Mythos #10: Wenigstens hilft das Leistungsschutzrecht den Verlagen

Dass das Leistungsschutzrecht in der vorliegenden Form weder gerechtfertigt noch unschädlich ist, wissen wir inzwischen. Nicht nur Bürgerrechtler, Piraten, Juristen und andere Internetaktivisten warnen vor den äußerst unschönen Nebenwirkungen eines solchen Gesetzes, das, sollte es denn kommen, das Internet verändern würde. Darüber kann auch die Beschränkung der Schutzgelderpressung auf „gewerbliche Nutzung“ auch nicht hinwegtäuschen. So wie es im Entwurf steht, ist man bereits gewerblich, wenn man einen Sponsorenlink auf der Seite hat oder Flattr einbindet. Oder wenn man sich auf einem Feld äußert, auf dem man selbst tätig ist, sei es als Geschäftsmann, als Journalist, als Sachverständiger. Sicher ist also nur der, dem man ansieht, daß er unprofessionell seinen Senf zugibt und kaum Leser hat.

Wechseln wir vielleicht dennoch den Blickwinkel. Nehmen wir an, wir sind die Verleger. Das Leistungsschutzrecht kommt. Wir trinken Champagner. Den ganzen Abend über. Am nächsten Morgen – wir sind noch verkatert – kommt unser SEO Manager zu uns ins Büro. Das ist der Mann, der dafür zuständig ist, daß unsere Seiten im Internet gefunden werden. Nachdem sich Google mit uns noch nicht über einen Einkaufspreis geeinigt hat, mußten sie uns wohl aus dem Newsangebot nehmen. So war das nicht geplant. Zwanzig Minuten später kommt der Mitarbeiter, der die Werbung auf unseren Onlineseiten koordiniert. Er sieht beunruhigt aus – die neuen IVW-Zahlen sind katastrophal (IVW=“Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern“).

Nach einer Stunde steht der Finanzchef bei uns auf der Matte. Die Bank sieht, wie weit wir im Onlineranking zurückfallen und will mit uns über die veränderten Rahmenbedingungen unserer Kredite sprechen. Noch bevor der Aufsichtsrat anruft, hängen wir das Telefon aus, gehen ins Bad, sperren hinter uns ab und heulen vor Wut. Dann waschen wir uns das Gesicht und versuchen, zu retten was zu retten ist.

Mit Hilfe von Google finden wir heraus: Es gibt einen neuen Eintrag im robots.txt.

User-Agent: Google-news
Google-Flag: LSG abandoned
Service-Level: standard

Damit wird eine alte Rechtslücke geschlossen. Die robote.txt war ja opt-out, nun ist alles opt-in. Politisch korrekt, wunderbar. Für Anhänger altmodischer Sprache: Früher musste man sagen, dass man nicht wünscht, daß die Inhalte gelistet werden. Heute darf Google nur kommen, wenn man es auffordert. Und Google kommt nur, wenn man auf die Rechte aus dem Leistungsschutzgesetz (LSG)  verzichtet, „abandoned“. Damit hat es mit dem Leistungsschutzgeld also nicht funktioniert, aber wenigstens kann man den alten Zustand schnell wieder herstellen. Sie geben also in Auftrag, diese ominösen Einträge zu machen. Wenige Minuten später ruft Ihr Justitiar an. Er erklärt Ihnen, wie die Welt jetzt aussieht. Früher haben Sie Google gewähren lassen. Nun bitten Sie Google quasi herein. Das heißt, Sie bieten einen Vertrag an.

Und jetzt kommt’s: Sie bestellen den Service-Level „standard“. Kann gut sein, daß das heißt, nur einmal am Tag besucht zu werden. Dann sind andere, die einen besseren Service-Level bestellt und bezahlt haben, in den Suchlisten einfach immer weiter oben. Und dann fließt wirklich Geld, aber in entgegengesetzter Richtung, nicht zu den Verlagen, die sich dann verwundert die Augen reiben werden, wie ein genial eingefädelter Lobbycoup so schrecklich schiefgehen konnte.

Verlassen wir das Szenario. Man könnte jetzt die Gier der Verlage hämisch kommentieren und das Thema beenden. Aber was bringt das? Es geht ja um mehr, nämlich auch darum, sich einig zu werden, was wir als Gesellschaft wollen. Es kann ja kaum in jedermanns Interesse sein, daß es irgendwann keine einzige lesbare Zeitung mehr gibt. Dann gingen letztlich auch die Googlerecherchen ins Leere. Und wird man sich über die eigentlichen Hintergründe der Probleme der Presse klar, wird es wieder kompliziert.

Wovon lebt eigentlich eine durchschnittliche Tageszeitung heute, wovon vor 30 Jahren und wovon vor 100 Jahren? Eines ist in jedem Fall klar, sie lebt nicht vom Verkauf ihrer Inhalte. Die Inhalte sind die Verpackung, mit der Leute angeregt werden sollen, diese Zeitung zu kaufen und zu lesen. Die Höhe der Auflage bestimmt direkt den durch Werbung erzielbaren Umsatz. Dieser Kuchen steht nicht mehr ungeteilt zur Verfügung. Und ja, den haben sich Google, Facebook und Co einverleibt. Aber das ist ein ganz normaler Marktvorgang, den zu kritisieren ziemlich sinnlos ist. Keiner darf jammern, der seinerseits bei einem Discounter einkauft oder Filme nicht im Kino, sondern im Fernsehen anschaut. (Fußnote für die, die das letzte Beispiel nicht auf Anhieb verstanden haben: Dem Filmproduzenten ist es vielleicht egal, aber nicht dem Kinobesitzer.)

