Kaum hat Verkehrsminister Alexander Dobrindt sein Konzept für die PKW-Maut der Öffentlichkeit präsentiert und damit die öffentliche Diskussion erneut entfacht, sickert aus seinem Ministerium ein neues Vorhaben des umtriebigen Geldeintreibers durch. Offenbar noch aus Zeiten seines Vorgängers Peter Ramsauer stammt der Plan, eine Zusatzmaut für die Teilnahme an Autokorsos zu erheben. Eine Sachverständigenkommisison hat dazu bereits ein Gutachten erstellt, das Ramsauer allerdings nicht mehr weiterverfolgen konnte. Jetzt ist dieses Gutachten plötzlich wieder aktuell.
Der Zeitpunkt ist klug gewählt: Die Öffentlichkeit ist durch die Diskussion um die allgemeine Maut abgelenkt und durch die Androhung der Klagen vor der EU durch die benachbarten Österreicher und Niederländer bereits auf trotzige Solidarität mit Dobrindt eingeschwenkt. Die Akzeptanz steigt, nur um es den „Abzockern aus Österreich und den niederländischen Wohnwagenkolonnen- Straßenschnorrern und -blockieren mal so richtig zu zeigen“, wie unlängst Volkes Stimme auf Facebook verbreitete. Zudem zeigt sich Fußballdeutschland nach dem furiosen Sieg gegen Brasilen in bester Stimmung, da sitzt der Euro sowieso locker, da kommt es dann darauf auch nicht mehr an, ob man für die Teilnahme an einem Autokorso ein paar Euro bezahlen muss.
Wie aus dem Gutachten, das durch gezielte Indiskretion eines Mitglieds des Verkehrsausschusses gestern an die Öffentlichkeit geraten ist und das in Kopieform Vicky Leaks vorliegt, hervorgeht, ist die Maut für die Teilnahme an Autokorsos nach sportlichen Großereignissen, insbesondere Fußballspielen vorgesehen. „Unsere Straßen dienen dem Zweck, dass der Verkehrsteilnehmer mit seinem Fahrzeug von A nach B gelangen kann. Ein Autokorso ist eine zweckentfremdete Nutzung der öffentlichen Verkehrswege“, heißt es in dem Gutachten. „Die Teilnehmer haben nicht die Absicht, die Straße zur Überwindung einer Distanz zu nutzen. Stattdessen fahren sie, zumeist hupend und unter Beschallung durch die in den Fahrzeugen befindlichen Tonanlagen, was zu erheblichen Lärmemissionen führt und zudem ohne Abgabe von GEMA-Gebühren eine öffentliche Musikwiedergabe darstellt, zumeist im Kreis. Hinzu kommt, dass sie dem regulären Verkehrsteilnehmer durch die Blockade der Straßen daran hindern, selbige zweckgebunden zu nutzen.“
Und weiter: „Generell müssen Veranstaltungen im öffentlichen Raum von den zuständigen Behörden, also i.d.R. den Kreisverwaltungsreferaten genehmigt werden. Das betrifft Umzüge wie Karnevalsumzüge, Trachtenumzüge, CSD-Umzüge ebenso wie Sportveranstaltungen, (z.B. Stadtmarathons), Straßenfeste oder ähnliches“. Als Beispiele nennt das Gutachten die Berliner Fanmeile und den Stadtmarathon, das Open-Air am Münchner Königsplatz oder das Frankfurter Museumsuferfest. Hier werden überall Straßen zur zweckentfremdeten Nutzung gesperrt, der Veranstalter beantragt eine Genehmigung, die geprüft und erteilt wird und entrichtet dafür eine Gebühr. Und genauso soll das bei Autokorsos in Zukunft auch sein.
