Bei manchen Meldungen bleibt einem die Spucke weg. So erging es mir heute. Es geht natürlich um das unselige Zugangserschwernisgesetz, den Zugang zu Kinderpornographie. Der ist zwar verboten, aber er sollte seit etwas über einem Jahr ja auch noch erschwert werden. Die Roten wollten das Gesetz nie (das ist gelogen, erst seit sie Opposition sind, sind sie dagegen). Die Schwarzen wollten es eigentlich nicht (was macht denn die Ursula da? Ach egal. Es ist ja für die Kinder, da darf es keine Bedenken geben). Alle anderen waren Opposition. Aber da redet man viel, so unbeschwert, ohne Regierungsverantwortung. Und allen ist heute klar: Das alles war eine von vorne bis hinten verunglückte Aktion, deren Spätfolgen noch nicht wirklich abgesehen werden können.
So entstehen Piraten …
Nicht nur, dass ein vermeidbarer Generationenkonflikt eskaliert ist, was in der Gründung einer neuen Partei gipfelte, den Piraten. Die Politikverdrossenheit mancher jüngerer Bürger geht so weit, daß sie sich aus reinem Verdruß nun doch einmischen. Ich will nicht unken, aber das ist klassischer Nährboden für Extremismus. Nein, ich will den Piraten nichts unterstellen. Ich finde sie gut und sogar wählbar, auch wenn sie noch keine Meinung zum Strukturausgleichsfond haben. Nicht einmal eine einheitliche Meinung zu Europa. Oder Afghanistan. Aber sie wissen eines: Wer seine Ignoranz zu eigentlich einfachen Themen wie Internet so deutlich zeigt, läßt auch Zweifel an seinen sonstigen Kompetenzen entstehen. Und so ging ein Riss durch Volk und Parlament. Nicht rot gegen schwarz, sondern jung gegen alt. Wobei es Leute gibt, die mit 70 jünger sind als manche mit 30. Aber das nur nebenbei.
… und so entsteht Politikverdrossenheit
Selten war die Arroganz der Macht so deutlich zu spüren, als 130.000 Menschen in sehr kurzer Zeit alle gemeinsam eine Petition unterzeichnet hatten, die Damen und Herren Abgeordneten mögen dieses Gesetz bitte nicht unterzeichnen. Es sei sinnlos und schädlich, keinem Kind werde damit geholfen. Die größte Petition, an die ich mich erinnere. Vielleicht die größte Petition seit der Einführung der Petionen. Ein Minister hatte nichts besseres zu tun, als alle Unterzeichner als Sympathisanten der Kinderpornographieproduzenten und -konsumenten hinzustellen. Es war widerlich. Aber noch widerlicher war, wie diese Petition einfach ausgebremst wurde. Es sei keine Zeit, auf die Petition einzugehen, bevor das Gesetz durch das Parlament geht. Am 22. Februar dieses Jahres wäre es so weit gewesen – dann hätte sich der Petitionsausschuß endlich zu diesem Thema bequemt. In der Zwischenzeit haben wir sogar eine neue Regierung. Und auf einmal war es sehr praktisch, dass Herr Köhler sich geweigert hatte, das Gesetz gleich zu unterschreiben. Niemand, den ich kenne, hat hier noch mit einem Inkrafttreten gerechnet. Falsch gedacht.
Die Lawine läßt sich nicht aufhalten
Ursprünglich sollte das alles doch nur Wahlkampfaktivismus der Frau Ex-Familienminister von der Leyen sein. Das BKA hatte eine Chance gewittert, seine Zuständigkeiten zu erweitern. Daß sich das Ganze anhörte wie ein Polizeiermächtigungsgesetz zur Einführung einer Polizeizensur unter Ausschaltung der Gerichte war ein Kollateralschaden. Niemand mit Verstand unterstellt dem BKA undemokratische Gelüste. Aber auch niemand mit Verstand entwirft solche Gesetze.
