Schland hat fertig!
Schland ist Fußballweltmeister, und das ausgerechnet mit einem Tor von der Pummelfee Mario Götze in der Verlängerung (aber das ist ein anderes Thema). Ob Deutschland das verdient hat oder nicht, steht ebenfalls auf einem anderen Blatt und wird sicherlich in den kommenden Tagen ausgiebig diskutiert. Da muss ich nicht auch noch meinen Senf dazu geben.
Aber wissen Sie was?
Endlich ist die WM 2014 vorbei.
Dabei ist es nicht so, dass ich nicht mitgefiebert, vor dem Fernseher allein oder in Gesellschaft mit geschrieen, gezittert und -getobt hätte. Ich habe viele Spiele gesehen, nicht nur die der deutschen Fußballnationalmannschaft. Mal habe ich dem einen, mal dem anderen Team die Daumen gedrückt, habe mich begeistert oder gelangweilt, aufgeregt, abgeschaltet, bin eingeschlafen oder Bier holen gegangen.
Mit Freunden und Kollegen habe ich wieder und wieder die Mannschaftsaufstellung und taktische Ausrichtung diskutiert, Löws Fehler zur Sprache gebracht und sowieso alles besser gewusst als der Bundestrainer. Wir waren uns einig, dass rund 50 Millionen Deutsche mehr Sachveratand haben als Löw. Morgens ging der erste Griff zum Handy um die aktuellen Kicktipp-Tabellen abzurufen. Wer hat wie viele Punkte? An wem bin ich vorbei gezogen oder bin ich etwa abgerutscht? Meist war letzteres der Fall. Soweit zum Thema Sachverstand.
Spielergebnisse wurden ausgiebig vor, während und nach dem Spiel erörtert. Ebenso Schiedsrichterentscheidungen, die natürlich – sofern sie gegen unsere Jungs bzw. meine favorisierte Mannschaft ging – grundsätzlich falsch war. Und nicht nur die. Auch das hatten wir schon immer gewusst. Fifa-Schiedsrichter pfeifen nicht – sie selbst sind die Pfeifen.
Nun ist es vorbei. Das alles Spaß hat gemacht, aber ich bin froh, dass nun andere Themen anstehen.
Denn der heilsame Schock kam im grottenschlechten Halbfinalspiel Argentinien vs. Niederlande. Direkt nach Apfiff der ersten Hälfte habe ich gespürt: Es muss aufhören. Jetzt. Sofort. Ich kann es nicht mehr sehen. Zu viele Spiele, die sich hingewürgt und in die Verlängerung gezogen haben, lustlose und uninspirierte Mannschaften, Amateurfußball ist manchmal spannender, weil er engagierter und mit mehr Herzblut gespielt wird als das, was Brasilianer, Niederländer und andere Mannschaften teilweise geboten haben. Das ist die Kehrseite. Mitten im Spiel hieß es: Fernseher aus, ab ins Bett. Ich war nur noch enttäuscht und genervt.
Und plötzlich hat mich auch die permanente Fußballbelästigung in allen anderen Lebensbereichen gestört. Wo man steht und geht: Fußball. Nichts als Fußball, auch dort, wo er sonst nicht stattfindet. Und ich wage zu unterstellen, dass es oft mit echtem Fansein und Begeisterung nichts zu tun hat. Das ist aufgesetzt und unehrlich. Denn es geht allzu oft nur um Eines: Aufzuspringen auf einen rollenden Zug und kräftig mitzuverdienen; an uns, den Fans. Aber auch die tragen ihren Beitrag zum Overkill bei:
Keine Werbepause, in der nicht für Rasierer, Autos, Bier und sonstiges Zeugs geworben wurde – natürlich entweder lizensiert oder sonstwie auf die WM Bezug nehmend. Werbefernsehen wird zu einer Höllentortur. Wenn’s alle machen, ist es nicht mehr lustig und schon gar nicht mehr originell. Es ist lästig.
Keine fünf Zentimeter Timeline, in denen man auf Twitter, Facebook oder sonst wo nicht mit Fußball konfrontiert wird. Natürlich macht es Spaß, während der Spiele über selbige zu schreiben. Aber doch nicht nur uns ausschließlich. Jeder hat doch schon gesagt, dass die Kommentatoren dämlich sind. Muss man das alles wieder und wieder lesen? Wie oft musste man schlecht in Photoshop bearbeitete Bilder der Christustatue von Rio sehen, mal mit diesem mal mit jenem Trikot, mal in schwarz-rot-gold, mal in orange. Wie oft musste man sich Fotos von Kindern, Hunden, Fußballern, Trainern… ansehen, denen eine Sprechblase verpasst wurde mit einem vermeintlich coolen Spruch? Irgendwann ist auch das nicht mehr lustig sondern nur noch doof.
