Traue keinem Wiki, den du nicht selbst gefälscht hast

Im Jahre 2004 schrieb schließlich der Amerikaner James Surowiecki ein Buch, das er „The Wisdom Of Crowds“ nannte, in dem er die kollektive Intelligenz der Gruppe beschreibt: Gemeinsam sind wir Menschen laut Surowiecki in der Lage, besser zu denken und zu entscheiden, als es ein Einzelner je könnte.

Im Zeitalter des „Mitmach-Internet“ ist die Gruppenweisheit gefragter denn je, und nirgendwo zeigt sich das deutlicher als bei Wikipedia, dem Online-Lexikon, das von den Lesern selbst erstellt wurde und ständig fortgeschrieben wird. Der Einzelne trägt sein Wissen in Form von Fachaufsätzen oder Einträgen bei, die anderen Leser nehmen sozusagen eine fortlaufende kollektive Schlusskorrektur vor.

Wikipedia ist heute für die meisten Menschen, die im Internet recherchieren müssen, das was Google für die Online-Suche ist, nämlich die erste und wichtigste Anlaufstelle. Und was da steht, das glaubt man auch, denn schließlich wacht ja die Menge mit ihrer Weisheit darüber, dass keiner mogelt oder lügt.


Das ist aber natürlich reine Theorie, denn wo Menschen sind, da menschelts, wie meine alte schwäbische Zimmerwirtin vor vielen Jahren zu sagen pflegte. In Wirklichkeit wird bei Wikipedia gelogen bis sich die Balken biegen, wie sonst im Leben auch.

Woher ich das weiß? Weil sich der junge amerikanische Student Virgil Griffith die Mühe gemacht hat, einen automatischen Lügendetektor für Wikipedia zu bauen, den er „Wikiscanner“ nennt. Das Programm prüft die Änderungen, die von irgendwelchen anonymen Benutzern an bestehenden Artikeln in Wikipedia vorgenommen wurden, und verfolgt diese zurück zum Urheber. Und da kommt immer wieder heraus, dass Firmen, Parteien, Religionsgemeinschaften und staatliche Stellengerne an der Wahrheit, wie sie von Wikipedia verbreitet wird, herumdoktorn, bis sie ihnen in den Kram passt.

Es sind vor allem Firmen, die Hand an ihnen unbequeme Einträge legen. WalMart passte es zum Beispiel nicht, dass in dem entsprechenden Lexikonvermerk – wahrheitsgemäß – zu lesen stand, dass rund 70 Prozent der in ihren Supermärkten angebotenen Waren zumindest teilweise aus China stammen. Also wurde der Passus „geschönt“: Der China-Hinweis wurde getilgt, stattdessen stand zu lesen, dass WalMart „mehr als 68.000 US-Zulieferer unterstützt“.

Auch der Software-Riese SAP gehört zu den Nachbesserern bei Wikipedia. Laut Wikiscanner wurde mehr als 1400 Mal anonyme Änderungen an teils kritischen Einträgen über Produkte und Firmenpolitik der Walldorfer vorgenommen. Und im vergangenen Herbst flog auf, dass jemand aus dem CDU-Landesverband in Hessen die Online-Biografie des Grünen-Abgeordneten Tarak Al-Wazir auf außerordentlich unfreundliche Art und Weise abgeändert hatte.

Im Zeitalter des so genannten „Web 2.0“ ist niemand davor gefeit, von seinen Kunden, Lesern oder Konkurrenten öffentlich belobigt oder bloßgestellt zu werden. Noch schlimmer ist es aber, wenn man das gar nicht merkt. Viele mittelständische Unternehmen stehen heute, freiwillig oder unfreiwillig, in Wikipedia, und viele wissen es gar nicht. Es geht aber um den guten Ruf, und der ist der online erst mal ruiniert, dann wird sich das mit Sicherheit auch aufs „reale“ Geschäft auswirken. Wer dagegen in Wikipedia und anderen Online-Foren aktiv ist, hat die Chance, eine positive Online-Reputation aufzubauen. Niemand hat allerdings steingesagt, dass das einfach sein wird. Denn merke: Die Intelligenz der Menge für sich nutzen erfordert eine Menge Intelligenz.

Eine Antwort

  1. Eine Lanze für Wikipedia: Dass Einträge über Unternehmen von diesen beeinflusst und geschönt werden, liegt wirklich nah. Viele Nutzer wissen das auch und verlassen sich nicht auf diesen dürren Ast des Wikipedia-Wissens. Auf der anderen Seite habe ich sehr gute Erfahrungen mit Wikipedia gemacht. Die Sachgebiete IT, Archeologie und Geschichte, die ich aus eigener Erfahrung kenne, machen auf mich einen wirklich guten Eindruck.

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