Renate Schmidt Therese Giehse

Renate Schmidt: Therese Giehse: „Na, dann wollen wir den Herrschaften mal was bieten“

Bei meinem letzten Besuch in den Kammerspielen hab ich sie mitgehen lassen, diese Biographie der großen Therese Giehse, die dort ja lange Jahre so was wie ein Zuhause hatte. „Mitgehen“ – ich habe das Buch natürlich gekauft, ordentlich bezahlt. Und ich habe es nicht bereut, obwohl das Buch nicht einlöst, was es verspricht, nämlich eine Biographie zu sein. Das Buch ist eher eine Zitatenkiste, ein ausformulierter Terminkalender der Theres, basiert es doch auch wesentlich auf den Notizbüchern der Giehse. Eine Interpretation, eine Einordnung der Fakten findet nicht statt.

(K)eine Biographie über Therese Giehse

Das Buch wurde denn auch ganz zurecht von den allermeisten Rezensenten gleich nach seinem Erscheinen 2008 arg verrissen. „Die Schauspielerin und Autorin Renate Schmidt hat … uns … nicht glücklich gemacht“ schreibt Reinhard Wengierek in der WELT und bleibt dabei noch vergleichsweise höflich im Duktus. Michael Laages wird im Deutschlandfunk entschieden deutlicher: „Renate Schmidt, gelernte Schauspielerin von eher überschaubarem Ruhm … schreibt … viel Quatsch mit Soße, auf jeder Seite“.

Ach ja, an Plattitüden mangelt es diesem Werk sicherlich nicht. Und trotzdem macht das Lesen Spaß. Einfach deshalb, weil vor dem inneren Auge so viele Tote wiederauferstehen und die innere Bühne zum Leuchten bringen.

Allen voran natürlich die Giehse selbst. Ich hab sie selbst leider nie live erlebt. Ich hab einige Schallplatten mit ihr, die großartigen Brecht-Abende und die Inszenierung der „Mutter“ unter der Regie von Peter Stein an der Schaubühne am Halleschen Ufer mit Bruno Ganz, Jutta Lampe, Otto Sander und anderen. Die Giehse spielt die Wlassowa und dreht die Kopeke dreimal um. Großartig. Ich habe das Stück später im Berliner Ensemble mit Carmen-Maja Antoni gesehen.

Aber im Buch – wie im Leben der Giehse – kommen natürlich auch ständig ihre Koncourage Helene Weigel, Erika und Katia Mann, Klaus Mann, Thomas Mann, Bert Brecht, Frank Wedekind, Paul Verhoeven, Oskar Werner, Theo Lingen, Gustav Knuth, Liesl Karlstadt, Siegfried Lowitz, Wolfgang Kieling usw vor. Dass sie mal mit dem ehemaligen SS-Mann Horst Tappert auf der Bühne stand (in Dürrenmatts Physiker) war mir neu. Aber damals war die Nazi-Karriere von Derrick auch noch nicht publik.

Es sind die kleinen Randnotizen, die das Buch so reizvoll machen, etwas die Notiz, aus der hervorgeht, dass die Giehse einige Jahre die Krankenkassenbeiträge für Marieluise Fleißer bezahlt hat. Kunst ist doch manchmal ein brotloses Geschäft.

Auch zahlreiche alte Restaurants leben wieder auf oder bringen sich wieder in Erinnerung. Es ist jedenfalls ziemlich lange her, dass ich das letzte Mal in der Osteria Italiana in der Münchner Schellingstraße war. Ich war dort einige Mal mit Helmut Kunkel, Computer-Verleger und Freund, der leider viel zu früh verstorben ist. Die Giehse liebte dieses Lokal, was mir nicht so bewusst war, wie die zahlreichen Besuche der Herren Oskar Maria Graf und Adolf Hitler in eben jenem Etablissement. Apropos Graf: Im Buch gibt es eine geschwärzte Stelle – gibt es eigentlich Biographien, die ohne Schwärzungen auskommen?. Unter der Schwärzung stand einmal der Satz „Der sensible Kollege Robert Graf hat seinem Leben ein Ende gesetzt“. Dieser Satz musste kurz nach Erscheinen des Buchs auf richterlichen Beschluss und Antrag von Frau Selma Urfer Graf geschwärzt werden. Ich sag‘s ja nur …

Also muss man das Buch über Theres Giehse von Renate Schmidt gelesen haben? Nein. Soll man es lesen? Je nun: wenn man Lust hat sich entführen zu lassen in alte Zeiten freilich. Ist es ein gutes Buch? Eher nicht. Es hilft einem nicht die Giehse zu verstehen, die Geschichte des Theaters vor und nach der Faschisterei zu verstehen. Das Buch ist eine Verführung, also ganz und gar nicht das, was die Giehse auf dem Theater wollte. Denn sie war schon eine Verkörperung des epischen Theaters, nicht so streng und asketisch wie die Weigel. Dazu war die Theres doch zu bayerisch-bäuerlich-barock.

Eine Münchner G'schichte

Zum Schluss fällt mir noch eine Geschichte ein für alle, die es nicht so mit dem Theater haben, für diejenigen, die die Giehse vielleicht nur aus den „Münchner Gschichten“ von Helmut Dietl kennen. Diese werden ja oft genug wiederholt. Da hat die Giehse ja die Anna Häusler gespielt, die Oma vom Tscharlie (Günther Maria Halmer). Da gibt es eine wunderbare kleine Szene, an die ich mcih gut erinnere: Die Giehse spaziert mit Ruth Drexel durch die Münchner Innenstadt. Beide unterhalten sich über den „Tscharlie“. Ich zitiere sinngemäß und aus dem nachlassenden Gedächtnis:

Ruth Drexel: „Mei, der Tscharlie. Ich verstehe ich viel, Aber den versteh i ned“

Und man möchte ihr sofort recht geben. Man erkennt die Drexel als verständnisvolle Frau (und tolle Schauspielerin), die einfach beim Tscharlie an ihre Grenzen kommt.

Therese Giehse: „Ich versehe vieles nicht. Aber den Tscharlie, den versteh ich.“

Und sofort nagelt die Giehse die eigentlich großartige Drexel an die Wand. Die Giehse sagt, sie verstehe gar nix, aber den schrägen Tscharlie, den schon. Die Umwertung aller Werte. Das macht die Giehse mit einem einzigen kleinen Satz. Großartig!

Zwei wunderbare Münchner Schauspielerinnen: eine ausgezeichnete Volksschauspielerin und die größte Schauspielerin der Welt (Brecht) in einer Vorabendserie. Damals hat München geleuchtet.

Illustrationen © Michael Kausch

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