Kann ein Unternehmen ohne Partizipation überleben? Dieses Thema habe ich in einem Vortrag behandelt, den ich am Wochenende vor 400 aufgeweckten jungen Personalern auf dem „DGFP Lab“ der Deutschen Gesellschaft für Personalführung halten durfte, und es ist ein Spannendes. Es geht dabei um Hierarchieabbau und Autonomie, um Dialog auf Augenhöhe und um Loslassen: Alles Dinge, die im vernetzten „Digital Enterprise“ von Morgen hochbrisant sind, und über die man in Berlin zwei Tage lang geredet und gestritten hat.
Die Veranstalter planten von Anfang an ein hochgradig interaktives Event, und so saßen die Anwesenden die ganze Zeit über in Gruppen von 4 bis 5 Teilnehmern zusammen vor einem gemeinsamen Laptop und bastelten elektronisch an Thesen, ergänzten sie, korrigierten und stimmten am Ende auch drüber ab. Vom insgesamt 40 Thesen blieben so am Ende 10 übrig, von denen die meisten es meiner Meinung nach wert sind, breiter diskutiert zu werden.
Spitzenreiter war folgendes Statement:
„Mut haben: Der Mitarbeiter von morgen vertraut in den offenen Prozess. Er probiert Dinge aus, bricht Regeln, macht Fehler und lernt daraus. Er denkt in Chancen.“
Ich habe mich über diese These deshalb sehr gefreut, weil sie im Grunde eine Zusammenfassung und Fortsetzung einiger wichtiger Punkte war, die ich in meiner Keynote angeschnitten hatte. Ich denke, Transparenz ist als Wert an sich in der digital aufgeklärten Welt auch im Unternehmen unverzichtbar.
Nur leider sieht die Praxis heute ganz anders aus. Abteilungen sind oft wie Silos, in denen Wissen aufbewahrt und sorgsam vor anderen abgeschottet wird. Chefs horten Herrschaftswissen, weil davon ihr Selbstwertgefühl und ihre Aufstiegschancen abhängen – oder das glauben sie, jedenfalls. Regelbruch? Fehler machen? Ausprobieren? In den Ohren tradierter Führungskräfte klingt das wahrscheinlich nach Sakrileg. In einer Six Sigma-Welt, in der das Wort „Fehlertoleranz“ fast wie ein Schimpfwort klingt, ist sowas undenkbar. Dass wir uns dadurch die Chance nehmen, aus Fehlern zu lernen, ist für solche Dünnbrett-Manager unvorstellbar.
Auch die zweite These wirkt vermutlich für die viele noch ketzerisch:
„Eine Kernkompetenz im Jahr 2024 wird ‚Rollenflexibilität‘ (Führungskraft, Mentor, Coach, Experte, Berater, Kollege…) sein, um hierarchieunabhängig partizipativ und vernetzt arbeiten zu können!“
In meinem Vortrag hatte ich über verschiedene Formen von Schwarmintelligenz gesprochen und dabei auch ein Führungsprinzip erwähnt, das aus dem Verhalten von Zugvögeln abgeleitet worden ist und das bei einigen (viel zu wenigen) amerikanischen Großunternehmen bereits mit Erfolg eingesetzt wird. Gänse fliegen, wenn sie nach Süden ziehen, in V-Formation, und zwar deshalb, weil das Leittier dadurch den nachfolgenden Vögeln Auftrieb verschafft, ihnen also die Arbeit leichter macht. Die Gänse hupen im Flug, um das Leittier anzutreiben und zu ermuntern. Irgendwann lässt sich die Leitgans zurückfallen ins Glied, und eine andere übernimmt. Dieses Prinzip der wechselnden Führung klingt reizvoll, scheitert aber an der etablierten Ordnung, die in Karrieren immer nur Leitern nach oben sieht, und in der Abstieg mit Scheitern und Misserfolg gleichgesetzt wird.
Das ist dumm und kurzsichtig, aber leider weit verbreitet. Was dabei herauskommt, hat der legendäre kanadische Wirtschaftsprofessor Laurence J. Peter mit seinem wunderbar witzigen, aber gleichzeitig sehr tiefsinnigen „Peter-Prinzip“ erklärt, nämlich dass in einer Hierarchie jeder irgendwann bis zur Ebene seiner eigenen Unfähigkeit aufsteigt. An der Spitze jeder Organisation, so der gute Professor, sitzen also vorwiegend Leute, die überfordert sind, ob Manager, Politiker, Ingenieure oder Medienmacher – was die aktuell sehr große Deppendichte unter Führungskräften elegant und einleuchtend erklärt.
Gut gefallen hat mir auch diese These:
„Partizipative Steuerung braucht Spieregeln, die für alle gültig sind. Auch diese Spielregeln müssen partizipativ erarbeitet werden! Welche Spielregeln brauchen wir, um effektiv arbeiten zu können/Entscheidungen treffen zu können? Wie sehen sie aus?“
Ich musste, als ich das las, an die Erfahrungen denken, die ich bei einigen Unternehmen mit dem Einsatz von Social Media und insbesondere von Facebook in der Firma gemacht habe. Das Mangement hat sehr oft geradezu panische Angst davor, was passieren könnte, wenn die eigenen Leute anfangen, über Internas zu posten, und sie weigern sich deshalb standhaft, eine eigene Facebookseite zuzulassen.
Dass die Leute trotzdem aus dem Nähkästchen plaudern, nur halt nach Feierabend und daheim auf ihren privaten Facebookseiten, das können oder wollen sie nicht zur Kenntnis nehmen. Wenn überhaupt, lassen sie erst die Rechtsabteilung so genannte „Social Media Guidelines“ formulieren und verteilen, die natürlich keiner liest, weil sie erstens unlesbar und zweitens viel zu lang sind.
Mein Rat seit Jahren heißt: Setzen Sie sich mit Ihren Leuten hin und schalten Sie mal gemeinsam für ein paar Minuten den gesunden Menschenverstand ein – in Österreich sagen wir dazu den „Hausverstand“ – und fragen Sie sich: Was sollte man besser nicht bei Facebook reinschreiben? Zum Beispiel Firmengeheimnisse, denn wenn die bei der Konkurrenz landen, ist der eigene Arbeitsplatz in Gefahr. Vielleicht ist es auch keine gute Idee, online über die Konkurrenz zu stänkern, denn das kommt nicht gut bei den eigenen Kunden. Und die Bilder von der angesäuselten Kollegin auf der letzten Weihnachtsfeier, die sollte man besser auch nicht bei Facebook reinstellen, denn die Kollegin ist dann sauer, was schlecht ist für den Betriebsfrieden, und zweitens ist es ein Verstoß gegen den Datenschutz und das Recht aufs eigene Bild.
Ein paar einfache Regeln, die auf die Vorderseite eines Papierblatts passen, das genügt vollkommen. Kopieren, jedem mitgeben – und beten, dass sich alle daran halten. Wenn nicht, dann hat der Chef allerdings ein ganz anderes, nämlich ein Führungsproblem.
Der Personalernachwuchs hat also verstanden, worum es beim Partizipativprinzip geht, nämlich: Nur wer mitmacht kann gewinnen. Das zeigen ihre Berliner Thesen ziemlich eindrucksvoll. Ich denke nur, sie werden Schwierigkeiten haben, wenn sie wieder daheim sind und versuchen, ihre Chefs davon zu überzeugen. Was wir brauchen ist wohl ein Wechsel – nämlich ein Wechsel in den Köpfen. Oder vielleicht auch ein Generationenwechsel.
(Foto: Philipp von Recklinghausen / lux fotografen)