Stevie hat ein Brett vor’m Kopf – Nicht etwa im übertragenen Sinn, sondern im wahrsten Sinn des Wortes.
Stolz wie Oskar sitzt er in der in der Sporthalle in der zweiten Reihe und schaut seiner Tochter bei ihrem Aufrtitt zu. Dieser ist Teil des Showprogramms auf der Weihnachtsfeier des örtlichen Vereins. Und Stevie lässt keine Bewegung der Kleinen unbeobachtet. Zwar schaut er nicht mit den eigenen Augen zu sondern mit dem digitalen, aber das macht ja nichts.
Stevie nämlich filmt sein Töchterchen mit seinem Tablet. Eben einem Brett.
Das hält er sich breit vor’s Gesicht, damit er auch alles sieht.
Nur die, die hinter Stevie sitzen, sehen natürlich nichts.
Außer dem iPad.
Das ist dem Mann im olivfarbenen T-Shirt, den tätowierten und aufgepumpten Oberarmen und der Army-Cap aber egal. Nicht, dass er das billigend in Kauf nimmt. Er denkt gar nicht erst so weit, dass er mit seiner Filmerei anderen die Sicht nimmt. Denken ist offensichtlich Stevies Sache sowieso nicht, sonst hätte er sich vermutlich einen besseren Platz für seine filmischen Tätigkeiten ausgesucht. Andere Eltern sind da klüger. Sie positionieren sich am Rand der Sporthalle sehr weit vorne, zücken Kameras und Handies und fotografieren oder filmen, was das Zeug und der Akku hergeben: Mit Handies, Kameras soger mit Spiegelrefelx. Aber so ein hippes iPad hat natürlich nur Stevie.
Und der filmt – wie bereits erwähnt – aus der Menge heraus.
Immer wieder macht seine Frau einen langen Hals. Auch sie will sehen, was Stevie filmt. Das Display zeigt das ja so schön an. Dass das wichtiger ist als die Choreographie der Sportgruppe, die sich direkt vor ihrer Nase abspielt, sagt alles. Später wird sie sich den Clip ansehen müssen, um zu sehen, was sich eigentlich gerade vor ihr abgespielt hat, ob alle im Takt waren, ihr Töcherlein eine gute Figur abgibt und überhaupt… Denn vom eigentlichen Auftritt bekommt sie genauso wenig mit wie Stevie.
Stevies Clip wird vermutlich irgendwann bei Youtube auftauchen – ungeschnitten, mit verwackeltem Bild und mit schepperndem Ton samt aller Gespräche, die um ihn herum geführt wurden. Die werden garantiert auch zu hören sein. Der Clip bei Youtube muss sein, denn nur so kann Stevie den Link an Verwandte, Freunde und Bekannte zwischen Aachen und Görlitz verschicken und sein Töchterlein präsentieren. Begeisterte und stolze Väter sind so.
Und stolzeTablet-Besitzer wohl auch. Das muss man verstehen.
Muss man?