Wie schön wäre es, das Thema ad acta legen zu können, aber es läßt uns nicht los. Die Familienministerin ist noch nicht fertig. „Wenn die Internetseitensperrung im Ausland funktioniert, wieso funktioniert sie nicht bei uns?“ – so war sie mehrfach zu vernehmen. Fundamentalopposition ist nicht konstruktiv. Wenn ich verlange, dass sich die Politiker mit den Argumenten derer auseinandersetzen, die sich auskennen, sollte ich mir die Argumente der Gegenseite ernsthaft anhören.
Nichts spricht dagegen, von den Erfahrungen im Ausland zu profitieren. Aber wer sagt denn, dass die Sperrung im Ausland das tut, was sie soll?
Beginnen wir in Finnland. Dort tragen zensurkritische Journalisten Material auf dem Webserver „www.lapsiporno.info“ zusammen. Peinlich: Genau dieser Server wurde von den finnischen Zensurbehörden gesperrt. Lapsi sind die Kinder in Finnland. Der Name des Servers ist nicht geschmackvoll, vielleicht ein bisserl zu drastisch. Aber der Vorfall beweist, daß sich die dortige Polizei nicht mit Einzelfallprüfungen abgab, bevor sie einen kompletten Server auf die Blockliste setzte. (Quelle: Wikipedia England).
Gehen wir nach Australien. Wer Listen zusammenstellt, muß damit rechnen, daß sie in falsche Hände geraten. Eine Liste einschlägiger Kinderpornoseiten ist nicht einfach so mal zu googeln. Aber die australische Zensurbehörde war hilfreich. Sie lieferte genau diese Liste. Die Perversen waren jedoch sehr enttäuscht:
Die für die Regierung überaus peinliche Veröffentlichung zeigt nämlich, dass die ACMA es nicht nur ausschließlich auf verbotene Webangebote abgesehen hat, sondern auch auf Online-Poker-Seiten, YouTube-Links, Wikipedia-Einträge und Homepages von bestimmten Glaubensgemeinschaften. Sogar ein Reiseveranstalter und ein Zahnarzt sollen laut Bericht des Sydney Morning Herald auf der schwarzen Liste zu finden sein.
Natürlich wurde darüber berichtet. Auch über einen sehr ähnliche Fall in Dänemark. Und in Thailand. Und auch über den Fall in Finnland. Und in Norwegen, da gibt es auch so eine Liste. Alles war genau dokumentiert auf dem Server „wikileaks„.
Aber was passiert in Deutschland? Hausdurchsuchungen bei Wikileaks.de-Domaininhaber. Einschüchterung? Aber wo bleibt die Selbstkritik? Da ist kein Erschrecken. Keine Sorge, was mit solchen Listen passiert. Auch nicht, nachdem man sie geschätzt 300 Providern aushändigt, wenn es nach dem Willen von Frau von der Leyen geht. Alle Provider in Deutschland haben sicher völlig zuverlässiges Personal. Die Polizei auch. Und bis auf den Server des Innenministers ist alles auch sicher vor Hackern geschützt. Aber den trifft es ja auch ständig. Es nützt nichts, daß diese Listen nicht im Innenministerium liegen. Sie liegen bald überall.
Gut, daß die Polizei so gut ausgebildet wird. Ein Herr Ratzel kennt sich aus, er arbeitet für Europol:
(dpa) Solche potenziellen Schlupflöcher sind nach Einschätzung von Europol-Direktor Max-Peter Ratzel jedoch kein Argument gegen das Vorhaben. «Bei der großen Mehrzahl der Kinderporno-Konsumenten handelt es sich nicht um technische Experten, die eine Seiten-Sperre ohne weiteres knacken können», sagte Ratzel der «Neuen Osnabrücker Zeitung». Ratzel erhofft sich zudem eine «Initialzündung für Europa».
Wie peinlich ist das denn? Dieser Mann redet vom Knacken von Sperren? Vielleicht hätte er einfach nur die BILD lesen müssen. Dort steht, wie man den Sperrungsversuch umgeht. „Knackt“, von mir aus. Einfach ein paar Zahlen tippen. Oder den anderen Artikel in der BILD. Da stand sogar die Geschichte von Wikileaks drin. Bravo, BILD-Redakteure.
Auf Youtube gibt es die Anleitung in vielen Variationen, einfach suchen. Man findet zum Beispiel „Sperren überwinden in 27 Sekunden“. Und diese Anleitung ist für Windows! Es gibt ja bekanntlich Betriebssysteme, wo das alles bedeutend einfacher ist.
7 Antworten
Vielleicht könnte man diesen Post mal dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags zuspielen. Er wird zwar nicht gelesen (siehe „Czyslansky Tee Vau„), aber wenigstens können wir hinterher sagen: „Die haben’s doch gleich gesagt…“
Aber der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat doch nicht das Problem, dass er nicht liest. Er hat das Problem, dass er nicht von denen gelesen wird, für die er arbeitet!
Damit alle, wissen welche verschiedenen Filterarten es gibt, hier ein Auszug aus einem Artikel vom Januar in spiegel online
…und keine davon funktioniert.
Ein äußerst lesenswerter Kommentar zum Gesetzentwurf von Zensursula sowie zur Online-Petition stammt von meinem Kollegen Mario Sixtus und ist auf „diegesellschafter.de“ nachzulesen.
Danke, Tim, für den Link zu Mario Sixtus – da bläst einer den ganzen Nebel mit ein paar klaren Sätzen weg. Ich glaub ja immer noch, dass von der Leyen in die Abteilung „ahnungslos“ gehört. Aber wer treibt sie an? Schäubles wilde verwegene Reiter?