Mein Freund Tim Cole hat in seinem Kommentar zu meiner Rezension von Frank Schirrmachers Payback die Notwendigkeit eines Unterrichtsfachs Computermädagogik abgestritten. Das ist natürlich falsch.
Ein Unterrichtsfach Computerpädagogik, das in Kombination mit Medienpädagogik für verschiedene Altersstufen aller Schulen zu realisieren wäre, hätte auch nicht die Aufgabe die Schüler in der Bedienungstechnik von Soft- oder Hardware einzuweisen. Das soll die Informatik tun. Vielmehr geht es um die richtige Einordnung des Werkzeugs Computer in das Alltagshandeln und in andere wichtige Kulturtechniken. Deshalb wäre ein Fach Computerpädadogik ein Querschnittsfach mit zahlreichen Schnittstellen in den überkommenen Fächerkanon.
Was könnte man in einem solchen Unterricht lernen?
1. Zum Beispiel, dass es nicht genügt Powerpoint zu beherrschen, um erfolgreich vorzutragen. Es geht darum, zu begreifen, für was Powerpoint überhaupt taugt und für was nicht? Es ist doch Irrsich, dass wir heute Powerpoint dazu benutzen, Einladungen für die nächste Grillparty zu erstellen, die letzten Feriendias zu präsentieren und – viel schlimmer noch – einen Vortrag zu strukturieren. Letzteres bringt einem auch noch Microsoft bei. Powerpoint hilft einem ncihit dabei, klare Gedanken zu fassen und eine Vermittlungsstrategie für diese Gedanken zu entwerfen. Im Gegenteil: die miserable Struktur dieser Software verhindert die Anlage vernünftiger Drehbücher und Spannungsbögen. Es gab immer schon bessere Alternativen und so stiefmütterlich wie Microsoft Powerpoint behandelt, wird es die nächsten ünf Jahre kaum überleben. Immherin …
2. Zu unterrichten wären Kinder und Jugendliche in der Erstellung von Aufsätzen ohne Literaturrecherche. Es geht ja gerade darum, intellektuelle Zettelkästen wie Schirrmachers Buch zu überwinden. Das bloße Zusammentragen und Neu-Komponieren von Informationen und hübschen und manchmal passenden Zitaten ersetzt eben nciht die zentrale Idee, die ein Aufsatz, ein Artikel transportieren soll. Schirrmacher ist ein wunderbares Beispiel für eine Arbeit, die in Zitaten erstickt und am Ende die zentrale Botschaft – welche Strategie ist zu fordern im Umgang it Computern? – als Leerstelle zurücklässt.
3. Sehen – und Photographieren – lernen ohne Bilbearbeitung wäre gleichfalls Bestandteil des Lehrplans. Die Entwicklung der Digitalphotographie hat diesem Medium einen kaum mehr vorstellbaren Aufschwung beschert. Das ist eine Chance für die visuelle Erziehung. Doch müssen Schüler lernen, was visuelle Effekthascherie ist, und was als Resultat bewußten Sehens .
4. In der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Kommunikationsinstrumenten wie Email, Chat. Sprach- und Bildtelefonie und dem persönlichen Gespräch können Verhaltensregeln studiert werden. Wie sind Mißverständnisse in den unterschiedlichen Medien am sichersten zu verhindern? Wir alle wissen, dass einundderselbe Inhalt über Email-Kommunikation oder im Gespräch kommuniziert völlig unterschiedliche wahrgenommen wird. Richtige Kommunikation ist eine Kulturtechnik die besser nicht in Versuchs-Irrtums-Methoden erlernt wird.
5. Nicht zuletzt kann Kanon der Computerpädagogik die Fähigkeit zum bewußten Reputation Management erlernt werden. Welche meiner Daten werden wo gespeichert? Mit welchen Konsequenzen? Was hat es mit dem informationellen Selbstbestimmungsrecht als modernes Grundrecht auf sich?
Der Übergang zur Medienpädagogik wäre für die Computerpädagogik mannigfach gegeben: die UNterrichtug in der Produktion multimedialer Inhalte (Videos, podCasts) – alles das muss verstärkt unterrichtet werden. Das muss nicht an der Lehrerausbildung scheitern. Man muss es nur politisch wollen. Aber wer in einer Mediendemokratie die Demokratie entwickeln will, der muss in einer Computerdemokratie emanzipatorischen Umgang mit dem Computer fördern. Dann auch gewinnen wir Bürger, die sich von einem Schirrmacher nicht bange machen lassen.
Lieber Michael
Leider konntest du ja nicht bei der Adventsfeier von Czyslansky dabei sein, als wir über Schirrmacher und die digitale Ich-Ermüdung und natürlich auch auf die von ihm aufgestellte Forderung nach besserer Computerpädagogik (die er nicht so nennt) diskutiert haben. Er ist ja nicht alleine: Im Münchner Presseclub machte wieder mal das Wort vom „Internet-Führerschein“ die Runde. Und sogar der – zumindest von mir, von anderen Teilnehmern nicht so sehr – geschätzte Sascha Lobo macht sich in seiner Gegenrede zu Schirrmacher für ein „Schulfach Internet-Erziehung“ stark.
