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Voller Durchblick – oder nur eine Fliege unterm Mikroskop?

Lawrence Summers, der ehemalige amerikanische Finanzminister und heutige Nationale Wirtschaftsberater von Barak Obama, will das moderne Gegenstück zum delphischen Orakel entdeckt haben: Google. Summers hat herausgefunden, dass im Frühjahr 2009 besonders häufig der Suchbegriff „Great Depression“ eingegeben worden ist, inzwischen aber kaum noch. Für ihn ist das ein eindeutiger Wirtschaftsindikator und Beweis dafür, dass die Wirtschaftskrise vorbei ist.

Nun ist Summers nicht der erste, der Suchanfragen als Mittel der Marktforschung benützt. Google selbst betreibt eine Seite namens „Google Zeitgeist“ mit Trendauswertungen und einer Liste der „Top 100“-Suchbegriffe. Die so genannten Trends sind allerdings äußerst kurzlebig. Als ich heute morgen nachschaute, lag ein gewisser Casey Kotchman auf Platz eins, weil er von der Baseballmannschaft von Atlanta nach Boston zu den Red Sox wechselt. Ob morgen noch ein Hahn nach ihm kräht, ist eher zweifelhaft, aber wie sagte doch Andy Warhol, jeder wird einmal für 15 Minuten berühmt sein.

Aber auch die vermeintlich längfristig relevanten Auswertungen, nämlich die bei Google unter „Year-End Zeitgeist“ zusammengefassten beliebtesten Suchbegriffe des Jahres, erweisen sich bei näherem Hinsehen eher als Eintagsfliegen. 2008 lag beispielsweise eine gewisse Sarah Palin in Front. Wer war die gleich nochmal?

Kein Zweifel aber, dass den Meinungsforschern mit den Logfiles der Suchmaschinen ein mächtiges Werkzeug zur Verfügung steht, um ihre Prognosen zu verbessern, von Immobilienpreisen über Tourismusdestinationen bis hin zu der Beliebtheit von Automarken. Theoretisch ließe sich der Ausgang der nächsten Bundestagswahl mit Hilfe von Google & Co. relativ genau vorhersagen. Welche einfachere Methode kann es geben, die vielzitierte „Wisdom of Crowds“ anzuzapfen und sichtbar zu machen?

Ein wenig mulmig kann einem aber schon werden bei dem Gedanken, wie viel von uns wir jeden Tag verraten, wenn wir bei Google etwas eintippen. Alissa Cooper vom Center for Democracy and Technology hat es kürzlich auf den Punkt gebracht als sie sagte: „Die Sachen, die Sie eingeben, wenn Sie etwas suchen, können sehr tief blicken lassen.“

Ich habe gestern mit Tony Pelg von Microsoft telefoniert, der als Business Manager Search in Deutschland für den Aufbau von „Bing“ zuständig ist, die neue „Entscheidungsmaschine“ (im Gegensatz zur altmodischen Suchmaschine) des Softwareriesen. Bei Microsoft, so Pelg, arbeiten zurzeit in drei „Suchtechnologiezentren“ in München, London und Paris 35 Entwickler an den jeweiligen Regionalausgaben von Bing. Bis Jahresende sollen es 100 sein. Wer also einen Job braucht sollte sich bei ihm melden. Ihre Aufgabe wird es dann sein, systematisch die Suchvorgänge auszuwerten, die täglich von den Browsern der Microsoft-Kunden gesammelt und übermittelt werden. Natürlich nur mit Zustimmung der User und völlig anonym, wie sich Pelg zu sagen beeilt. Microsoft nimmt es mit dem Datenschutz inzwischen angeblich besonders genau, was man von Google nicht behaupten kann.

Ich bin zwiegespalten. Einerseits finde ich es toll, wenn sich ein Unternehmen bemüht, mich so gut kennen zu lernen wie beispielsweise die Jungs von Amazon, die in der Lage sind, mir gezielte Empfehlungen zu schicken, denn das heißt im Umkehrschluss, dass sie nicht mehr mit Dingen belästigen, die mich sowieso nicht interessieren. Bei Google und Konsorten fühle ich mich aber irgendwie wie eine Fliege unterm Mikroskop – und das macht mir etwas Gänsehaut. Wenn ich suche, dann eigentlich um zu mir selbst zu finden – und nicht, um von anderen durchleuchtet zu werden.

Eine Antwort

  1. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat erst im Juni bekanntgegeben, dass es Google nutzt, um Arbeitsmarktprognosen zu erstellen. Einen Bericht hierzu gibts zum Beispiel im Manager Magazin ; „Mit dem neuen Modell sei es möglich, die Zahl der Arbeitslosen im Schnitt bereits einen Monat vor Bekanntgabe der offiziellen Zahlen durch die Bundesagentur für Arbeit vorauszusagen. Dabei soll die Treffsicherheit hoch sein.“

    Ich vermute, dass die SPD mit Microsoft Bing arbeitet. Dort gibts ja derzeit noch ein wenig weniger Suchergebnisse als bei Google. Und so sagt Steinmeier tatsächlich bis zum Jahr 2020 Vollbeschäftigung voraus – natürlich nur mit ihm als Kanzler. Und mit Bing als Statistik-Tool der Bundesagentur für Arbeit.

    Auch die SPD bingts wieder voll!

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