Dies ist der zweite Text unserer kleinen Serie zum Thema Nett im Netz – Netiquette2014.beta. Weitere Beiträge folgen in loser Reihenfolge. Eine Übersicht über die erschienenen Beiträge finden Sie jeweils am Ende des Textes.
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Es ist über 30 Jahre her, da überraschte mich mein Vater mit einer Zeitungsmeldung. Er hatte sie gelesen, mit Textmarker markiert, auf meinen Platz am Frühstückstisch gelegt und war in die Arbeit gefahren.
Es sollte nicht das einzige Mal bleiben, dass er mich auf diese Art auf Nachrichten, Meldungen oder Berichte hinwies, von denen er meinte, ich solle das lesen. Das war in den meisten Fällen zwar gutgemeint, aber nicht gut durchdacht. Vieles davon war weder lesenswert noch interessant – fand ich, der geborene Neinsager zu jeglichen väterliche Belehrungsansprüchen. Ich fing an, in der Fernsehzeitung Sendungen anzustreichen, die er unbedingt sehen wollte. Er verstand das Signal nicht. Noch Jahre später – wir waren längst ausgezogen und lebten in einer anderen Stadt, flatterten auf dem Postweg Schnipsel aus seiner Tageszeitung zu mir: „Das interessiert Dich doch sicher…“
Wie sehr er sich irrte. Heute, wenn ich meine Facebook-Timeline durchblättere sehe ich oft ähnliches Verhalten. Ein Vater stellt seinem Sohn in die Timeline einen Link ein, wo er sich als Praktikant bewerben könne. Natürlich kommentiert. Eine Mutter verlinkt in die Timeline ihres Sohnes unentwegt Berichte über Orte, wo die Familie mal Urlaub gemacht hat und setzt nicht selten eine Anekdote dazu: „Weißt Du noch. Da warst Du acht oder neun…“
Ein anderer zaubert Fotos seiner Kinder aus seinem Archiv und verbreitet diese via Facebook an Freunde und Verwandte, Bilder, die teilweise an die 15 Jahre alt sind. Die Kinder sind hin und wieder recht putzig, aber mal ehrlich: Wer möchte schon unkontrolliert Kleinkindfotos von sich im Netz verbreitet wissen? Ich nicht. Und genau hier steckt das Problem.
Als mein Vater meinte, mich mit Notizen aus der Zeitung belehren und hin und wieder auch provozieren zu müssen (denn nicht selten waren die Berichte genauso ausgewählt) war das eine Sache zwischen zwei Personen: Ihm und mir. Und sie fand auf dem heimischen Esstisch statt. Heute passiert Selbiges auf Facebook: Vor den Augen der Öffentlichkeit, vor eigenen Freunden und den Freunden und Bekannten der Kinder. Das Eltern-Kind-Verhältnis ist im sozialen Netzwerk ein Schwieriges, ich weiß das, denn ich bin seit Jahren bei Facebook und meine Töchter sind es auch.
Als sie vor Jahren dort mit dem ersten große Walk In einmarschierten und SchülerVZ und ähnliche Plattformen hinter sich ließen, gab es eine kleine Diskussion dazu. Ich stimmte dem Wunsch zu, dass sie sich dort anmelden durften (eine andere Wahl hatte ich sowieso nicht, sie hätten es sonst vermutlich auch alleine gemacht), erbat mir aber, dass wir fortan bei Facebook befreundet sein sollten. Ich fand, sie waren zu jung, um dort einfach und ungeschützt (und auch unbeobachtet) mitspielen zu dürfen. Facebook entwickelte sich erst, man konnte nie wissen. Man hörte viel von Fake-Accounts, von potentiellen Sextätern, die auf der Suche nach minderjährigen Opfern waren. Eltern sind Bedenkenträger, und das ist gut so.
Andererseits war mit klar, dass Facebook Kommunikation und Interaktion revolutionieren wird – zumindest für eine gewisse Zeit. Es wäre falsch, Heranwachsende da auszuschließen. Beide willigten ein, ich war mit beiden befreundet und bin es noch. Aber ich habe mir die Regel gegeben, auf Peinlichkeiten zu verzichten. Schnell lernten sie, sich souverän im Netz zu bewegen, eine Kontrolle oder gar irgendein regelnder Eingriff war nie notwendig. Darauf bin ich stolz, es hat viel mit Medienkompetenz, Erziehung dazu und elterliches Vertrauen zu tun.
Die Pinnwände meiner Töchter sind No Go Area – keine Einträge, keine Links, gar nichts. Das höchste der Gefühle ist, mal ein Bild zu kommentieren oder ein „Like it“ zu setzen. Und auch das nur verhalten.
