„Schaurig-schön, aber holprig inszeniert.“
TV Movie übe „Der Rächer“
Lesebericht zu Frank Schirrmacher: Payback anläßlich der Diskussion der Freunde Czyslanskys am 16.12.09 ab 15 Uhr im Münchner Presseclub
Die Messlatte ist hoch gesteckt, über die Frank Schirrmacher mit seinem Buch „Payback“ springen will. Dessen Klappentext verspricht nichts weniger, als „die ersten Schritte aus dem Labyrinth … [der Technik] anhand von bahnbrechenden wissenschaftlichen Ergebnissen“. Wer so viel verspricht, der muss es sich gefallen lassen, wenn man genauer hinsieht, wenn man auch zwischen den Zeilen liest und wenn man nicht zimperlich ist mit Kritik.
Was will Frank Schirrmacher? Was treibt ihn?
Es ist die Verzweiflung eines Fünfzigjährigen, der die „Fähigkeit zur Kontemplation verloren“ hat – so Schirrmacher über Schirrmacher in Schirrmacher auf Seite 17 -, der „ohne Google … nicht mehr imstande [ist] einen Handwerker zu bestellen“, der offensichtlich seine Kräfte schwinden sieht, im Kampf mit dem Computer, der ihm droht, die Welt zu werden. Während aber andere Männer sich in diesem Alter eine Harley kaufen oder doch wenigstens ein neues 8er Eisen für den Golfbag, schreibt Schirrmacher ein Buch und macht sein Leiden mit dem unkontrollierten Worte-Lassen damit öffentlich und zu unser aller Sache.
Dabei will er eigentlich nur spielen: seine Vorstellung von einer besseren und kompetenteren Nutzung des Computers kann man in vielen Punkten teilen. Und seine Forderungen an eine Computerpädagogik [er nennt das nicht so, aber meint das so] erhebt er völlig zurecht.
Freilich legitimiert er seine Ideale mit einem hermetisch abgeschlossenem Kulturpessimismus, der die „Dialektik der Aufklärung“ Adornos und Horkheimers nach mehr als sechzig Jahren in alter Pracht wiederauferstehen lässt, ergänzt um allerhand schön formulierte krude populistische Mystik, die der Auflage sicherlich nicht schaden wird. Nur ist es beim neuen Frankfurter nicht mehr die Kulturindustrie, die das Elend der Massen heraufbeschwört, sondern der Computer. Dieser trage die Verantwortung für drei ebenso grundlegende wie verhängnisvolle Trends:
Da ist der neue Taylorismus, den Schirrmacher am Begriff des „Multitasking“ festmacht, der zu einer Überforderung des Konsumenten führe. Da ist der neue Marxismus, der in Gestalt der Selbstausbeutung im Netz und der „Alles ist kostenlos“-Mentalität im Internet zu einer Verfestigung gegebener Strukturen führe. Und da ist der neue Darwinismus, der den Besser-Informierten zu Vorteilen verhilft und so die ganze Chose überhaupt in Gang hält.
Die Mär vom Multitasking als Körperverletzung
Schirrmacher beklagt, dass der Computer den Menschen zur Hyperaktivität anleite. Jeder müsse ständig mehrere Aufgaben zugleich erledigen. So übertrage der Computer seine Multitasking-Fähigkeit auf seinen Benutzer. Dabei hat der Computer in seinen Anfängen noch etwas ganz und gar anderes bewirkt, nämlich die Zergliederung ehemals verbundener Prozesse. In den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts verurteilten Gewerkschafter und Arbeitsergonomen zurecht die Aufteilung der Arbeit in kreative, in kommunikative und in repetitive Tätigkeiten, eine Trennung, die durch die Einführung von „Bildschirmarbeitsplätzen“ herbeigeführt wurde.
Tatsächlich nämlich betreiben die Menschen in ihrer Arbeitszeit – und nicht nur dort – freiwillig Multitasking: sie arbeiten an einem Projekt oder einem Dokument, tauschen mit Kollegen Informationen aus, telefonieren mit dem Ehepartner und erwarten stündlich wichtige Botschaften („Herr Müller, kommen Sie bitte mal zum Chef!“). Erst der moderne Multitasking-fähige Windows-Rechner hat mit Word, Outlook, Chat und Online-Anschluss diese Prozesse wieder reintegrieren können. Das war der vielleicht wichtigste Beitrag von Microsoft zur Humanisierung der Arbeitswelt überhaupt.