Weil du nicht da warst, konntest du meine Antwort nicht hören. Sie lautete: Wer soll bitteschön wem was beibringen? Die meisten Lehrer sind alte Säcke, für die Schirrmachers kulturpessimistisches Gelabere nur eine Bestätigung dafür ist, dass sie als Internet-Analphabeten völlig richtig liegen.
Nein, lass die Kids mal machen. Die schreiben sich nämlich ihre Regeln selbst, denen müssen wir – können wir – nichts beibringen. Das hätte nur Czyslansky selbst gekonnt – aber der steht leider nicht zur Verfügung.
Hallo Herr Kausch, die Forderung, Schülern Computerpädagogik oder Medienpädagogik zu vermitteln, finde ich gut. Ob dazu ein eigenes Fach notwendig ist, weiß ich nicht. Mir erscheint es eher wichtiger, das Ganze als natürliche Ergänzung im jeweiligen Fach (z.B. Digitalfotografie im Kunstunterricht) zu vermitteln.
Aufgabe der Informatik ist es aber nicht, „Schüler in der Bedienungstechnik von Soft- oder Hardware einzuweisen“. Hier geht es um ein Verständnis von Soft- und Hardware, von deren Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, also genau das, was Herr Schirrmacher so schmerzlich vermissen läßt.
Und da schließt sich auch der Kreis zu Herrn Coles Anmerkung: Natürlich kennen sich manche Schüler besser mit der konkreten Hard- und Software aus, als Ihre Lehrer. So ging es auch mir, ich hatte ab der 7 Klasse freiwillig Informatik als Zusatzkurs und empfand diese Umkehr der „Machtverhältnisse“ durchaus als stimulierend. Trotzdem haben wir im Informatikunterricht eine Menge gelernt, und zwar beide Parteien.
Nur weil Lehrer fehlen, darf man nicht sich nicht mit der irrigen Vorstellung zufrieden geben, dass sich die Welt schon selbst bilde.
Auch unterschätzen wir das Potential unserer Schulen und der Schüler selbst. Die Schüler können sich schon auch selbst was beibringen. Aber solange es nur Noten und Punkte gibt für die Erstellung bunter Powerpoint-Präsentationen und einfacher Basic-Programme, nciht aber für eine Diskussion um den Einfluss der Computer und des Internet auf den Deutschunterricht und nicht für Tipps zum Reputationmanagement in Schüler-VZ sind die Lehrpläne falsch.
Wir brauchen keinen „Führerschein“. Die ganze Führerscheindebatte handelt immer nur von der Vermittlung von Bedienungskompetenzen (Ich „kann“ Word!).
Die Kids können Computer bedienen. Sie sollen lernen, sie zu „beherrschen“!
Das erinnert mich fatal an die Diskussion um die Einführung des Taschenrechners. Für die einen war ein modernes Hilfsmittel, das einen darauf vorbereiten sollte, so zu arbeiten, wie man es später auch tun würde. Niemand bemüht heute noch Logarithmentafeln.
Für die anderen war er der Untergang des Abendlandes. Kopfrechnen als Basisfertigkeit sah man als dem Aussterben geweiht an. Nun, wer hatte recht? Keiner. Wenn ein Abiturient nicht in der Lage ist, den Berechnungen des Kellners im Wirtshaus ohne technische Unterstützung zumindest größenordnungsmäßig zu folgen, dann hat er eine Behinderung, die möglicherweise nicht notwendig wäre. Wenn aber jemand stolz darauf ist, dass er mit dem Rechenschieber schneller ist als jemand anderes mit dem Taschenrechner, dann ist da auch irgendetwas aus dem Lot geraten. Ich spreche hier von einem Lehrer aus meiner eigenen Schulzeit.
Aber das bringt mich zu nächsten Punkt: Computerkompetenz? Internetkompetenz? Medienkompetenz? Das sind DREI Fächer. Wer die Computer „beherrscht“, beherrscht noch nicht das Internet, von Web 2.0 ganz zu schweigen. Und wer Powerpoint nimmt, seine Ideen zu strukturieren, der strukturiert wenigstens seine Ideen. Das finde ich nicht per se bedenklich. Abgesehen davon, dass ich Keynote verwende.
Somit halte ich die Forderungen, eigene Fächer einzurichten, für verfehlt. Man muss den Lehrern die erforderlichen Kompetenzen vermitteln, und das Feld nicht nur dem engagierten Jung-Mathelehrer überlassen.
Ich fürchte nur, solange man das Thema den Lehrern selbst überläßt, kommt am Ende raus, dass Altphilologen in Zukunft auch COBOL und FORTRAN unterrichten und dass die Kinder alle Einstellungen bei der Formatierung von Festplatten prüfungsfest parat haben müssen. Da teile ich Tims Befürchtungen.