Plattenkiste, die Elfte. Von Ali Farka Touré bis Popul Vuh

„Die Verordnung, die es dem Rundfunk verwehrt, ›Negerjazz‹ zu übertragen, hat vielleicht einen neuen Rechtszustand geschaffen – künstlerisch aber nur durchs drastische Verdikt bestätigt, was sachlich längst entschieden ist: das Ende der Jazzmusik selber.“ Ach Theo, du Adorno, du wiesenabgründiger du. Dir zuliebe ziehe ich heute mit der elften Plattenkiste mal keine Jazz-Scheibe aus dem Regal. Jazzfreie Tage also. Keine „N-Musik“. Dafür ein bisschen Bach. Authentisch auf dem Violoncello und ein wenig modischer auf der Gitarre. Bach magst du ja. Aber auch Weltmusik von Ali Farka Touré und Ry Cooder. Und Yankee-Country, aber da musst du durch. richtig schräg wirds dann mit den szenischen Gesängen von Popol Vuh. Aber die hätten dir vielleicht schon wieder gefallen, wer weiß …

Ali Farka Touré und Ry Cooder Talking Timbuktu

Die meisten von uns tragen wohl einen Traum in sich, einen Traum aus Kindheitstagen, von einer fernen Insel, einer fremden Stadt oder was auch immer. Mein Traum hat einen Namen: Timbuktu! Als Kind war ich vernarrt in ein Buch mit dem verheißungsvollen Titel „Ich war in Timbuktu“. Geschrieben hat es Werner Legère 1953 in Anlehnung an den Reisebericht des französischen Afrikaforschers René Caillié, der im Jahr 1828 als zweiter Europäer nach Alexander Gordon Laing die sagenumwobene Wüstenstadt Timbuktu erreichte. Laing war auf seiner Expedition getötet worden und so waren Cailliés Berichte die ersten Reportagen aus der ehemals so reichen muslimischen Metropole, die Europa erreichten. Der Franzose gab sich zu seinem Schutz als Muslim aus und durchlebte allerlei Abenteuer. Für einen verträumten Jungen in der fränkischen Provinz war er eine Mischung aus Neil Armstrong, James Bond, Alexander Humboldt und … äh … Karl May. Kurz: er war ziemlich genau das, was ich auch mal werden wollte. Und Timbuktu war alles, was man mit einem VW Käfer von Mittelfranken aus trotz ADAC Schutzbrief nicht mehr erreichen konnte.

Ich war niemals in Timbuktu. Das heißt, ich war oft dort. Denn einige Jahre später las ich das wunderbare Buch „Timbuktu“ von Paul Auster, in dem ein Hund seine Erlebnisse mit seinen diversen „Herrchen“ erzählt. Und aus einem tiefen Missverständnis heraus hält er „Timbuktu“ für den Ort, an dem sich alle Hunde nach ihrem Tod im Jenseits treffen. Timbuktu als Hundeparadies. Ach wie schön.

Und wieder ein paar Jahre später habe ich Ansichtskarten aus Timbuktu an gute Freunde verschickt – natürlich ohne dort gewesen zu sein. Während der Pandemie kamen ein paar junge Leute in Timbuktu auf die Idee ein Start-Up zu gründen, in dem sie im Auftrag von Träumern und Spinnern wie meinereiner Ansichtskarten aus Timbuktu mit vorvereinbarten Grußtexten an die Freunde der Träumer und Spinner verschickten. Irgendwie muss man ja auch in Timbuktu an Geld kommen.

Was das alles mit Vinyl zu tun hat? Nun ja: das vierte Mal kam ich nach Timbuktu, als ich auf diese schon 1994 produzierte Platte stieß mit Musik des Gitarristen Ali Farka, der aus Mali stammt und dem Weltmusiker Ry Cooder. Ich habe mich schon immer für Musik aus Mali interessiert und ich besitze einige Platten mit Musik aus diesem überaus musikalischem Land. Diese Platte gehört in den Musikschrank aller Weltmusik-Freunde. Sie wurde 1994 mit einem Grammy ausgezeichnet – und das völlig zurecht.

