Der folgende kleine Beitrag über meine erst Pressekonferenz mit Microsoft-Gründer Bill Gates in Moskau basiert auf einem Artikel, den ich vor fünf Jahren für den Digisaurier-Blog verfasst hatte. Nun sind tatsächlich schon wieder fünf Jahre ins Land gegangen und eben gestern erreichte mich ein erinnerungsseeliger Facebook-Beitrag von Alexander Petrochenkov zu eben dieser Konferenz, was mich veranlasst diesen Artikel ein wenig zu aktualisieren und hier auf Czyslansky noch mal einzustellen. Und vielleicht verdient es diese Geschichte aus der frühen Blechzeit des Pesonalcomputers ja wirklich der Nachwelt erhalten zu bleiben. So sei es denn: es begab sich also im April des Jahres 1990 …
- dass Bill Gates einmal Gast des KGB war
- dass ein Beamer für ein halbes Jahr verschwand
- dass sich zwei Journalisten mit einem Pressesprecher und drei Flaschen Wodka anfreundeten
- dass junge Damen nicht nur an Stangen tanzten
- dass … NEIN: die wirklich schlimmen Dinge unterliegen auch heute noch dem Datenschutz lebender Personen.
Man schrieb also das Jahr 1990, als Microsoft sein allererstes komplett ins Russische lokalisierte Produkt vorstellte: MS-DOS 4.
Zur Ankündigungspressekonferenz hatten wir eigens Bill Gates nach Moskau einfliegen lassen. “Wir”, das war ein kleines Team aus der damaligen Microsoft Zentraleuropa-Organisation. Ich zeichnete damals als Pressesprecher für eine Region verantwortlich, die vom Rhein im Westen bis nach Novosibirsk im Osten reichte. Kurz: die Sonne über unseren Pressemeldungen ging eigentlich nie unter …
Um diese Pressekonferenz ranken sich heute Legenden, von denen allerdings nur die Schlimmsten wirklich wahr sind. Das – russische – Video, das von diesem Abenteuer berichtet, wirft über die übelsten meiner Erinnerungen einen gnädigen Schatten des Vergessens:
Ihn will ich im Folgenden nur ein ganz klein wenig aufhellen:
Wie ein dreilinsiger Beamer aus dem Flieger sprang und für ein halbes Jahr verschwand
Damals gab es ja noch diese furchtbaren Ungetüme, diese schrankgroßen Beamer mit drei Linsen für die drei RGB-Grundfarben. Die waren nicht nur teuflisch schwierig einzurichten, die waren auch abgründig teuer. Sogar wir bei Microsoft haben uns deshalb für Veranstaltungen meistens ein Gerät ausgeliehen …
… so auch für die Moskauer Pressekonferenz. Das wertvolle Stück wurde schon einige Tage vor unserer Abreise nach Russland bei der Spedition eingeliefert um rechtzeitig unser Veranstaltungshotel in Moskau zu erreichen.
Sicherheitshalber hatte ich einen zweiten nur unwesentlich kompakteren Beamer im Handgepäck dabei. Diesen brachte ich tatsächlich auf Grundlage einiger undokumentierter Einreiseformalien gegenüber einem leitenden Mitarbeiter der Zollkontrolle am Moskauer Flughafen durch die strengen Sperren. Und das war gut so.
Der allein reisende große Beamer ist nämlich niemals in Moskau angekommen. Jedenfalls nicht dort, wo ich ihn hätte abholen können. Vielmehr erhielt ich rund sechs Monate später einen Anruf vom Zoll am Flughafen München-Riem. Dort sei ein Paket mit elektronischen Einzelteilen aus Moskau für mich eingetroffen. Die elektronischen Einzelteile erwiesen sich als komplett zerlegter Beamer. Gegenüber dem Vermieter konnte ich den Mietvertrag nachträglich in einen Kaufvertrag ändern. Der Kaufpreis für den “Bausatz” lag dann doch noch deutlich unter der Tagesmiete für sechs Monate …
Wie Bill Gates einmal beim KGB in Moskau übernachtete
Bei unserer Ankunft im Moskauer Tagungshotel vermissten wir aber nicht nur einen Beamer, sondern auch alle gebuchten Zimmer. Trotz Verweis auf die Buchungsbestätigung erhielten wir die Auskunft, dass leider keine Zimmer für unser etwa zehnköpfiges Team verfügbar seien. Man sieht: in Moskau herrschten Zustände wie während einer Comdex in Las Vegas. Ich sah uns schon alle auf dem Boden des Veranstaltungsraums übernachten, was ja durchaus romantisch hätte werden können – allein wohin mit Bill Gates, der für den späten Nachmittag erwartet wurde?