Kompliziert wurde die Sache trotzdem. Denn plötzlich trudelten Freundschaftsanfragen von Schul- und Sportfreunden meiner Kinder bei mir ein. Wie sollte ich mich verhalten? Mir war klar, dass kaum einer wirklich Interesse an Kommunikation mit mir hatte. Das waren alles Anfragen von Heranwachsenden, die Follower sammelten. Je mehr, je lieber. Ich galt als Füllmasse, aber warum nicht? Nur, so fragte ich meine Töchter, wie soll ich damit umgehen? Lehne ich die Anfragen ab, bin ich dann ein verknöcherter, spießiger Alter? Oder ein arroganter Pinsel?
Andererseits: Wenn ich sie annehme lesen die Freunde meiner Kinder alles, was ich in meine Pinnwand schreibe. Nicht, dass da irgendetwas drin ist, was sie nicht lesen dürfen, aber was geht sie das an? Eher wenig. Trotzdem werde ich in ihren Augen auch danach beurteilt: Ist das der coole Daddy oder der nervige Vater, den meine Freundin da hat?
Es könnte mir herzlich egal sein, was die Freunde meiner Töchter von mir halten. Ist es in gewisser Weise auch. Aber alles, was ich tue, fällt letztlich auch auf meine Mädchen zurück. Ein begeisterter Post zum Fußball, etwas über’s Schwimmen, über Schildkröten oder was mich sonst so interessiert, könnte immer dazu führen, dass irgendwer meine Tochter fragt: „Krass. Dein Alter ist Borussenfan? Hat der sie noch alle?“ Damit muss ich leben. Aber meine Mädchen auch. Auf ihren Wunsch hin bestätigte ich die Freundschaftsanfragen.
Wie aber stehen Eltern da, wenn sie auf die Pinnwand ihrer Kinder Nützliches oder Witziges posten, Links setzen, die Erinnerungskiste aufklappen und Anekdoten herausholen? Und welchen Reputationsgewinn oder vermutlich wesentlich häufiger –verlust muten sie damit ihren Kindern zu?
Ja noch mehr: Kann das Eltern Kind Verhältnis nicht durch solche Aktionen empfindlichen Schaden nehmen, wenn Eltern einfach kein Gespür dafür haben, wann und wie sie ihrem Nachwuchs peinlich werden? Es ist nicht unbedingt cool, seinen Kindern Youtube-Videos auf die Pinnwand zu klatschen mit Songs, die man selbst genial findet. Genauso wenig, wie auf ner Party seiner Kinder den DJ zu mimen und seine alten CDs rauszukramen. Letzteres macht wohl auch niemand, der halbwegs bei Verstand ist. Ersteres schon.
Den Kindern bleibt wenig Chance zur Gegenwehr. Eltern die Facebook-Freundschaft kündigen und damit einen Familienknatsch zu provozieren, ist nicht unbedingt die klügste aller Entscheidungen. Eltern sind ja so schnell beleidigt, weil sie es ja immer nur gut meinen mit dem, was sie tun.
Schließlich: Vieles, was die Familie betrifft, könnte auch in der Familie bleiben. Wozu gibt es Direct Messaging Systeme, um dem Nachwuchs den einen oder anderen Hinweis auf einen spannenden Ausbildungs- oder Praktikumsplatz zuzuschieben. Muss ja nicht jeder gleich wissen, wenn man seine Nachkommen für zu blöde hält, sich selbst darum zu kümmern. Was bei uns ganz sicher nicht der Fall ist. Trotzdem klatsche ich ihnen nicht vor aller Öffentlichkeit eine Stellenausschreibung hin, keine Buchempfehlung „Musst du unbedingt lesen!“, kein Video-Clip „Schau mal, wie süß Du damals warst“ und keine „Kommst Du am Wochenende mit zu Oma? Es gibt Gänsebraten!“
Vielleicht ist das ja der Grund, weshalb wir noch befreundet sind. Ein Papa Du bis Scheiße! Kommentar zu einem meiner Posts ist mir jedenfalls bisher erspart geblieben. Und ich hoffe, das bleibt auch so. Zumindest, so lange die Mädels ihre Füße noch unter meinen Tisch stellen!
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Nett im Netz – Netiquette2014.beta
Bisher erschienen:
#01: Muss ich Euch kennen? – von Tim Cole
#02: Papa, Du bist Scheiße – von Lutz Prauser
#03: “Oh … der Chef liest mit …” – von Michael Kausch
#04: Was darf in einer E-Mail stehen – und was nicht – von Tim Cole
#05: Lasst mich mit eurem Scheiss in Ruhe! – von Alexander Broy
#06: Eine Granate namens Hitler – von Lutz Prauser
2 Antworten
Sei froh, dass deine Kinder überhaupt öffentlich mit dir etwas zu tun haben wollen. Ist keineswegs selbstverstandlich heutzutage…
Wenn die Freundinnen und Freunde meiner Kinder mich als Sättigungsbeilage oder Füllmasse verwenden, finde ich das noch okay, aber wenn mir meine Ex-Frau als Freundin angeboten wird, weil ich doch so viele gemeinsame Freunde habe, da hört dann der Spass auf 😉