor allem in den Städten nehmen viele Iranerinnen das nicht so genau. Sie tragen das Tuch weit nach hinten versetzt – aber sie tragen das Tuch. Auf dem Land hingegen sieht man fast alle Frauen im Tschador, also im knöchellangen Umhang, der den Körper vom Kopf bis zu den Füßen komplett bedeckt. In Teheran ist der Tschador vor allem in den unteren sozialen Schichten verbreitet. Für Europäerinnen ist der Hijab in der Regel ausreichend. Die Kleidung sollte allerdings nicht körperbetont sein. Es empfiehlt sich einen dreiviertellangen Mantel – den sogenannten Manteau – zu tragen. In einigen religiösen Stätten ist allerdings ein Tschador Pflicht. Man kann sich dann aber für den Besuch der heiligen Stätte einen Tschador kostenlos ausleihen.
Für Männer liest man in der Regel, dass kurze Hosen und kurzärmelige Hemden nicht erlaubt sind. Für Hosen kann ich dies bestätigen: man wird in ganz Iran keine Männer in kurzen Hosen finden. Allerdings sind derzeit T-Shirts weit verbreitet. Das kann sich aber nach der nächsten Wahl schon wieder ändern. Jede Präsidentenwahl ist im Iran auch eine Wahl der künftig tolerierten Ärmellänge.
Abgestempelt: vom richtigen Ausweispapier
Ein letzter Hinweis zur Reisevorbereitung betrifft die Ausweispapiere: vor Reiseantritt, spätestens aber bei der Einreise, muss ein Visum erworben werden. Ein gültiges Visum bedeutet aber noch lange nicht, dass man auch einreisen darf. Man benötigt auch einen gültigen Reisepass. Ein gültiger Reisepass bedeutet aber noch lange nicht, dass man auch einreisen darf. Echte Probleme kann es nämlich geben, wenn der Reisepass israelische Stempel aufweist. Wer also in letzter Zeit in Israel war, der sollte sich einen zweiten sauberen Reisepass besorgen. Das hat dann auch den Vorteil, dass man mit dem einen Pass problemlos nach Israel und in die USA reisen kann und mit dem zweiten Pass in den Iran und zum Beispiel nach Saudi-Arabien. Da jeder Grenzbeamte in diesen Ländern natürlich weiß, dass die nationalen Einreise-Restriktionen mit zwei Pässen umgangen werden, wirkt das alles ein wenig albern. Aber Grenzen sind nun mal albern.
Also Leute: besorgt Euch einen sauberen Reisepass, kleine Euro-Scheine, lange Hosen bzw. einen Hijab, lest ein wenig und macht Euch auf den Weg: der Iran wartet auf Euch.
Im zweiten Teil meines Reiseberichts stelle ich dann in ein paar Tagen meine Reisegefährten vor, ehe es endlich losgeht – mit Bildern von der Rundreise durch den Iran, einem wunderschönen Land mit ganz wunderbaren Menschen.
Hier geht es zu den einzelnen Kapiteln der Iranreise:
Teil 1: Vorbereitung und Buch-Tipps und Traditionelle Musik
Teil 3: Von Teheran über Mashhad und Kerman zum heißesten Punkt der Erde
Teil 5: Von Isfahan nach Shiraz
Nachtrag vom 3. Juni 2017: Traditionelle Musik im Iran
Nicht im Vorfeld, aber im Nachgang zu meiner Iran-Reise habe ich mich ein wenig intensiver mit traditioneller Musik aus dem Iran beschäftigt.
Unter den zahlreichen Aufnahmen, die es heute auf CD gibt, ist mir eine besonders positiv aufgefallen: Iranian Classic Music in The Contemporary World: Hossein Alizadeh.
Ein weiterer Bericht von meiner Rundreise per Eisenbahn durch den Iran ist übrigens auf Travellers Insight, dem Reiseblog des Flughafens München erschienen: https://www.travellers-insight.com/mit-der-eisenbahn-auf-rundreise-durch-den-iran/.
Mein Mitreisender Rolf Pausch hat seine Reiseerlebnisse inzwischen in einem kleinen Büchlein bei BoD veröffentlicht.
Der Autor: Dr. Rolf Pausch, Medienwissenschaftler, langjährige Tätigkeit als Leiter von universitären Medienzentren bis zum Ruhestand.
Das Buch
Umfang: ca. 100 Seiten mit vielen Bildern im Text und einem Anhang über einen Filmbeitrag „Weltkongress iranischer Studenten“ für das WDR-Fernsehen aus dem Jahre 1969. Hier u bestellen: Buch Persien im Sonderzug.
Ich möchte noch auf zwei ganz wunderbare Aufnahmen hinweisen: Während meines Urlaubs hat die Zeitgenössische Oper Berlin endlich Originalaufnahmen aus dem Konzert „Female Voices of Iran“. Man muss wissen, dass Frauen im Iran derzeit aus religiösen Gründen nicht alleine als Sängerinnen auftreten dürfen. Sie dürfen nur gemeinsam mit Männern singen. nach 1979 war noch nicht einmal das möglich. Wir konnten iranische Frauenstimmen während unseres Urlaubs hören. Aber das war schon eine große Ausnahme. Und das hier ist eine große Aufnahme. Hören!
und
Eine weitere Buch-Empfehlung:
Terence Ward: Eine Reise in das Herz des Iran. München: Piper/Malik 2007.
Terence Ward (geboren 1957 in Boulder, Colorado) beschreibt eine Reise, die er 1998 zusammen mit seinen Eltern und Brüdern unternimmt, um die Orte und Personen seiner Kindheit wieder zu sehen, die er mit seiner Familie in Persien bis zum Sturz des Schahs verlebt hatte. Eine warmherzige gelegentlich bis ans Rührselige und sehr Persönliche grenzende Schilderung der Suche und dem Wiedersehen mit der persischen Familie, die sie seinerzeit betreut hatte.
Sehr kenntnisreich, aber dennoch mit distanziertem Blick wird die Situation im Iran um die Jahrtausendwende beschrieben, als sich mit der Präsidentschaft Chatamis eine zögernde Liberalisierung durchzusetzen begann – eine Entwicklung, die der gegenwärtigen ähnelt.
Es ist – gerade angesichts der derzeitigen Irrungen der US-amerikanischen Politik – angenehm, das Buch eines welterfahrenen Amerikaners zu lesen, der nicht die dumpfen selbstbezogenen Vorstellungen des Trumpeltiers, seiner Wähler und Unterstützer teilt.
Leider ist die (hervorragend übersetzte) deutsche Ausgabe nur noch antiquarisch erhältlich.