Toiletten sind – so titelte gestern die FAZ – ein kulturelles Problem. “ Für Flüchtlinge in Deutschland können Toiletten ein kulturelles Problem sein – etwa, weil sie Wasser statt Papier gewohnt sind.“ Nun ja… nicht schon wieder die Flüchtlingskrise.
Passend zum heutigen Welttoilettentag kann man allerdings trefflich darüber diskutieren, wie tragisch es ist, dass viele Menschen weltweit keinen Zugang zu sauberen Toiletten haben. Das betrifft nicht nur etwa 2,5 Milliarden Menschen, denen es laut Vereinten Nationen an elementarer Grundversorgung mangelt. Das betrifft auch – so viel Kalauer sei erlaubt – die Besucher nahezu aller Fußballstadien der Bundesliga spätestens in der Halbzeitpause, Reisende an Hauptbahnhöfen, Besucher auf Volksfesten und Kirmesveranstaltungen… wo immer sich Heerscharen von Menschen ihrer Notdurft entledigen wollen, sinkt das sanitäre Qualitätsniveau dramatisch schnell bis unter die Grenze des Erträglichen.
Ebenfalls an die Grenze des Erträglichen ist die deutsche Beteiligung am European Song Contest 2016 gesunken. Ausgerechnet heute am Welttoilettentag hat die ARD verkündet, beim kommenden ESC werde Xavier Naidoo Deutschland vertreten. Über die musikalische Qualität Naidoos kann man streiten, jahrelang wurde er als Mannheimer Heulboje tituliert. Das wird schon seine Gründe haben.
Nun zeigt sich die bundesdeutsche, dem eigenen Selbstverständnis nach intellektuell-zynische Elite auf Twitter über diese Entscheidung wenig erfreut. Twitter is not amused und kommentiert gehässig, empört, witzelnd oder einfach nur sauer. Auch das ist verständlich.
Dabei wollte die ARD doch nur verhindern, dass der vom Publikum gewählte Kanditat wieder kalte Füße bekommt und stiften geht und es erneut zu einem Debakel kommt. Naidoo also wird’s, ob das Debakel damit verhindert wird, ist eine zweite Frage. Das Publikum darf aus dem Naidooschen noch zu schaffenden Potpourri an Betroffenheitsgejammer den einen Song wählen, mit denen der Sänger tränenerstickt in Stockholm möglicherweise scheitern wird.
Stimmen aus Deutschland kann er nicht bekommen – das sehen die Regularien nicht vor, und selbst wenn es so wäre: Viele würden sie ihm auch versagen. Nicht ohne Grund, denn Naidoo, der bereits angekündigt hat, das Ding nach Hause zu holen hat in Vergangenheit mehrfach unrühmlich von sich Reden gemacht.
2011 erklärte er im ARD-Morgenmagazin: „Wir sind nicht frei. Wir sind immer noch ein besetztes Land. Deutschland hat keinen Friedensvertrag, und dementsprechend ist Deutschland auch kein echtes Land und nicht frei.“
Dass der Sänger mit bedrohlicher Nähe zu den rechtspopulistischen Reichsbürgern jetzt für ein auf einmal doch real existierendes Land ins Rennen geht, ist schon verwunderlich. Dabei ist diese Nähe nicht das Einzige, was dem Propheten des rechten Glaubens, wie ihn „die Welt“ nannte, vorgeworfen wird: Die Palette reicht von Schwulenhass bis Antisemitismus.
Dass nun ausgerechnet er Deutschland repräsentieren soll, ist für die ARD ausgemachte Sache, auf viel Begeisterung wird sie damit nicht treffen.
Mir persönlich ist das egal – ich schaue den ESC auch dieses Jahr wieder nicht. Und für die Xavier Naidoo Musik im Radio gibt es die „Mute“ Taste. Ich höre ihn nicht – Teile seiner Texte würden mich verunsichern.
Bleibt zu hoffen, dass es in der Stockholmer Ericsson Globe Arenas genug Toiletten gibt und diese sanitärtechnisch einwandfrei sind, wenn Naidoo dort auftrittt. Sie werden vermutlich gebraucht werden.
Irgendwo habe ich gelesen, dass man zivilatorischen Fortschritt an der Entfernung messen kann zwischen dem Menschen und seine Fäkalien. Demnach leben Bundesligabesucher und Bahnreisende im Mittelalter, Pfadfinder in der Steinzeit.