Seven up. Die siebte Plattenkiste

30 Schallplatten aus sechs Plattenkisten habe ich in den letzten Wochen hier schon vorgestellt. Immer fünf Scheiben in einer Kiste. Hier hat sich so viel angesammelt, dass ich überlege die Schlagzahl zu erhöhen: entweder mehr Kisten oder mehr Platten pro Kiste. Mal sehen. Oder mal hören. Heute erhöhe ich die Auswahl erstmal auf sieben neue alte Scheiben. Und zwar aus ganz unterschiedlichen Rubriken. So ist für jede und jeden was dabei.

Eric Anderson: Shadow and Light of Albert Camus

Eric Anderson ist ein us-amerikanischer Songwriter, der seit den sechziger Jahren zahlreiche Lieder für viele bekannte Musiker geschrieben hat, etwa für Judy Collins, Grateful Dead, Johnny Cash und sogar für Bob Dylan. Mit Joan Baez, Joni Mitchell, Lou Reed und anderen hat er zusammen gespielt. Er lebt seit mehreren Jahren in den Niederlanden.

In den letzten zehn Jahren hat er sich immer wieder mit großen Schriftstellern auseinandergesetzt. Im August 2014 veröffentlichte er die 10-Zoll-Scheibe „Shadow and Light of Albert Camus“. Die Platte erschien in limitierter Auflage mit einem Cover, gestaltet von Oliver Jordan, einem Schüler von Joseph Beuys und Gerhard Richter. Die EP enthält vier Songs, die Anderson inspiriert von Gedichten von Camus für dieses Werk geschrieben hat. Drei Jahre später veröffentlichte er seine Alben „Mingle with the Universe: The Worlds of Lord Byron“ und „Silent Angel: The Fire and Ashes of Heinrich Böll“. Alle Platten wurden bei Meyer Records in hervorragender Qualität produziert.

Wer mehr über den Entstehungshintergrund zur Camus-Platte erfahren möchte, dem sei das Interview empfohlen, das Mike Ragogna mit Eric in der Huffington Post vor einigen Jahren geführt hat.

Barbara: Barbara

„Göttingen“ ist natürlich das Chanson das mir in den Ohren klang bei dem Namen Barbara. Und beinahe hätte es mich in jungen Jahren auch in diese wunderbare Stadt verschlagen. Nach dem Studium hatte ich mich dort auf eine Stelle an der Uni beworben und ich war auch nah dran dort anzufangen, bin dann aber doch zu einer damals kleinen Software-Klitsche namens Microsoft nach München. Alles hat Vor- und Nachteile … Aber mit Göttingen kann München nicht mithalten:

„Bien sûr, ce n’est pas la Seine
Ce n’est pas le bois de Vincennes
Mais c’est bien joli tout de même
À Göttingen, à Göttingen“

Und Barbara war ohnehin einmalig. Sie sang Brel und Brassens und später auch eigene Lieder. Wie zum Beispiel „Göttingen“. Es gibt eine hübsche Aufnahme auf YouTube:

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Stefan Diestelmann: Folk Blues Band

Stefan Diestelmann und seine Folk Blues Band. Schon wieder Musik aus der DDR. Dieses Mal aber so richtig. Oder auch wieder nicht so richtig. Denn Diestelmann war ein waschechtes Münchner Kindl, geboren an der Isar, aber 1961 mit 12 Jahren gemeinsam mit seinen Eltern in die DDR übergesiedelt. Ganz richtig: Von West nach Ost. Das gab es auch. Sehr ungewöhnlich. Und es wird noch viel ungewöhnlicher: er entwickelte sich zu einem der besten deutschen Blues-Musiker, die es je gab.

Nun gab es natürlich einige, die in der DDR öfter mal den Blues bekamen. An bluesigen Szenen gab es im Land ausreichend: verfallene Häuser, Kohlebergbau und Suffköppe schon am Nachmittag. Duisburg-Ost. Der Stoff für seine Blues-Balladen lag direkt vor seiner Haustür. Nur dass es das, was er da vor seiner Haustür real sah, natürlich realsozialistisch in der DDR nicht gab. Also wurde der Blues-Mann 1967 schon mal wegen Staatsverleumdung verurteilt. In den frühen siebziger Jahren liberalisierte sich das Kulturleben in der DDR vorübergehend und Diestelmann bekam Licht auf den volkseigenen Bühnen und sogar einen Auftritt im Palazzo di Prozzo, im Palast der Republik. Dort trat er mit keinem Geringeren als mit der Blues-Legende Memphis Slim auf. Und bei Amiga, dem musikalischen Plattenbau, erschienen zwei Platten. Ich hab sie beide. Und beide sind unbedingt hörenswert. Die „Folk Blues Band“ aus dem Jahr 1978 ist die erste und mir die liebste – schon wegen dem „Reichsbahnblues“, der mich immer an die alten Mitropa-Speisewagen erinnert, in denen ich mit tschechischem Bier und deutschen Würstchen durch die DDR gen Westberlin geschaukelt bin.