Für ihn und seine Begleitperson wurden mir nach langen und recht komplexen und ebenfalls teilweise undokumentierten Verhandlungen – die Reisekostenabrechnung erwies sich später mangels Belegen als recht komplex – zwei Zimmer in einem Hotel des KGB angeboten. So fuhr ich am frühen Abend mit zwei amerikanischen Reisepässen und Visa im Taxi zur mir angegebenen Adresse. Es handelte sich um ein eher unscheinbares Stadthaus, das weder von außen, noch von innen als Hotel erkennbar war. Hinter der recht unauffälligen Haustür erwartete mich eine überaus resolute kleine ältere Dame hinter einer nicht ganz so kleinen dunkel holzgetäfelten Theke. Die Genossin nahm mir den Pass von Bill Gates ab und reichte mir einen Schlüssel, den sie aus einer Schublade der Theke zog. Mit diesem Schlüssel würde “diesem Mr. Gates” dann abends Einlass gewährt. Auf meine kritische Frage, ob dies gewiss sei, erntete ich das reichlich vergoldete Lächeln einer menschlichen Kalaschnikow, was mir als Beleg durchaus ausreichte.
Heute kann ich sagen, dass Bill Gates und seine Begleitung damals vermutlich so sicher bewacht geschlafen haben, wie sonst nie mehr wieder in ihrem Leben.
Wie sich zwei Journalisten in einer Moskauer Nacht mit einem Microsoft Pressesprecher und drei Flaschen Wodka anfreundeten
Während Bill schon lange seelig in den Armen und unter den Augen und Ohren des KGB schlummerte, kümmerte ich mich intensiv um zwei mitreisende deutsche Journalisten. Das “Kümmern” gestaltete sich ein wenig “einseitig”, nicht in dem Sinne, dass mich beide ignoriert hätten, nein: eher die begleitende Ernährung zum Arbeitsessen war ein wenig einseitig. Auf der Speisekarte standen etwa zwei Dutzend Gerichte, von denen es aber nur zwei gab. Was es aber im Überfluss gab, war Wodka. Und wenn ich meiner späteren Spesenabrechnung trauen darf, dann hatten wir im Laufe der Nacht zu dritt nicht weniger als 2.250 Gramm dieses ungetrübten Lebenswässerchens in unsere getrübten Birnen umgefüllt – man bestellte ja grammweise. Die beiden schreibenden Kollegen – ich werde den Teufel tun, hier Namen zu nennen – vom Handelsblatt und einer damals einflussreichen PC-Zeitschrift hatten sich gegen vier Uhr nachts verabschiedet: sie wollten sich noch den Roten Platz ansehen. Ich musste ja früh raus (!) und also auch irgendwann mal rein ins Bett.
Während der Pressekonferenz, während der mir meine russische Einleitung überraschend flüssig von den Lippen glitt, konnte ich die beiden Kollegen schwer angeschlagen mit Wachsfigurenmiene in den hinteren Reihen entdecken. Sie machten den Eindruck perfekter Kopien früherer KPdSU-Vorsitzender während der Mai-Parade. Wobei der schmalere der beiden auch gut als einbalsamierter Lenin im Mausoleum durchgegangen wäre. Es stimmt schon: PR-Jobs erforderten seinerzeit eine große Leber. Natürlich nur in Russland …
Von jungen Moskauer Damen, die ihre Stangen verließen
Nicht wenig Eindruck machten auch die Tänzerinnen auf der Bühne der Hotel-Bar. Das war der einzige Ort, an dem es spät abends noch etwas zu trinken gab. Und ich kümmerte mich ja um die guten Kontakte zur Presse (siehe oben). Dass die Damen gelenkig für den Aufbau des Kommunismus arbeiteten, bemerkte ein Kollege aus unserem Team, als es nachts an seiner Tür klopfte und eine der Genossinnen geschmeidig murmelte „I am Nastasja. You have asked for me?” Hatte er natürlich nicht. Und außerdem war er verheiratet. Und noch außerdemer war ihm längst klar, dass die damalige Moskauer Hotellerie über hervorragende bildaufzeichnende Technologien verfügte. Ich denke, nach dieser Pressekonferenz sind keine vertraulichen Informationen nach Moskau geflossen …
Mit Bill Gates in Moskau – ein Resumée
Rückwirkend kann ich sagen: die erste Presseveranstaltung von Microsoft in Russland – damals noch Sowjetunion – war ein voller Erfolg: Ausschnitte waren in den Hauptnachrichten des staatlichen Fernsehens zu sehen, zwei deutsche Journalisten konnten einen zumindest verschwommenen Eindruck vom Roten Platz gewinnen und Microsoft konnte bei minimalen Umsätzen in kurzer Zeit einen eindrucksvollen Marktanteil von knapp 100 Prozent im russischen Markt für Betriebssysteme realisieren.
Das Bild, dass ich von Bill Gates mit einem MS-DOS-Päckchen auf dem Roten Platz erstellen lies, ging durch die Gazetten der ganzen Welt. Jedenfalls hat der SPIEGEL es zwei mal abgedruckt. Ähnlich erfolgreich in Deutschlands großem Nachrichtenmagazin waren nur zwei andere meiner Pressebilder: ein Kollege mit Laptop in Lederhose (im “Internet-Biergarten” von Cabletron) und ein magnetbewehrter Bagger, der auf einem Schrottplatz illegale Raubkopien vernichtete. Ja ja – PR war früher noch ein richtiges Abenteuer …