Selten genug kommt es vor, dass ich anderen Menschen erlaube, in mein Kopfkino mitzukommen, aber diesen Film müssen Sie sehen. Heute also eine kleine Ausnahme. Kopfkino an:
Ich sitze in einer Sauna, sagen wir, nach einem anstrengendem Tag oder ausgiebigen Sportvergnügen. Um mich herum lauter andere Menschen. Sie alle sind, wie in den meisten europäischen Saunen, einfach nur nackt. Die Gespräche der meisten sind gedämpft, wenn überhaupt jemand im Schwitzkasten den Mund aufmacht. Aber die Männer in der Sauna tun, was sie immer schon getan haben: Auf öffentlichen Toiletten, unter den Sammelduschen in Schwimmbädern oder Sporthallen. Sie vergleichen. Ein verschämter Blick auf die Genitalien der anderen – größer? Gleichgroß? Kleiner? Ha! Kleiner! Wusste ich es doch. So schön.
Kopfkino aus. Das reicht.
Schwanzvergleiche, das sei mal so ganz unverblümt gesagt, ist für Männer immer ein Thema. Gehen Sie mal über den Parkplatz eines angesagten Restaurants und schauen sich die Fahrzeuge dort an: Ich sag doch – der pure Schwanzvergleich. Und damit sind wir schon mitten im Thema. Denn Schuld am kleinen Freund sind nicht etwa Anabolika. Die nämlich sorgen „nur“ für die kleineren Hoden der muskelbepackten und gestählten Bodybuilder, das ist hinlänglich bekannt. Schuld aber am Kleinschwanz haben, glaubt man dem seriösen amerikanischen Women’s Health Magazine, unter anderem Phtalate.
Phatalate sind, so belehrt uns Wikipedia, als Weichmacher hauptsächlich bei Produkten aus PVC enthalten. Unter anderem bei Kinderspielzeug und Sexspielzeugen (genau so steht es dort) und hier schließt sich schon ein erstes Mal der Kreis?
Warum?
Davon kann Drew Cerza ein Lied singen.
Der nämlich ist Gründer des National Buffalo Wing Festivals in den USA, eines Festivals, bei dem in gigantischen Mengen Hähnchenflügel verzehrt werden. Chicken Wings werden dort in allen Varianten und vor allem in Unmengen gegessen. Hier geht es mal nicht darum, wer den Längsten hat oder am Längsten kann. Hier geht es darum, wer am meisten in sich hineinstopft. Das ist offensichtlich nicht allen Amerikanern recht, und daher bekam Drew Cerza Mitte August Post.
Von Peta. Denen geht es zwar um den Schutz der Tiere, doch statt sich den zigtausendfachen Hühnertod anzprangern, packt Peta eine ganz andere knüppelharte Waffe aus.
The latest scientific evidence shows that the sons of pregnant women who consume chicken are more likely to have smaller penises because of a chemical found in the birds’ flesh. Findings published by the Study for Future Families showed that eating poultry during pregnancy may lead to smaller penis size in male infants“, teilte Peta Drew Cerza mit.
Machen wir’s kurz: Schwangere Frauen sollen keine Chicken Wings essen, denn diese sorgen dafür, dass sie kurzschwänzige Söhne zur Welt bringen werden. Begründet wird das mit einer Studie, die auf die Verbindung von Phtalaten und Kurzschwänzigkeit verweist. Und Peta setzt noch einen oben drauf: Hähnchenflügel haben einen enorm hohen Anteilen an Phtalaten. Daraus folgt?
Genau!
Also besser gleich das ganze Festival einstellen.
Das sitzt. Das trifft die Urangst aller Männer und aller werdenden oder zukünftigen Mütter.
Welche Mutter will schon riskieren, später von ihrem Sohn zur Verantwortung gezogen zu werden, weil er nur mit einem kleinen Teil in der Hose aufwarten kann?
Welcher Vater schaut tatenlos zu, wenn seine schwangere Frau Berge von Chicken Wings in sich hineinstopft?
Und welcher Teeanger blickt nicht sorgenvoll an sich herunter um zu schauen, ob nicht auch jetzt noch Chicken Wings das Wachstum hemmen könnten?
Die Angst vor schädlichen Lebensmitteln paart sich, denn die ist schon lange nicht mehr stark genug, aufs Vortrefflichste mit der Potenzangst der Männer, auch der noch nicht mal Geborenen. Das ist Panikmache mit bloßen Behauptungen. Und genau darum geht es.
Denn die werdenden Mütter müssten wirklich Berge von Hühnerflügeln verzehren. Phtalate sind – so Women’s Health – nun mal überall verbreitet und werden von den Menschen aufgenommen. Ein unmittelbarer Zusammenhang zu Chicken Wings, wie Peta behauptet, wurde in dieser Studie nicht geprüft und schon gleich gar nicht bewiesen. „I think any link between eating buffalo wings—even by pregnant women—and the size of their son’s genitals is very tenuous,” wird Shanna H. Swan in dem Artikel zitiert. Mehr als dünn also die Behauptung, mit der die Tierrechtsdogmatiker mal wieder auf sich von sich reden machen.
Peta ist das natürlich egal. Sie haben erreicht, was sie wollten: Aufmerksamkeit. Denn das generiert Spenden. Und darum geht es ja letztlich auch immer.
Derweil dürfen die Flügelverdrücker aufatmen. So dramatisch ist das alles wieder nicht.
Und wenn doch? Gehen wir noch mal kurz ins Kopfkino:
Ein verstohlener Blick in die Runde der Saunabesucher zeigt, wessen Mutter früher wohl oft die Küche kalt gelassen hat und dauernd in den Wienerwald zum Hühnchenessen gegangen ist. Das müssen die Söhne jetzt ausbaden. Na ja: Zur Not, wenn’s gar nicht mehr reicht, helfen ja Sexspielzeuge. Doch halt. Verdammt. Da sind ja auch Phtalate drin. Und das hat Folgen.
Kopfkino aus.
Der einzige Fresswettbewerb an dem ich je teilgenommen habe, war ein Weisswurst-Wettessen mit ca. 16 Jahren (7 Stück *stolz*)
Es muss also auch noch einen anderen Grund für kleine Penisse geben.
Das deckt sich mit einer Beobachtung, die mich schon länger beschäftigt und beunruhigt. Wenn man früher zum Baden an die Isar ging, wäre man mit einer Badehose „distinctly overdressed“ gewesen. Heute sind vor allem die jungen Leute immer komplett (bade-)bekleidet. Ich dachte, wir hätten es mit einer Neuen Prüderie zu tun, sozusagen ein Gegentrend zur totalen Offenheit unserer Generation. In Wahrheit schämen sich die jungen Männer wohl, zubzeigen, was sie (nicht) haben. Und die jungen Damen ziehen sich aus Mitleid nicht mehr aus, weil sonst für alle offenischtlic würde, was den jungen Männern fehlt…
Weiß zufällig jemand, was das Gegenteil eines Hühnchen ist? Ich frag nur so ganz allgemein … ohne Hintergedanken … wirklich nur so … aus ganz allgemeinem Interesse …
Chicken MacNuggets