Und ein weiterer Kuchen ist verlorengegangen: Die Kleinanzeigen. Diese waren Einkommensgeneratoren und Inhaltslieferanten in einem. Ein herber Verlust für die Zeitungen, der hätte vermieden werden können, solange die Zeitungen noch ihre Kleinanzeigenkunden hatten. Diese Anzeigen sind heute aber nicht bei Google, sondern bei immoscout24.de, monster.de, eBay, mobile.de und wie sie alle heißen. Dort bekommen die Kunden mehr für weniger Geld. Auch das ist der Markt. Schlecht für die Zeitungen, gut für die Internetportale. Freilich fordert keiner, auch die Internetportale an den Kompensationen ausgefallener Verlagseinkommen zu beteiligen.

Um Inhalte zu verkaufen, muss man auf Abonnenten zurückgreifen. Und die bekommt man durch Qualität. Aber genau daran hapert es ja auch. Der Wahn unserer Zeit, dass nur Unternehmen überleben können oder dies glauben, in denen betriebswirtschaftlich unbarmherzige Controller den Ton angeben und derjenige gefeiert wird, der mit immer weniger Einsatz gerade noch verkäufliche Qualität produziert, ist der schleichende Tod vieler Dinge, die wir aus unserer Kindheit noch kennen und die wir durchaus einmal geschätzt haben und heute noch schätzen würden.

Die Controller sind natürlich nicht schuld. Es sind ja auch immer die anderen, die zu den Selbstbedienungstankstellen fahren und sich über mangelnden Service beklagen, oder die in die großen Einkaufszentren fahren, aber sich lauthals beschweren, daß es in ihrer Gegend keine Läden mehr gebe, oder die sich individuell in Fachgeschäften informieren, um dann günstiger im Internet zu bestellen und sich dann aber wieder aufzuregen, wenn eben dieser Fachhandel sich weigert, die Sachen im Bedarfsfall dann zu reparieren. Oder Leute, die 100 Quadratmeter Auslauf für jedes Huhn fordern, aber grundsätzlich im Supermarkt nach den billigsten Eiern greifen, kurz nachdem sie Hackfleisch für 39 ct. kaufen, das natürlich bio sein sollte.

Warum sollte es also den Verlagen anders gehen? Alle beklagen sich über die abnehmende Qualität des Journalismus in Deutschland und erkennen durchaus, daß schleichende Umsatzrückgänge zu einer Erosion beim Personal geführt haben. Dann aber hapert es an der Transferleistung im Denken. Eine Tageszeitung, die versucht, ihren Preis zu verdoppeln, wird am Kiosk vergammeln. Keiner nimmt sie mit, alle werden damit beschäftigt sein, darüber zu jammern, dass es keine vernünftigen Zeitungen mehr gebe. Und das ist der wahre Hintergrund hinter dem Leistungsschutzrecht: Es ist durchaus vermittelbar, daß irgendwer bezahlt, dass es so weitergehen kann wie bisher, solange es nicht der Leser ist. Und Google hat’s ja. Ein Opfer wurde gefunden, mission accomplished. In Wahrheit werden wir vermutlich nach einem massiven Zeitungssterben eine Renaissance des Journalismus erleben und auch wirkliche Neuerungen im Geschäftsmodell. An Ideen mangelt es nicht, und solange das Internet frei bleibt von Überregulierung und Umschichtung, wird das nächste erfolgreiche journalistische Geschäftsmodell wohl im Internet stattfinden.

Und über Google & Co. wird man es finden.

Bildquelle: Irgendwo aus den Weiten des Internet. Es handelt sich wohl um ein Polizeiphoto. Sollte jemand Rechte an diesem Bild haben und mit der Veröffentlichung nicht einverstanden sein, würde ich als Akt der Höflichkeit empfinden, nicht gleich einen Anwalt zu schicken.

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Was bisher geschah:

Einleitung
Mythos #1: Geistiges Eigentum gibt es nicht
Mythos #2: Künstler haben es schwerer als früher
Mythos #3: Ohne das Internet ginge es den Künstlern besser
Mythos #4: Das Urheberrecht muß überarbeitet werden, weil sich durch
das Internet alles geändert hat
Mythos #5: Das Urheberrecht sorgt dafür, daß alle Kreativen gleich
fair behandelt werden
Mythos #6: Ohne Verwertungsrechte sähe die Musik heute ärmer aus
Mythos #7: Der Streit ums Urheberrecht ist ein Internet-Problem
Mythos #8: Alles, was von Komponisten geschaffen wird, muss ge-
schützt werden
Mythos #9: Das Leistungsschutzrecht verhilft den Verlagen zu ihrem gerechten Anteil am Kuchen

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