Mythos #2: Künstler haben es schwerer als früher

Immer wieder hört man von Politikern den Satz, daß, wer den ganzen Tag hart arbeitet, davon auch leben können muß. Das ist natürlich reinster unreflektierter Populismus aus der Mindestlohnecke. Einen größeren Unsinn hat man selten gehört, denn es gilt immer noch die Regel von Angebot und Nachfrage. Wer den ganzen Tag Gewichte stemmt, wird schwerlich dafür Geld fordern können, wenn er es nicht gerade zum Mister Universum oder zum Türsteher oder Geldeintreiber bringt. Unternehmer und Selbständige wissen auch genau, wovon ich rede: Man gründet irgendetwas, arbeitet hart und dann(!) zittert man, ob auch alles so kommt wie geplant. Und auch in der Kunst ist es nicht anders: Wer sich den ganzen Tag Bücher ausdenkt, Melodien oder Bilder, wird auch einen Abnehmer brauchen, der bereit ist, ihn dafür zu bezahlen.

Natürlich kann auch die Gesellschaft vernünftigerweise der Meinung sein, daß es Künstler geben muß, die nur durch Unterstützung überleben, da sie nicht für den rauhen Markt produzieren wollen, sollen oder können. Dann gewährt sie Stipendien, stellt Hilfsmittel zur Verfügung oder lobt Preise aus. Oder sie bezahlt einfach allen ein bedingungsloses Grund­ein­kommen und entgeht damit der Diskussion, wer denn nun staatlich anerkannter förderungswürdiger Künstler ist und wer nicht. Damit bekommt der Begriff „Lebenskünstler“ eine neue Qualität.

Oft wird die Meinung vertreten, das Urheberrecht sei dafür verantwortlich, daß Künstler frei und unbeeinflußt von den sie alimentierenden Fürsten leben und schöpferisch tätig sein könnten. Das ist eine so romantische wie falsche Vorstellung. Es gab wirklich große Künstler, die Zeit ihres Lebens von Fürstenhäusern finanziert wurden und dennoch herausragende Werke schufen. Manchmal fiel auch ein bisschen Glanz auf den Fürsten, dem es gelang, solche Künstler an sich zu binden. Ein Beispiel wäre Fürst Esterházy und sein Hofkomponist Joseph Haydn. Zur selben Zeit lebte Wolfgang Amadeus Mozart sehr gut von Auftragsarbeiten, und nicht als Angestellter eines Fürsten. Daß er chronisch klamm war, lag nicht an Mängeln des Urheberrechts, sondern an seiner Unfähigkeit, mit Geld hauszuhalten.

Nach dem Niedergang der europäischen Fürstenhäuser stellt sich die Frage weniger, ob es der Kunst abträglich ist, wenn sie von einem einzigen Menschen mit möglicherweise sehr eigenem Geschmack – oder eben auch keinem Geschmack – finanziert wird. Aber noch immer muß der Künstler überzeugen.

Entweder überzeugt er den Markt. Dann sollte das Werk im Wortsinne gefällig sein, denn es muß möglichst vielen Menschen gefallen. Dann dient er aber einfach nur einem neuen Fürsten, und zwar einem, der vielleicht noch viel mehr Einfluss auf sein Werk nehmen wird als der gute Esterházy. Bevor der neue Fürst, also der Markt, überzeugt werden kann, muß darüber hinaus meistens erst noch ein Verwerter überzeugt werden, denn sonst nimmt einen der Markt nicht wahr. Musiker brauchen eine Plattenfirma, Schriftsteller einen Verleger, Maler einen Galeristen. Das Internet hat hier soviel Schaden wie Segen angerichtet: Der Marktzugang ist viel einfacher geworden, bildlich gesprochen also der Zugang zu den Kühen, aber das Melken ist viel schwieriger. Es sei denn, man hat einen guten Verwerter gefunden, der auch mit neuen Medien umgehen kann.