Ali Farka ist ein großartiger Vertreter des Desert Blues und er war einer der ersten, der die Gitarre in die traditionelle malische Musik einführte. Ali Farka und Ry Cooder werden hier von traditionellen malischen Musikern auf afrikanischen Instrumenten wie z.B. einer Njarka, Congas und Kalebassen begleitet und es entsteht schon ein Cross-Over-Stil, der aber noch stark an klassische malische Musik angelehnt ist und von dessen Rythmik, Melodik und nicht zuletzt vom nasalen Gesang Ali Farkas lebt. Das klassische 12taktige Blues-Schema wird aufgelöst und doch bleibt der Blues als Basis – oder besser als Enkel – der malischen Musik erkennbar, was natürlich den „Blue Notes“, der pentatonischen Struktur der traditionellen malischen Musik geschuldet ist. Aber das könnt Ihr gerne schnell wieder vergessen. Hört Euch einfach mal die Musik an, legt mal die Platte auf. Die Musik grooved mächtig und ich rede hier viel zu viel drumherum. Los, macht schon …

Country Joe McDonald: Tonight I'm singing just for you.

Eigentlich sollte diese Platte schon 1969 erscheinen und Country Joe McDonalds erstes Solo-Album werden. Die Aufnahmen entstanden 1969 in Nashville. Kurzfristig aber zog Joe eine andere Scheibe vor, eine Platte mit Songs von Folk-Legende Woody Guthrie und damit ist auch schon klar, an wem sich Country Joe McDonald in seinem Schaffen damals orientierte. Auch wenn manches eher nach dem jungen Johnny Cash klingt und auch nicht zufällig „Ring of Fire“ der erste Song auf dieser Platte ist.

In drei Stücken wird Joe von den Jordanairs begleitet, einem damals bekanntem Gospel-Chor, der schon mit Elvis Presley aufgetreten war. Überhaupt klingt die ganze Platte stark nach Country und weniger nach Folk. Dabei hatten damals die meisten Fans den „I-Feel-Like-I’m-Fixin’-to-Die Rag“ vom Woodstock-Festival noch im Ohr und seine Anti-Vietnam-Lieder aus seiner Zeit mit der Gruppe „Fish Cheer“. „Tonight I’m singing just for you“ ist eigentlich ein Übergangs-Album auf dem Weg von den Fischen hin zu den späteren friedensbewegten Solo-Platten wie „War War War“ und „Country Joe“. Trotzdem hörenswert.

Leo Kottke: The Best

„The Best of Leo Kottke“ ist eine meiner ältesten Platten. Erschienen 1976 und seit der Zeit steht sie wohl auch meinem Regal. Und ich höre sie immer noch gerne. Der frühe Kottke – und um den geht es hier – war ein begnadeter Fingerpicking- und Bottleneck-Gitarrist. Ich hab ihm in meiner Jugend viel abgeguckt. Mehr schlecht als recht natürlich. Aber er war ein großes Vorbild zwischen E und E.

„The Best“ ist eine frühe Compilation mit Stücken auf der Akustik-Gitarre und auf der elektrischen. Die meisten der Titel sind reine Instrumental-Songs, aber bei einigen Titeln singt er auch. Leider wie ich dazu sagen muss. Bachs Bourée auf Seite 1 hat mich damals dazu bewogen mir die Original-Noten dieses Stücks zu besorgen. Ich hab mich heftig daran versucht und irgendwann klappte es auch so gut, dass ich wagte es auf 5er und 7er Rythmen umzuschreiben. Gut, dass die Bronzeplatte auf Bachs Grab so schwer ist. Der Alte wäre vermutlich heulend und unter Protest aufgestanden … Ansonsten ebenfalls unsterblich: „Last Steam Engine Train“, auch auf Seite 1.