Keine fünf Minuten im Radio, in denen nicht über Fußball gesprochen oder gesungen wird. Schlechte zusammengeschusterte rapartige Songs über den gestrigen Spieltag und Comedians, die Kahn und Co. imitieren (als wären die Originale nicht schon schlimm genug), verursachen nachhaltig alles andere als gute Stimmung, Moderatoren der Morgensendungen machen Witze, die ich in der Nacht vorher schon auf Twitter gelesen habe. Auch das ist irgendwann nicht mehr zum Aushalten sondern zum Ausschalten.
Keine Zeitung, die noch über irgendwas anderes schreibt. Ud das nicht nur im Sportteil. Redakteure des Lokalteils besuchen deutsch-algerische, deutsch-argentinische, deutsch-amerikanische, deutsch-französische… Familien und befragen die Eheleute, wer denn für wen die Daumen drückt und wie das gemeinsame Fußballerelebnis so ist. Gähn. Das hatten wir doch schon bei der EM 2012, der WM 2010, der EM 2008, der WM 2006. Man befragt die Leser nach ihren Tipps, nach ihren Erlebnissen beim Public Viewing, die Kneipiers nach ihrem Bierausstoß, die Busfahrer, wie sie es erleben, dass sie nicht am Arbeitsplatz Fußball schauen können. Perlen des Lokaljournalismus sind das nicht gerade.
Kein Metzger, der nicht WM-Grillfleisch und mit schwarz-rot-goldenen Fähnchen dekorierte Wurstwaren in der Theke liegen hat, kein Bäcker, der nicht Fußballsemmel, -brot oder sonstiges mit WM-Bezug präsentiert. Überhaupt: Kein Laden, der nicht irgendwas mit Fußball, zumindest aber mit Schwarz-Rot-Gold verkauft.
Bitte… Leute.
Es muss doch irgendwo auch irgendetwas anderes geben. Gibt es aber nicht: Vor lauter Verzweiflung, weil ich es einfach nicht mehr sehen kann und es mich auch überhaupt nicht interessiert, gehen wir am Samstag Abend ins Kino. Im Fernsehen läuft das Spiel um den dritten Platz. Niederlande vs. Brasilien. Ich will das nicht sehen. Nicht schon wieder die holländische Trainerbank, die ausschaut wie eine Gruppe Sparkassenvertreter, nicht schon wieder Felipe Scolari, der sich an den Kopf fasst.
Nur: Im Kino läuft auch nichts… also nichts, was mich wirklich interessiert. Alles schon gesehen oder fürchterlich uninteresant. Also schauen wir uns einen Film an, den wir schon mal gesehen haben. Alles ist besser als schon wieder Fußball. Wir sind zu fünft. Immerhin.
Vielleicht kennen Sie ja auch die verzweifelte Suche nach einem attraktiven Alternativprogramm. Vielleicht haben Sie ja auch im Fernsehen kaum etwas Gescheites gefunden, wenn ein Spiel übertragen wurde. Die Gegenprogrammierung war wieder mal dürftig, uninspiriert und unintelligent… Das ist verständlich, wenn das Deutschland-Halbfinale 33 Mio. Mitbürger (ohne Public Viewing) vor die Fernseher zieht, dass dann kein Sender mit weas auch immer Quote machen wird und demzufolge nur B- oder C-Ware rausklopft.
A propos Ware rausklopfen:
Ich bin schon froh, kommende Woche nicht mehr über Fußballbrote, Deutschlandschnitten, Fanartikel, Sparangebote für Weltmeister und Ähnliches in Supermärkten, Gartencentern, Baumärkten, Drogerien oder sonstwo zu stolpern.
der Kuchen ist verteilt, der Keks gegessen…
Bitte kehren Sie die Krümel in der Auslage zusammen und dann lassen Sie uns zur Tagesordnung übergehen. Was heißt: Bitte füllen Sie die frei gewordenen Regalflächen schnellstmöglich mit Dominosteinen, Lebkuchen, Spekulatius und Marzipankartoffeln wieder auf, der Advent kommt schneller als man denkt. Und es wird Zeit, dass wir auf andere Gedanken kommen.
Ach ja: In fünf Wochen fängt die Bundesliga 2014/15 an. Dann rollt der Ball wieder. Aber es geht nur noch um Fußball bei denen, die es wirklich interessiert – ohne die ganzen Teilzeitfans, ohne Kanzlerin-Bilder aus der Spielerkabine, ohne Oliver Kahn und Mehmet Scholls medialer Omniprezenz, ohne Werbung mit Fußball auf allen Kanälen und ohne die obskuren Fanartikel in allen Geschäften. Bleibt die Frage: Wann kommt endlich der Kicker mit der Stecktabelle, damit wir die in unserer Küche aufhängen können?