Daß das alles nie funktioniert hätte – geschenkt. Wurde hier und andernorts oft genug erklärt. Wer auf verbotene Inhalte stößt, wird mit einem Stoppschild konfrontiert. Das bedeutet: Anhalten, schauen ob jemand kommt, weiterfahren. Im Straßenverkehr ebenso wie hier. Straftäter werden nicht wirklich behindert, die polizeiliche Arbeit hingegen sehr wohl und der Normalbürger wird unnötig verunsichert. Eine Bedrohungslage wurde konstruiert, die es so nicht gibt, und einigen Protagonisten darf ruhig Unredlichkeit auf dem Rücken der Opfer vorgeworfen werden.
Köhler, der Held
Dann der Auftritt des Bundespräsidenten. Herr Köhler in schimmernder Rüstung unterschreibt das Gesetz nicht, er hat noch Fragen. Das Ende der schwarz-roten Koalition ist nahe, und es ist klar, keiner will das Gesetz mehr. In der Zwischenzeit haben wir eine neue Regierung, die das Gesetz auch nicht mehr will. Steht zumindest so im Koalitionsvertrag, und die einzige Sorge der schwarzen Politiker war vielleicht gerade noch, dass sie Frau von der Leyen nicht allzusehr beschädigen wollten. Dazu wird es nicht mehr kommen.
Nun ist das Gesetz unterschrieben und damit gültig. Die aktuelle Regierung wird es nicht anwenden wollen und vermutlich bald aufheben, ersetzen. Das hätte sie allerdings lieber in anderer Reihenfolge gemacht: Erst das Löschungsgesetz einführen, dann das Zugangserschwernisgesetz möglichst lautlos beerdigen. Wobei das Löschungsgesetz durchaus ebenfalls zu Diskussionen Anlaß gibt: Wenn es heute schon möglich ist, illegale Inhalte schlimmstenfalls über unsere Justiz löschen zu lassen, was sollte sich dann ändern? Sollten nun auch legale Inhalte gelöscht werden oder sollte nur doch eben mal schnell die Justiz übergangen werden?
Alles kam anders
Aber es kam alles anders. Auf einmal ist das Gesetz da. Huch! mögen sich da einige gedacht haben. Viele Netzaktivisten fallen nun über unseren Bundespräsidenten her. Das halte ich für falsch. Herr Köhler hat in der Vergangenheit oft schon ein bis an die Apotheose reichendes Geschick in solchen Dingen bewiesen. Er ist viel mehr Diplomat als Politiker, und das ist unser Glück.
Und das Gesetz? Angewandt wird es nicht. Die Provider, die mit dem BKA irgendwelche vorauseilende Gehorsamsverträge unterschrieben haben, sind selber schuld und müssen damit leben. Immerhin wurden sie ja bereits zum Dank von Frau von der Leyen ständig namentlich aufgezählt – deren Marketingabteilungen haben vermutlich zunächst tatsächlich gejubelt.
Die Regierung muss jetzt schnell handeln, und vielleicht ist jetzt erst durch die Unterzeichnung des Gesetzes eine Beschleunigung zu seiner Entsorgung eingetreten. Aber egal, was nun die Motivlage des Herrn Bundespräsidenten wirklich war, wie auch immer es zu diesem überraschenden Ereignis kam, ich habe da einen Verdacht. Vielleicht hat ja der Herr Bundespräsident einfach nur der Versuchung nicht widerstehen können. So eine Gelegenheit ergibt sich nicht oft. Wann schon kann man mit einer Unterschrift gleich zwei Regierungen so richtig vorführen?
Recht geschieht es ihnen.
Bildquelle: Public domain, Wikipedia
Eine Antwort
Also, ich vermute, Köhler hat als ordentlicher Schwabe, der er ist, einfach mal seinen Schreibtisch aufgeräumt und dort ein Gesetz gefunden, das noch nicht unterschrieben war.
So wie IDUL Politik gemacht wird, würde mich gar nichts mehr wundern…