Rocco Filippini: Johann Sebastian Bach. Suiten für Violoncello Solo BWV 1009-1010

Diese 180 Gramm-Pressung, in einer limitierten Auflage von 496 Exemplaren bei foné aufgelegt ist ein funkelndes Meisterwerk nicht nur für Bach-Lieberhaber und Freunde des Cello-Spiels. Die Platte lohnt gleich aus dreifachem Grund:

a) Natürlich wegen der herausragenden Klangqualität. Unter dem Label „Signoricci Vinyl“ produziert man bei foné extrem aufwändig und rein analog auf einer von David Manley modifizierten Master Ampex ATR-100. Freunde wissen, dass ich Fan von Meister Manley bin. Das Vinyl ist nicht recycelt (Virgin Vinyl), erhöhter Rillenabstand und vieles mehr. Hört man’s? Die Pressungen sind jedenfalls absolut perfekt und auch die Aufnahmen sind auch tontechnisch sauber produziert.

b) Der leider vor drei Jahren an COVID verstorbene Schweizer Rocco Filippini gehörte zu den renommiertesten Cellisten für Barockliteratur weltweit. 1979 wurde er zum Professor für Cello am Konservatorium Giuseppe Verdi in Mailand ernannt. 1985 gehörte er zu den Gründern der Walter-Stauffer-Akademie in Cremona. Seit 2003 war er Professor der Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom.

c) Die Suite Nr III in C-Dur und die Suite Nr. IV in Es-Dur gehören beide zu den vermutlich meist gespielten und wichtigsten Solo-Werken für Cello aus der Barock-Musik. Spannend ist die Kombination von dritter und vierter Suite auf einer Platte, unterscheiden sich beide Werke doch deutlich. Die Suite in Es-Dur ist formal erheblich komplexer – und auch anspruchsvoller zu spielen – als die Suite Nr III.

Alles in allem eine zauberhafte Platte, die man nicht so nebenbei „in der Küche beim Wurst schneiden“ hören sollte.  (Stammt das Verdikt, dass man Bach nicht in der Küche hören dürfe, nicht von Adorno? Ich meine, das einmal gelesen zu haben.  „Bach gegen seine Liebhaber verteidigt“? „Musiksoziologie“? Ich weiß es nicht mehr …)

Popol Vuh: Sei still, wisse ich bin

1981 erschien dieses wunderhübsche Album von Popol Vuh. Zwei der hier erschienenen Lieder sind Werner-Herzog-Fans und Amazonas-Träumern vermutlich aus dem Film „Fitzcarraldo“ gut bekannt. Ich stand selbst vor zwei Jahren im weißen Anzug auf einem Amazonas-Dampfer und hab mir Caruso und Popul Vuh reingezogen um mich ein bisschen wie Klaus Kinski zu fühlen…  Na ja, klappte schon irgendwie …

Also wer es grad nicht auf den großen Fluß schafft, der ziehe sich wenigstens Popul Vuh rein (und danach vielleicht noch eine Platte mit dem großen Caruso).

Popul Vuh gehörte neben Amon Düül, Can und Faust zu den ganz Großen der frühen Krautrock-Szene, was auch immer man alles zu Krautrock zählen mag. In dem Fall war jedenfalls immer auch ein wenig Rauchkraut beim Krautrock dabei. Und immer auch ein Moog Synthi. Mit einem Moog hab ich Mitte der 70iger auch experimentiert, bin aber nicht wirklich weit gekommen. Florian Fricke von Popul Vuh hat dieses damals epochale Instrument schon eher ausgereizt. Er war vermutlich DER DEUTSCHE MOOG-PIONIER. Als „Sei still, wisse ich bin.“ erschien, war für ihn aber die große Moog-Zeit schon wieder vorbei. Er hatte seinen Moog da bereits an Klaus Schulze verkauft. (Wer übrigens den erste Moog, der je in Deutschland – von Eberhard Schoener – gespielt wurde mal sehen will, der kann sich den in München im Deutschen Museum ansehen. Und das ist dann das Gerät, das die Beatles für Abbey Road verwendet hatten. Diesen Tipp verdanke ich übrigens Markus Berzborn. Danke dafür …)

Überhaupt kommt diese 13te Platte der Band weitaus weniger experimentell daher, als die älteren Produktionen. Chris Karrer spielt ein routiniertes Sopran-Sax, Renate Knaup singt hübsch und der Chor der bayerischen Staatsoper gibt sich tragend. Für Werner Herzogs Urwald-Opern-Film Fitzcarraldo passte das wie der Kinski in die Magengrube. „Szenische Gesänge“ untertitelte die Band denn auch diese Produktion. Hörbar auch für konservative Konservatoriumsabsolventen.

Illustrationen © Michael Kausch

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