1984 kehrte Diestelmann von einer Konzertreise in die BRD nicht mehr zurück. Im Westen aber interessierte sich keine Sau für ihn. Bis heute nicht. Fast.

Rory Gallagher: Live in Europe

Rory Gallagher hat „Live in Europe“ bereits 1972 herausgebracht. Mit zwei Ausnahmen („Laundromat“ und „In Your Town“) sind alle Songs auf dieser Live-Platte Erstveröffentlichungen. Sie waren vor der 72er Europa-Tournee noch auf keiner anderen Platte erschienen. Diese Scheibe gehört sicherlich zum besten, was der irre Ire je gemacht hat. Neben seiner heulenden Stratocaster spielt er hier auch mal eine verträumte Mandoline, aber immer hat ihn der Blues, immer in der großen Tradition von Muddy Waters und Leadbelly, seinen großen Vorbildern, sicher rockiger, lauter, bellender. Eine großartige Platte, ganz großer Blues-Rock der 70iger.

Hoelderlin: Live. Traumstadt

„Die Linien des Lebens sind verschieden
Wie Wege sind, und wie der Berge Grenzen
Was hier wir sind, kann dort ein Gott ergänzen
Mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden.“
(Friedrich Hölderlin).

Die Musik der Gruppe, die sich nach ihm benannt hat ist ein wenig schräg und war in den 70igern ziemlich Kult.

Franz Schubert: Winterreise

Ich liebe die Winterreise, vor allem die „Nebensonnen“. Ich liebe das Gedicht, ich liebe Schuberts Vertonung, ja und ich liebe sogar Steinbichlers Film von 2006 samt Bierbichler, Kekilli und die Schygulla sowieso.

Ich habe mehrere Versionen der Winterreise. Neben Fischer-Dieskau ist auch die Aufnahme mit der Sopranistin Christina Schäfer sehr zu empfehlen. Da geht der Postillon ab.

Henri Texier: amir

Henri Texier: amir. Die Platte scheint wichtig zu sein, denn es gibt tatsächlich ein aktuelles Reissue. Ich habe noch die Erstauflage von 1976. Sie ist also fast 50 jahre alt und in dieser Zeit sehr sehr oft gespielt worden. Oft am Abend zum „Runterkommen“ nach einem viel zu hektischem Tag. Nun eignet sich der Kontrabass, den Texier so zärtlich zu streichen weiß natürlich auf Grund seiner Stimmung ohnehin für die „Blaue Stunde“, aber hier wird er auch noch kongenial von einer Okarina und einer Oud ergänzt. Wem da nicht der Blues in die Seele kriecht …

Henri’s Solo-Spiel ist magisch. Wer sich das anhört glaubt sich mitten in die Bretagne versetzt. Da wabern die Nebel über dem Plattenteller, dass die Elfen nur so herumschwirren. „amir“ ist sein Erstlingswerk als Solo-Platte. Fortgesetzt hat er diese einmalige Schöpfung kurz darauf mit der Platte „Varech“. Wer „amir“ hat, der hat in aller Regel auch die „Varech“ im Regal und goutiert am Abend ein Zwei-Gänge Menü des genialen Franzosen.

Die Wikipedia überhört beide Platten übrigens komplett. Unglaublich. Die Enzyklopädisten verweisen nur auf Texiers Frühgeschichte als Bassist bei Bud Powell und Don Cherry (die kann man ja auch nicht ignorieren) und auf seine Veröffentlichungen in den achtziger Jahren und später. Dabei hat er nie etwas wegweisenderes gemacht als die beiden Platten die ich euch dringend für den abendlichen Plattenteller empfehle: „amir“ und „Varech“. Bei der Wiki muss ich das mal nachtragen. Ich kann sehr nachtragend sein, wenn es sein muss …

Illustrationen © Michael Kausch

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Jazz aber

Was Jazz ist weiß ich auch nicht. Die Wikipedia meint, es sei eine Kombination aus europäischer Melodik und einer Rhythmik, die sich auf afrikanische Wurzeln beruft. Kann man so sagen, ist aber Quatsch. Volker Kriegel, der begnadete Saxophonist macht es sich einfach, wenn er augenzwinkernd anmerkt: „Jazz ist immer, wenn ein Saxophon dabei ist.“ Das mag ich. Thelonios Monk gibt zu: „Ich habe keine Definition von Jazz. Man muss ihn einfach erkennen, wenn man ihn hört.“ Muss man das? Ach, es ist alles so kompliziert. Ich glaube, ich werde mich dem „Kuhlegen“ Urs Mannhart anschließen. Von Ihm stammt die für mich letztgültige Definition: „Jazz ist das salatgrüne Hemd, das nicht in den Hosenbund will.“

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