Patrick Holzapfel

Patrick Holzapfel: Hermelin auf Bänken. Eine Leseempfehlung für Bankiers. Oder: „Was ist der Besitz einer Bank gegen das Sitzen auf einer Bank?“

Ich sitze gerne. Genauer: ich sitze gerne auf Bänken. Was ich bislang nicht wusste: ich bin ein Bankier. Nun kenne ich natürlich das wunderhübsche Zitat von Mackie Messer aus der Dreigroschenoper „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“. Aber ebenso könnte es heißen „Was ist der Besitz einer Bank gegen das Sitzen auf einer Bank?“

Was schreibe ich hier wieder für Zeugs, wo ich doch eigentlich ein Buch vorstellen will. Und noch dazu ein ganz wunderschönes Buch, vielleicht das Schönste, das ich in den letzten Monaten gelesen habe: „Hermelin auf Bänken“, das Erstlingswerk des in Wien lebenden Augsburgers – ja ja, ein emigrierter Augsburger wie Brecht – Patrick Holzapfel. Aber Holzapfel beschreibt sein Leben auf Wiener Bänken, in Parks, in Gassen, am Ring. Er beschreibt was und wen er sieht und er beschreibt die Bänke:

„Peezgasse, 30. Juli, 9:20 Uhr. Hellbraunes Modell (von getrocknetem Taubenkot und Nussbaumsamen bedeckt) mit grünem gusseisernem Armlehnen und Beinen aus einem Teil. Lehne besteht aus einem dünnen Holzbrett, Sitzfläche dicker. Bank steht am Eingang zum Währinger Park aus sandigem Weg. Hinter ihr verläuft ein niedriger Zaun um eine kleine Wiesenfläche. Ihr gegenüber stehen zwei weitere, neue Bänke vor Büschen. Aufenthalt: eine Stunde. Morgensonne.“

Ein Buch für Bankiers

Nun könnte man solche Beschreibungen für belanglos halten. Sind sie aber nicht. Denn sie beschreiben die Biotope, in denen Bankiers heranwachsen. Bankiers sind Menschen, die auf Bänken leben. Auf einer Bank zu sitzen macht noch keinen Bankier. Bankier zu sein bedeutet mehr. Es ist eine Art zu leben, zu sehen, zu denken. Ein Bankier ist das Gegenteil der „Geradeausgeher“. Ein Bankier sitzt nicht einfach. Er ist kein einfacher „Dasitzer“, wie jener, der einfach in irgendeiner Straßenbahn sitzt:

„Er sitzt nur, um von A nach B zu kommen. Sein Gesäß rutscht so weit nach vorne, dass lediglich sein Steißbein auf der Holzfläche aufliegt. So ist er immer bereit aufzustehen. Das hat wirklich nichts mit dem Bankieren gemein.“

So gibt es auch einen Unterschied zwischen der (Park-)Bank des Bankiers und einer Bank in einer Straßenbahn oder einer U-Bahn. Die Bank, die es Holzapfel angetan hat,

„lebt davon, dass man niemals und unter keinen Umständen auf ihr sitzen muss. Man setzt sich weil man sitzen möchte. Man setzt sich, und das verleiht der Bank eine ihrer schlichten Form nach ungeahnte Bedeutung. Die Bank tritt sozusagen aus dem Strom der Zeit. Sie ist der Widerstand, den sich die Stadtarchitektur gönnt, und sie ist auch ein Denkmal des Widerstands.“

Und als er, der Schriftsteller, auf einer Wiener Bank einen Sandler in einem Hermelinmantel, einem König der Bettler – das ist sie wieder, die Dreigroschenoper – gleich trifft, da bemerkt er „Die Zeit hört endlich auf zu sein“.

Über 160 Seiten besucht Holzapfel zahlreiche Bänke und er wird dem seltsamen Sandler mit dem Hermelinmantel immer ähnlicher. Er lässt sich einen wirren Bart stehen, trinkt mit einem anderen Sandler vor einer Kneipe „in keiner Gasse“ – die Strasse heißt „Keinegasse“ – im Winter Schnaps auf bloßer Erde, kurz, er lässt sich gehen, nein, Verzeihung, er lässt sich sitzen.

Zur Szene mit dem zweiten Sandler vor der winterlichen Kneipe bemerkt er sehr treffend, wie seltsam es sei, dass man auf der Erde sitzend von den Menschen als „Dreck“, auf einer Bank sitzend aber als „Bürger“ wahrgenommen werde. Hier fällt mir eine großartige Aktion des kürzlich verstorbenen Hermes Phettberg ein. Phettberg sitzt in der Wiener Fußgängerzone und wird von der Polizei aufgefordert den Platz zu verlassen. Er tut nichts, er sitzt nur. Angesichts seiner beträchtlichen Leibesfülle bittet er um Unterstützung. Diese wird im verwehrt. Es kommt zu einem jämmerlichen Disput. Die Szene wird im ORF gezeigt. Nach umfangreichen philosophischen Betrachtungen endet die Szene, ich kann mich nicht mehr erinnern wie. Leider konnte ich auch keine Aufzeichnung des sitzenden Phettberg auf YouTube finden. Vermutlich besitzt das ORF ein Copyright am sitzenden Phettberg. Jammerschade. Phettberg war ein Bankier, der in dieser Szene heruntergekommen war zum großen Straßenkind. Das konnte Wien nicht aushalten.

Holzapfel bemerkt, dass es einen wichtigen Unterschied gibt zwischen dem Bankieren und dem Asphaltsitzen. Man muss sich zur Einfachheit „erheben“. Dies habe schon Augustinus geschrieben. „Der Unterschied zwischen Bank und Straße findet sich nicht in dem, was man sehen kann. Vielmehr geht es darum, wie man selbst gesehen wird. Auf einer Bank ist man ein Bürger, auf der Straße Dreck. Das ist schon seltsam. So eine Unterscheidung“.

Die Klimakleber sollten das Buch lesen. Patrick Holzapfel: Hermelin auf Bänken. Verlag Rohstoff. Nicht nur die.
Patrick Holzapfel schreibt regelmäßig in seinem Blog: https://jugendohnefilm.com/

bankier
Der Autor dieses Blogbeitrags als Bankier im österreichischen Mühlenviertel

Illustrationen © Michael Kausch

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