Papier ist überall. Es nimmt unsere Ideen und Gedanken auf, transportiert und konserviert sie. Wir wickeln darin unsere Frühstücksbrötchen ein und trinken aus ihm unseren Morgenkaffee. Es hängt neben der Toilette und in den größten Museen der Welt, von Künstlern wie Pablo Picasso und George Braque zu Kunstwerke von unschätzbarem Wert verarbeitet. Wir wickeln darin unsere Wertsachen ein, legen sie in Umzugskartons und ziehen damit um. Wir falten daraus kleine Flugzeuge und lassen sie mit unseren Träumen davon fliegen. Wir schleifen Unebenheiten mit ihm glatt und isolieren damit Elektroleitungen. Wir bezahlen damit beim Einkaufen oder blättern gedankenverloren darin herum, wenn wir beim Friseur oder beim Zahnarzt warten müssen. Manchmal ziehen wir es sogar an und laufen darin herum. Papier ist vielseitig und funktionell, flexibel und verfügbar, billig und benutzerfreundlich, anpassbar und allgegenwärtig, natürlich und authentisch, leicht und kräftig, zuverlässig und zeitlos.
„Ohne Papier gäbe es unsere Kultur nicht“, sagte mir neulich Dr. Dorothea Eimert, Leiterin des Deutschen Papiermuseums in Düren, einer Kleinstadt am Nordrand der Eifel, das jahrhundertelang von Papier gelebt hat und immer noch als Zentrum der deutschen Papierindustrie gilt. Hätte Guttenberg einen anderen, ähnlich variablen und robusten Beschreibstoff für den Buchdruck gefunden? Zwar hat der Mensch in seiner Geschichte Zeichen und Buchstaben in Tontafeln und auf Baumrinde geritzt, die alten Ägypter hatten ganze Bibliotheken auf Papyrusrollen, im Mittealter haben Mönche ihre Illuminationen auf Rinderhäute gepinselt. Aber die Entstehung unserer heutigen allgegenwärtigen Bild- und Schriftsprache verdanken wir mit einiger Sicherheit dem namenlosen Erfinder des Papiers.
Der Mann (oder die Frau), mit dem alles anfing, lebte in China, und zwar vor etwa 1.400 Jahren. Die ältesten erhalten Papierfragmente sind Landkarten, die zur Zeit der Han-Dynastie (202 v. Chr. bis 8 n. Chr.) aufgezeichnet wurden. Das Geheimnis der Papiermachens wurde im Reich der Mitte lange streng gehütet und gelangte erst im sechsten Jahrhundert nach Korea und Japan und von dort über die Seidenstraße nach Europa. Dort entstanden die ersten Papiermühlen im 13. Jahrhundert, zunächst in Italien, später auch in Deutschland, wo die erste Papiermanufaktur 1390 in Nürnberg gegründet wurde.
Und nun häufen sich die Stimmen die behaupten, dass Papier zumindest in seiner Ur-Domäne bald am Ende sein wird, nämlich dem Transport von Informationen. „Die Neuen Medien werden auf Bildschirmen dargestellt, nicht auf Papier“, sagte der Hamburger Medienberater Prof. Ewald Wesseling kürzlich auf der Jahrestagung des Vereins der Zellstoff- und Papier-Chemiker in Wiesbaden. Aber auch wenn die Substitution des Papiers kaum aufzuhalten sei, sieht auch er das vielbeschworene „papierlose Büro“ noch in weiter Ferne – wenn überhaupt. „Vieles wird davon abhängen, ob es gelingt, die nachwachsende Generation von den unbestreitbaren Vorzügen von Papier zu überzeugen und es als eine durchaus attraktive Alternative in ihrer multimedialen Welt zu akzeptieren“, glaubt Wesseling.
Ich bin dennoch skeptisch, ob sich das so genannte „ePaper“ durchsetzen wird, ob wir tatsächlich alle unsere Tagesnachrichten oder unsere Groschenromane auf einem „Kindle“ von Amazon oder auf einem Sony Reader lesen werden, ob das Internet auf Dauer dem Wettbewerb der auf toten Bäumen bedruckten Informationen vollends den Garaus machen wird. Eher glaube ich, dass sich das Geschäftsmodell der Zeitungs- und Zeitschriftenverlage mit der Zeit anpassen muss. Aber allen Unkenrufen zum Trotz werden die Menschen auch in 100 Jahren noch Zeitung lesen. Denn Papier ist nicht nur vielseitig, funktional, wiederverwertbar und preiswert. Es ist auch sinnlich – wenn Sie Papier in die Hand nehmen, geschieht etwas, das fast unbeschreiblich ist. Kein eBook oder eZeitung kann das ersetzen.
Ich habe Dorothea Eimert gefragt, warum es das vielbesungene „papierlose Büro“ der Zukunft immer noch nicht gibt, und warum wir im Gegenteil scheinbar immer mehr Papierfluten im Büroalltag produzieren. Ja, gab sie zu, es werde oft zu viel auf Papier produziert, und manches könnte man sich schenken. Dann aber gab sie mir zu Bedenken: „Wir sind Sinnesmenschen. Am Bildschirm habe ich aber nichts in der Hand. Das widerspricht unserer Natur.“
Im Papiermuseum in Düren feiern Eimert und ihre Kollegen das Papier als Kulturfaktor. Ist das noch zeitgemäß? „Ohne Papier hätte eine Vermittlung und Überlieferung von Geschichte und Kultur niemals so umfassend stattgefunden“, sagt sie. Sie findet, das sollte man ruhig feiern – „auch und gerade, weil uns Papier auch in der Zukunft begleiten wird.“
Den Buchdruck hat nicht unser Wirtschaftsminister Guttenberg oder einer seiner Vorfahren erfunden, sondern Johannes Gutenberg (nur ein T und auch nur ein Vorname) #Klugscheisser
Gut(t)enberg, alias Gensfleisch, war auch der Erfinder des Druckfehlers…
@ tim
dass gutenberg eigentlich mit bürgerlichem namen „gensfleisch“ hieß, ist ein weit verbreiteter irrtum. czyslansky hat in seiner – leider unveröffentlichten – biografie des im sächsischen grimma bei leipzig geborenen gutenbergschen lehrlings jeremias drüggling nachgewiesen, dass das ganze von einer fehldeutung des sächsischen dialekts eben jenes drüggling herrührte. dieser hatte seinen meister wiederholt öffentlich mit der bemerkung „meister, gens fleisch mir mein gulden baldmäglichsd remiddieren, den wo ich ihn gägäben hob“ düpert, weshalb nachbarn des ewig geldkargen druckermeisters diesen bald „gensfleisch“ zu nennen pflegten.