„Es ist nicht einzusehen“, wird ein Mitarbeiter aus der Kommission zitiert, der nicht genannt werden will, „dass Fußballfans nicht ebenso für diese nicht dem Sinn öffentlicher Straßen entsprechenden Nutzung bezahlen sollen, wie es selbstverständlich jeder andere auch tut.“
Als Modell, so ist dem Gutachten zu entnehmen, sei ein Gutscheinheft denkbar: „Möglich wären 10 Gutscheine, die man käuflich erwerben kann. Für jede Teilnahme an einem Korso trennt man einen Gutschein aus dem Heft, versieht diesen mit Datum, Ort und KFZ-Kennzeichen und bringt ihn deutlich sichtbar an der Scheibe des hinteren Beifahrerfensters an. Für Cabrionutzer, Motorradfahrer ist eine Alternative in Planung“, so das Papier. Der Vorteil: Man könne sich gemeinsam ein Gutscheinheft kaufen und die Gutscheine aufteilen oder ganz individuell und flexibel nutzen ggf. auch über einen längeren Zeitraum verteilt . Nutzbar sind die Coupons bei allen Korsos, egal ob nach Fußballspielen bei Welt- oder Europameisterschaften, Bundesliga, DFB-Pokal oder Champions League. Sie sind theoretisch auch einsetzbar, sollten Autokorsos nach einem möglichen Sieg Deutschland beim European Song Contests zu Stande kommen. Fahrradfahrer sind übrigens explizit ausgenommen.
Über die Höhe, der Maut wurde noch nichts bekannt. Die Finanzbehörden rechnen aber mit Zusatzeinnahmen für die Kommunen in Millionenhöhe. Kontrolliert werden soll das Mitführen der Mautgutscheine durch die Polizei. Die Mehreinnahmen würden den zusätzlichen Aufwand bei weitem kompensieren – und so viele Korsos kämen ja im Jahr nicht zu Stande, so dass sich der Aufwand in Grenzen hält. „Letztlich kontrolliert die Polizei doch sowieso, ob die Fahrzeugführer Alkohol konsumiert haben. Da kann das Mautticket gleich mit geprüft werden“, sieht es das Kommissionsmitglied pragmatisch
Lediglich in München müsse man anders planen und weitere Beamte einstellen, schließlich erwarte man auch in EM- und WM-freien Jahren einige Korsos, da der FC Bayern ja jedes Jahr auf das Triple hin arbeite. Eingeführt werden solle die Maut zu Beginn des zweiten Quartals 2016, damit noch rechtzeitig für die Deutsche Meisterschaft, das DFB-Pokal-Finale, die beide als sichere Einnahmequelle fungieren werden. Ggf. kommt die Champions League dann noch hinzu, bevor im Juni in Frankreich die EM beginnt.
Wie zu erwarten hat der ADAC Dobrinths Pläne bereits scharf kritisiert. Führende ADAC-Mitglieder empören sich und sprechen von Abzocke und Wegelagerei, die dieses Mal insbesondere die Geringverdiener trifft. „Viele Fußballfans und Korsoteilnehmer sind jung, befinden sich noch in der Ausbildung und gehören den unteren Einkommensschichten an“, monieren sie. „Man nimmt diesen Menschen nicht nur den Spaß am Feiern, sondern auch den Spaß am Autofahren. Gerade Autokorsos sind ein wichtiges Training für unseren Autofahrernachwuchs, bevor es in den Ferien in die großen Urlauberstaus geht.“ Auch der BDUFF, der Bundesverband Deutscher Ultra-Fußballfanclubs fühlt sich düpiert: „Man will uns Fans nicht – nicht in den Stadien und nicht in den Städten. Aber wir werden uns wehren. Zur Not mit Bengalos…“ heißt es in einer offensiven Stellungnahme, die im Netz kursiert.
Der DFB hat noch nichts verlauten lassen. Das wundert nicht, die WM ist ja noch im vollen Gange. Und auch aus dem Verkehrsministerium hört man nichts. Dort beschäftigt man sich derzeit noch mit der allgemeinen PKS-Maut. Und bekanntlich kommt immer eins nach dem anderen.
Bild: Autokorso während der WM 2006.
Veröffentlicht auf Wikipedia von User Elya