Schirrmacher betrauert völlig zurecht die intellektuelle Verelendung der modernen Zweidrittelgesellschaft. Er kritisiert den wachsenden Unwillen Vieler Bücher zu lesen. (Seite 35f). Aber er gibt dem Computer die Schuld, der Arbeit am und mit dem Rechner. Er analysiert nicht die wahren Gründe der Verelendung. Wenn die internationale Arbeitsteilung die Hauptschulabgänger – und deshalb auch die Hauptschule – in den Industrieländern überflüssig macht, dann spielen ihre Lesefähigkeiten scheinbar keine große gesellschaftliche Rolle mehr. Wenn die Schule nicht mehr zum Lesen erzieht, dann ist das so, weil die Lesefähigkeiten vieler Menschen nicht mehr benötigt werden. Das mag man bedauern; nein, das muss man bedauern. Aber Schirrmacher analysiert nicht, er mystifiziert die gesellschaftlichen Defizite indem er in der Tradition des Folterknechtes die Instrumente zeigt.
Aber selbst in deren Beschreibung bleibt er oberflächlich und ungenau. Er zeichnet ein Kaleidoskop kulturkritischer Sündenfälle und wenn etwas in seinem Tausend-Teile-Puzzle nicht zusammenpasst, dann wird es hurtig mit der Feuillonisten-Schere zurecht geschnipselt. So fabuliert er (auf Seite 44f) über „Korrekturprogramme … [die] genau die Fehler nicht [finden], die auch Menschen nur mühsam finden“. Er spricht von Orthografie-Software, die zwar das Wort „Sanne“, das die „Sonne“ zu verdrängen sich anheischig machte, findet, nicht aber das Wort „Sahne“. Dabei sind moderne Korrekturprogramme immer mehr in der Lage ihren Korrekturvorschlägen auch semantische und syntaktische Verfahren zu Grunde zu legen. Die „blutrote Sahne, die hinter Frankfurts Horizont untergeht“ wird schon bald Geschichte sein.
Die heute noch zu beobachtende orthografische Borniertheit des Computers gerät Schirrmacher aber zum Wesen der Computertechnik und so gelangt er flugs im intellektuellen Rösselsprung geschätzte 500 Anschläge später zu den Softwarefehlern, die vorgeblich zur Bankenkrise der Jahre 2008 und 2009 geführt haben. Wieder analysiert er nicht die wahren Ursachen der Finanzkrise (das war keine „Bankenkrise“, mein lieber Schirrmacher!) und wieder schnipselt er sich die Fakten zurecht.
Ein weiteres Beispiel gefällig? Weil der Arzt zu viel in den Computer gucke, nehme er sich zu wenig Zeit für den Patienten. Der Arzt habe im Computerzeitalter das Zuhören und Zureden verlernt. Die elektronische Patientenakte wird zum Grundübel eines zunehmend maroden Gesundheitswesens (Seite 47f).
Wer wie Schirrmacher die Dinge nicht analysiert, sondern sie bloß an der Oberfläche mystifiziert gebiert sich anders als Adorno und Horkheimer nicht als Apostel der Aufklärung, sondern als ihr Totengräber. Er produziert Mythen wie jene, „dass Multitasking Körperverletzung “ sei (Seite 69) und der Computer „kein Medium … [sondern] ein Akteur“ (Seite 77). So wiederholt er gebetsmühlenartig den Dummsinn, die Präsentationssoftware Microsoft Powerpoint sei schuld am Absturz des Raumschiffs Columbia gewesen(Seite 84). Schirrmacher bedient in der Tradition technologiekritischer Populisten das Unwohlsein der Menschen, die zunehmend von der allgemeinen technologischen und gesellschaftlichen Entwicklung abgehängt werden mit plumpen Romantizismen. Da darf dann auch der berühmte „Schachtürke“ nicht fehlen (Seite 90), jener geniale Eulenspiegeltrick des Wolfgang von Kempelen, den Schirrmacher sogleich zum Sinnbild des von Technologien geknechteten Menschen aufbläst. Auch das konnten die alten Frankfurter um Walter Benjamin besser.
