Die Agentur Caveman preist neuerdings auf ihrer Website einen Shitstorm im Komplettpaket an:
Für knapp 5.000 Euro bekommt man also 100 Kommentare und 150 Likes, größere Stürme erfordern freilich größere Gelder.
Der Candystorm – der Sportpalast des Social Media Zeitalters
Natürlich gibt es auch das Gegenteil des Bösen, den Candystorm, also die „Lobhudelei auf Bestellung“. Offener wurden Claqueure wohl niemals beworben: „Liebe = Der Endzweck der Weltgeschichte – das Unum des Universums. Sagen Sie doch einer Person Ihrer Wahl das Sie SUPER ist. Wir werden Ihre Zielperson behandeln wie einen Nobelpreis Gewinner.“ (Quelle)
Mit „einigen hundert Kommentaren“ soll es gelingen, dass auch andere Menschen positive Kommentare und Likes in den Ring der sozialen Medien werfen.
Die Anonymität der Auftraggeber wird von den Höhlenmenschen selbstverständlich garantiert. Immerhin behauptet die Agentur, sie mache nur Dinge, die sie moralisch vertreten könne. Konkret: „Wir halten uns hier streng an moralische Richtlinien. Das bedeutet im speziellen wir werden nicht bösen Menschen ein gutes Image verpassen.“
Aber liebe Höhlenmenschen: Wer entscheidet, was gut und böse ist? Ihr? Wer kontrolliert Euch?
Nein: Aufrichtigkeit und Offenheit in der Kommunikation ist eine der moralischen Grundgesetze in der professionellen Unternehmenskommunikation. Nicht umsonst hat sich meine Agentur vibrio zum Beispiel auf den Code de Lisbon verpflichtet, den Europäischen Kodex für ein professionelles Verhalten in der Öffentlichkeitsarbeit. Dort legt Artikel 4 zum Beispiel fest: „Public Relations-Aktivitäten müssen offen durchgeführt werden. Sie müssen leicht als solche erkennbar sein, eine klare Quellenbezeichnung tragen und dürfen Dritte nicht irreführen.“
Und das ist gut so. In einer Zeit, in der die Grenzen zwischen unabhängigem Journalismus und PR ebenso verwischen, wie die Grenzen zwischen Journalismus und ökonomischen Verlagsinteressen schon immer verwischt waren, in der wir von „Content Marketing“ reden und damit natürlich die Ziel- und Zweckorientierung unseres Kommunikationsverhaltens in den Mittelpunkt unserer Marketingstrategien stellen, in der jeder für kurze Zeit unkontrolliert durch gesellschaftliche und professionelle Selektionsprozesse zum Meinungsführer für fünf Minuten werden kann, in einer solchen Zeit der Verunsicherung tut die Offenlegung der eigenen Interessen not.
In einer Zeit, in der die Offenheit sozialer Medien dem Verbraucher, dem Kunden, dem Bürger gegenüber unfair agierenden Unternehmen und autoritären Bürokratien eine Stimme und damit Macht geben, in der Behörden zur Offenheit und Unternehmen zu besserem Kundenservice gedrängt werden können, in einer solchen Zeit erweist die hemmungslose Kommerzialisierung der sozialen Medien, wie sie Caveman predigt, uns allen einen (Höhlen-)Bärendienst. Wir wissen alle, dass Menschen manipuliert werden. Aber selten hat jemand diese Manipulierbarkeit zynischer zum eigenen Geschäftsfeld definiert.
Leibe Cavemänner und -frauen: Man möchte hoffen, dass es sich bei eurem Angebot um einen schlechten Scherz handelt. Man muss fürchten, dass es ernst gemeint ist. Und wenn Medien wie der FOCUS weiter fleißig über euch berichten, wird es sich am Ende auch noch rechnen. Für euch.
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Nachsatz: Der Shitstorm, der nun schon seit drei Jahren über die Firma Kaffee Partner herzieht, und dessen Kristallisationpunkt mein Agentur-Blog geworden ist (hier läuft er zum guten Teil ab; hier wird er erklärt) wurde zu keiner Zeit von den Caveman angeblasen. Aber vielleicht kaufen bedrängte Unternehmen ja künftig beim Grafen einen Candystorm. Was man aus meinem Beispiel auch sieht: Man muss keine Kommentare „türken“, wenn die Menschen zu Recht etwas zu beklagen und beshitstormen haben. Man muss die Menschen – und seine Zielgruppen – nur ernst nehmen.
2 Antworten
Caveman erklärt die Aktion nun doch als Undercover-Aktion (http://www.shitstormagentur.de/shitstormagenturobdachlose): „Jetzt nutzen wir unsere erprobten Mechanismen und Hebel der Medienmanipulation um ein Thema aufzuzeigen und wieder zur Diskussion zu bringen, welches uns besonders am Herzen liegt: Obdachlose Menschen und das grassierende Wohnungsproblem in deutschen Städten sollten noch mehr ins Tageslicht und so auf die Titelseiten gerückt werden.“
Als wenn es darum gegangen wäre. Berichtet wurde doch nicht über die Probleme der Obdachlosen, sondern über die Agentur und ihren angeblichen Versuch Shitstorms zu vermarkten. Die ganze Aktion zeigt, wie man in die Medien kommen kann, wie aber die Botschaft vorher im Treibsand versickert. Das ist so ziemlich das Gegenteil von „Storytelling“: das ist plumpes „Scoring“.
Die Sache beweist doch nur, dass man Shitstorms nicht ernst nehmen sollte. Die Gründe, die dazu führen, aber eher schon.