Philip Kerr: Das letzte Experiment

Mit „Feuer in Berlin“ ging es los. Damals ermittelte Bernhard Gunther noch als Berliner Privatdetektiv im Nazi-Sumpf des olympischen Berlin des Jahres 1936. Wie habe ich dieses Buch genossen. Bernie Gunter, ein deutscher Philipp Marlow, gar nicht korrekt in seinem Handeln, gar nicht heldenhaft, kein Widerstandskämpfer gegen die Nazis, aber auch kein Mitläufer, kein Rassist, eher schon ein kritischer Beobachter des Wahnsinns, der in Nazi-Deutschland um sich greift. Mit „Alte Freunde – neue Feinde“ und „Im Sog der dunklen Mächte“ entwickelte Autor Philip Kerr seine Berliner Detektivgeschichte zur Trilogie. Und Bernie entwickelte sich zum sozialdemokratischen Berliner Polizisten, der die Nazi-Zeit überlebte, aber nicht unbeschadet. Wie auch. Die Deutschen waren ja fast alle irgendwie in die Barbarei verstrickt. Und in der Regel nicht als Widerstandskämpfer. Bernie war sogar in die SS eingetreten. Ich habe nicht alle Romane gelesen, nur die „Operation Zagreb“ und „Die Adlon Verschwörung“, letztere das nach meiner Meinung stärkste Buch Kerrs.

Nun also „Das letzte Experiment“. Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen: 1932 arbeitet Bernie Gunter in Berlin als Kommissar der Mordkommission am Fall eines ermordeten Mädchens. Und 1950 wird er in Argentinien als Privatdetektiv mit einem ähnlich gelagerten Fall beauftragt. Im Roman wechseln sich beide Zeitebenen munter ab. Einen Teil der Spannung bezieht das Buch aus diesem ständigen Wechsel. Ein allzu bekannter Kunstgriff, aber gut gemacht.

Zwischen Nazi-Berlin und Peron-Argentinien

Der zeitgeschichtliche Hintergrund ist naheliegend: Viele alte deutsche Nazi-Schergen waren 45 nach Argentinien geflohen, oft mit Unterstützung des Vatikans. Gunther ermittelt also im bekannten Milieu. Und wie bei Kerr üblich tauchen die Protagonisten alle auf, mal in wichtigen, mal in Nebenrollen: Bernie Gunther trifft Eichmann und Mengele, in der Berliner Rückblende bricht er sogar ins Badezimmer der Ehefrau von Goebbels ein. Drunter geht’s bei Kerr einfach nicht … Das Nazi-Namedropping nervt ein wenig. Natürlich trifft der smarte Berliner Bond auch Juan Perón und er schaut dessen Frau ausgiebig in den Ausschnitt.

Das alles ist nicht wirklich notwendig für den Plot. Es untergräbt eher dessen Glaubwürdigkeit. Und das ist bedauerlich, denn der Roman vermittelt viel historisches Hintergrundwissen, etwa über den Antisemitismus im peronistischen Argentinien. Argentinien beherbergte in den 20iger und 30iger Jahren die viertgrößte jüdische Gemeinde der Welt. Gleichzeitig gab es in diesem Land immer schon einen starken organisierten Antisemitismus. Während Juden in Deutschland verfolgt, vertrieben und vernichtet wurden suchten viele von ihnen verzweifelt überall auf der Welt als Flüchtlinge Zuflucht. Argentinien aber schloss wie die meisten Länder seine Grenzen und nahm niemanden mehr auf. Das auch im Roman erwähnte Circular Nr. 11 stoppte ab 1938 die Einwanderung jüdischer Menschen nach Argentinien. Flüchtlinge kamen nur doch durch Bestechung oder illegal unter Vorspiegelung falscher Angaben ins Land. Gleichzeitig waren alte deutsche Nazis hochwillkommen.

Kerr vermittelt ein falsches historisches Bild

Sicher schießt Kerr bei der Schilderung der Zustände zum Teil über Ziel hinaus und vermischt Spekulation und historische Wahrheit, etwa wenn er im Roman darüber fabuliert, dass mehrere tausend Juden unter Peron in einem geheimen Lager im Norden des Landes vergast worden seien – ganz wie in den Vernichtungslagern der Nazis in Europa. Und das ist gefährlich, wenn er gleichzeitig mit der Integration historischer Figuren wie Mengele und Eichmann in sein Storyboard nahezu dokumentarisch verfährt. Hier spielt Kerr ein gefährliches Spiel zwischen Dokumentation und Fiktion das beim Leser zu einer verzerrten Wahrnehmung Argentiniens und Peróns führt. Perón war kein Massenmörder, er war ein in Teilen antisemitischer autoritärer Präsident.

Alles in allem bedient das Buch in seiner Mischung aus bitteren historischen Halbwahrheiten, plumpen aber gut gemachten schriftstellerischen Tricks (alternder nicht mehr heldenhafter aber irgendwie „ehrlicher“ Anti-Held verliebt sich in junge schöne Jüdin), pseudorealistischer Integration historischer Persönlichkeiten (Ach, der Mengele kommt auch drin vor; kenn ich …) umfangreich aus dem Baukasten für garantierte Quotenkiller.

Gut gemacht. Schlecht gemacht. Kann man mit Spaß lesen. Muss man mit Vorsicht genießen.

Philip Kerr: Das letzte Experiment. Rowohlt. 462 Seiten. 12,- €.

Illustrationen © Michael Kausch

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