Freilich möchte Schirrmacher nicht in einen Topf mit mechanistischen Vulgärphilosophen geworfen werden. Er spürt schon, dass er bei der verzweifelten Grabung nach verkaufsfördernden Schnellformulierungen den Bogen allzuhäufig überspannt. So weist er an anderer Stelle darauf hin, dass „natürlich“ nicht der Computer schuld sei, sondern die Art und Weise, wie wir mit ihm umgehen. Allerdings sei diese bereits immanent im Wesen des Computers angelegt. Und erst recht stünden keine bösen Buben hinter der Computerisierung unseres Lebens, die uns mit Elektronengehirnen für dumm verkaufen wollen. Schirrmacher will mit Maschinenstürmern nichts zu tun haben. Nein und nochmals nein. Das hält ihn aber nicht davon ab beständig mit der Angst vor dunklen Mächten die populistische Flöte zu spielen. So dämonisiert Schirrmacher den Computer-Pionier Alan Turing zum „Raketentreibsatz der Evolution“, der unfreiwillig [immerhin!] „die Denkpunkte im menschlichen Hirn schwächte“ (Seite 25). Google wird zum „Hirn, das die Bibliothek von Babel steuert“ und unter Hinweis auf das bunte Bauklötzchen-Design des Suchmaschinen-Giganten wird sogleich die geheime Kraft aus dem Kinderzimmer aufgebauscht – das richtige Bedrohungsszenario für alternde Männer in den Wechseljahren, denen die Harley zur Sublimierung ihrer Verlustängste verwehrt bleibt.
„Werde was du bist!“ schreit es im Internet
Fatal ist der Determinismus-Vorwurf, den Schirrmacher gegen das Computerzeitalter erhebt (Seite 104 ff). Schirrmacher sieht zurecht, dass Suchprogramme zumeist nur Gesuchtes liefern – man könnte fast sagen: das sei ihre Aufgabe – , nicht aber das Überraschende. Deshalb sind natürlich viele aktuelle Arbeiten von der schulischen Hausaufgabe bis zum pseudowissenschaftlichen Aufsatz heute wenig originelle immergleiche Zusammenstellungen der Top-Fundstellen aus dem Hause Google.
Diese wenig kreative Auseinandersetzung mit dem Wissen der Welt war aber schon den Enzyklopädisten des 18. Jahrhunderts zu eigen. Das ist keine neue Erscheinung des Computerzeitalters. Aber Schirrmacher geht ja weiter: er unterstellt, dass die großen Online-Wissensdatenbanken letztlich zu einer Verfestigung des Status Quo führen würden, in dem sie aus ihrem Wissensbestand Trends berechnen „und durchsetzen“ würden. Der Online-Buchhändler Amazon zum Beispiel wird aus dem bisherigen Kaufverhalten eines Kunden diesem immer wieder nur Literatur vorschlagen, die dessen Geschmack und Erfahrungshorizont, also dessen bisherigem Kaufverhalten entsprechen würde. Es fehle das überraschende Moment, das letztlich zur Überwindung seiner Grenzen den Konsumenten erst anhalten würde. Dabei treibt doch in Wahrheit die Prognosefähigkeit von Amazon und Konsorten nichts anderes, als es die Werbung und Kulturindustrie immer schon taten: Plugging!
Was hat Herr Schirrmacher seit der „Dialektik der Aufklärung“ eigentlich gelesen? Ich weiß es nicht, das Buch scheint ihm aber sehr am Herzen zu liegen, sonst würde er es nicht ausgerechnet in seinem „Strategiekapitel“ (ab Seite 161) ständig paraphrasieren.
So führe die Zuschnürung der Phantasie durch das Online-Wissen zur Ich-Erschöpfung. Schirrmacher beschreibt das Suchtverhalten von Computer-Junkies als Massenphänomen. Mehr oder weniger seien wir alle E-Mail-Messies, die an der Überinformation zu Grunde gingen. Das Internet mache aus dem „all you can eat“, unter dem der Körper letztlich zu leiden habe, ein „all you can read“, das den Geist verletze. Schirrmacher vergleicht (Seite 192) die Informationsflut des Internet mit der Bibel, die für sich ja auch in Anspruch nahm und für einige noch immer nimmt, dass sie das „Ganze“ darstelle. Früher fand man in der Bibel die Antworten auf beinahe alle Fragen, die relevant waren. Und nach Dingen, die man in der Bibel nicht fand, suchte man besser erst gar nicht. Nicht anders sei es heute: was in Googel nicht zu fnden sei, das gebe es nicht. Und so wird Google zur Inquisition des Internet-Zeitalters. Ein schönes Bild, das gleichwohl schon wieder zum Mythos wird, wenn Technologie als eindeutig, und nicht als dialektisch und in sich widersprüchlich verfasst angenommen wird.