Welche Möglichkeiten hat der Kreative noch? Vielleicht überzeugt er einen Kulturdezernenten, eine Jury, eine Kommission, was auch immer, daß er gefördert werden muß, daß es für uns wichtig wäre, ihm den Rücken freizuhalten, daß er in Ruhe schreiben, komponieren oder malen kann oder die in Marmorblöcken eingeschlossenen Statuen befreien. Häufig wird er es dann mit Frauen um die 50 zu tun haben, mit weiten Hosenanzügen und Kurzhaarfrisuren. Oder mit Männern, ebenfalls um die 50, aber mit jugendlich gemeinter Kleidung, zum Beispiel Jeans, Sakko und einer bunte Brille mit merkwürdig getönten Gläsern.

Vielleicht will der Kreative das auch nicht? Dann kann er immer noch Künstler sein, nur eben nicht davon leben. Es gibt das Gesetz von Angebot und Nachfrage, und es gibt das Leben im Reservat. Wer seine Sachen nicht los wird und keine Eintrittskarte für das Reservat haben will oder bekommt, muß sein Geld anderweitig verdienen. Dann ist er eben Nebenerwerbskünstler.

Wieso nicht. Wer sagt denn, daß Kunst nur von Leuten geschaffen werden kann, die davon leben müssen? Noch nie in der Geschichte konnten so viele Menschen von irgendwelchen kreativen Beschäftigungen leben. Das heißt nicht, daß nicht gleichzeitig viele Kreative reichlich prekär leben. Ist das jetzt widernatürlich? Nein, der Besuch der Oper „La Bohème“ wird empfohlen. Man kann das für Sozialkitsch halten, aber ganz abwegig dürften die Charaktere dann doch nicht gezeichnet sein. Auch Spitzwegs „Armer Poet“ würde heute besser leben, mit Hartz IV hätte er Heizkostenhilfe und müsste nicht seine Manuskripte verbrennen, um nicht zu erfrieren.

Die Zeiten für Künstler wurden und werden besser, noch nie konnten sich so viele Leute mit „brotloser Kunst“ über Wasser halten wie heute. Aber gleichzeitig wurde die Kunst derer, die sich gerne mit Kunst beschäftigen, ohne damit Geld verdienen zu wollen, noch nie so gering geschätzt. Wer die Kunst unentgeltlich liebt, ist ein Amateur im Sinne des Wortes. Nur wer davon lebt, ist ein Profi (das Wort „Professionelle“ ist ein wenig in Misskredit geraten). Und wer einfach nur Freude beispielsweise am Musizieren hat, sich also an Musik delektiert, ist, italianisiert, ein Dilettant.

Das war früher anders, da gehörte es zur Allgemeinbildung, Musizieren, Malen und Schreiben zu können. Und dabei entstand einiges an Kunst, vieles, das sich vor „Profis“ nicht verstecken muss. Und wer weiß schon, welcher heute berühmte Künstler nicht doch nebenbei von einem Brotberuf lebte? Kafka war Versicherungsangestellter, Rosendorfer Amtsrichter, Ernst Jandl Gymnasiallehrer (besser: Mittelschulprofessor), Eduard Mörike Pfarrer, Lessing war Sekretär bei Tauentzien und später Bibliothekar, Kleist war im Staatsdienst, weitere Beispiele gibt es zuhauf.

Auch der Musiker Friedrich der Große war nicht nur nebenberuflich König

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Was bisher geschah:

Einleitung
Mythos #1: Geistiges Eigentum gibt es nicht

2 Antworten

  1. Vergeßt auch nicht die Gaukler und Schausteller – auch sie sind Künstler! Jedenfalls dürfen sie (wie freie Journalisten) den halben Mehrwertsteuersatz verlangen.

  2. Ein kluger Beitrag. In der Tat geht die Kunst nicht am Urheberrecht zugrunde. Auch nicht an der Gema. Und sicher nicht an einer Reform des Urheberrechts. Der Hinweis auf die Vielgestalt von Einnahmequellen ehrenwerter Künstler ist wunderbar, aber in Zeiten wohlfeiler Zwangsabgaben auf USB-Sticks und Bierdeckeln (wieviele Gedichte wurden schon auf Bierdeckeln verbreitet), aber leider selten geworden. Die Mittel zur Entlohnung künstlerischer Tätigkeiten werden in Zukunft vielfältiger werden. Es geht weniger darum, alte Mechanismen administrativ zu zerstören – dies tut in der Regel der Markt, kein Pirat – , als neue zu etablieren.

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