Gefordert ist eine Computerpädagogik- neben der Medienpädagogik
Nehmen wir einmal Twitter als Beispiel für eine solche Ambivalenz: Natürlich ist Microblogging zu 90 Prozent Redundanz. Gewtittert wird, was andere bereits getwittert haben. Aber in Nuancen entwickelt sich aus dem neu gemischten Material in 140 Zeichen stets Neues. Twitter ist der große Re-Mix der Wissensgesellschaft. Für mich etwa ist Twitter in der Tat ein Korrektiv zur Suche. Denn Twitter ist ein Lustwandeln durch eine große Kaffepause einer Konferenz, in der ich die Teilnehmer mir selbst aussuchen durfte. Man hört hier ein wenig hin und dort ein wenig, schnappt hier etwas auf und dort etwas, vernimmt das Raunen der Gesellschaft und wird von vielen Themen und Thesen überrascht. Letztlich ist das so mit allen Technologien: ihnen wohnt zugleich ein enormes Moment der Beharrlichkeit inne, wie das Potential zur Revolution.
Zu fordern ist – und ab jetzt bin ich ganz bei Schirrmacher – analog der Medienpädagogik eine Computerpädagogik, die zur Verunsicherung erziehen muss, die scheinbar Eindeutiges zu hinterfragen lehrt. Der Computer verspricht – ganz wie die Massenmedien – Sicherheit und Orientierung. Um Sicherheit und Orientierung aber letztlich gesellschaftlich zu verankern, bedarf es starker Persönlichkeiten, die die Dinge in Frage stellen und die es wagen, bislang Ungefragtes zu fragen.
Ganz am Schluss schreibt Schirrmacher, dass es darum gehe, „in Zeiten der Suchmaschine den Wert der richtigen Frage zu erkennen“. Dem ist nichts hinzuzufügen. Und wen dem nicht eine zum Teil bizarre Glückskeksphilosophie vorangehen würde, in der Freunden der chinesischen Küche die meisten Thesen aus langjähriger Lektüre ungezählter Glückskekse verdammt bekannt vorkommen müssen, wäre dieses Posting auch gar nicht notwendig gewesen.
Ist das jetzt doof, wenn ich nur Kommentiere, dass ich auch deiner Meinung bin?
Lieber Herr Kausch, klasse Artikel. Danke, dass ich das Buch nicht mehr lesen muss.
Ich denke an den alten Spruch, „wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“.
Twitter und Co. sehe ich als echte Bereicherung, besonders im business, aber man muss
damit umgehen, um seinen Nutzen zu erkennen.
Mit herzlichem Gruß. Bert M Ohnemüller
Wenn einem nix mehr einfällt, haut er auf dem Bildungssystem rum. Wer bitteschön soll den jungen Leuten den richtigen Umgang mit den Neuen medien vermitteln? Oberlehrer wie Herr Schirrmacher vielleicht?
In Wirklichkeit sind die Kids längst weiter, als wir Alten es je sein werden. Deswegen sind Probleme wie Schirrmachers digitaler Ermüdung eher eine Alterserscheinung, kein gesamtgesellschaftliches Problem. Ob sie therapierbar sind, bezweifele ich aber.
Mein lieber Tim: was ich unter Computerpädagik verstehe, sprengt den Rahmen der Debatte um Schirrmacher. Ich habe versucht diese Idee in einigen wenigen Worten als eigenständiges Posting zu formulieren: http://www.czyslansky.net/?p=2356
Lieber Herr Ohnemüller: Lesen Sie das Buch ruhig. Es tut nicht wirklich weh und es ist allemal ein guter Anlass, sich über ein wichtiges Thema wieder einmal grundlegende Gedanken zu machen. Das Richtige entsteht doch immer aus dem Falschen oder aus der Kritik daran 😉
Der nächste Münchner, der sich bei mir meldet (gerne auch Münchnerin), kann mein Exemplar gerne haben.
Unter zwei Voraussetzungen:
1. Anmerkungen mit weichem Bleistift stören nicht
2. Das Buch wird anschließend weitergegeben
Ich möchte an dieser Stelle auf einen schönen Beitrag Thomas Siegners im Cirquent-Blog verweisen:
„Mich befremdet, dass die Technologiefeindlichkeit von Schirrmacher, der es nicht besser weiß, eine Technologiefreundlichkeit bei Leuten provoziert, die es besser wissen müssten. So wenig wie das Internet per se schlecht ist, ebenso wenig ist es per se gut. Es ist auch nicht viel demokratischer als alle anderen Medien zuvor, wie Sascha Lobo im Spiegel postuliert.“
So ist es.